»Die Spritze mit dem Spendersperma, das sterile Behandlungszimmer, die sachliche Ärztin – das war alles so unromantisch, so wenig feierlich. Darum hatte Kate Elazegui ein Lied mitgebracht. Als die Ärztin ansetzte, den Samen in Kates Vagina zu injizieren, gab sie ihr das vereinbarte Handzeichen, Kate drückte auf die ›Play‹-Taste, lehnte sich zurück und hörte: Eye Of The Tiger.«36
Besonders deutlich ist jene Synchronizität von Medien/Medialität und Lebenspraxis mit familienpolitischem Bezug in einer Sequenz aus Die Pinguine aus Madagascar37 (Penguins of Madagascar, USA 2014, Regie: Eric Darnell und Simon J. Smith, DreamWorks Animation; DVD) inszeniert. Vor einigen Jahren – so gibt es der Animationsfilm vor – rollte ein einzelnes Pinguin-Ei, zuvor vom Schnee verdeckt in seltsam anmutender Reminiszenz an Social Freezing (Einfrieren von Eizellen), eine abschüssige eisige Landschaft in der Antarktis hinunter. Spuren, ja Lebensspuren im Schnee hinterlassend, atemberaubend schnell vorbei an der possentreibenden Pinguin-Karawane, darunter Skipper, Kowalski und Rico. Wie bei allen kulturell relevanten Ereignissen der Gegenwart ist auch innerhalb der filmischen Diegese ein Kamerateam synchron zu den Vorgängen anwesend (P 00:02:25).
Die diegetisch-sichtbare Synchronizität von Medien/Medialität und Lebenspraxis reflektiert unser medienbezogenes Handeln in unserer Medienkultur. Michaela Ott geht diesbezüglich davon aus, dass »unübersichtliche Durchdringungsverhältnisse zwischen medialen Artikulationen und in sie verschlungenen menschlichen Handlungs- und Äußerungsweisen«38 bestehen.
Auf die (kindliche) Frage, ob das den Abhang hinabrollende Ei zurückgeholt werden solle, antwortet ein (erwachsener) Pinguin:
»Tut mit echt leid, Kleiner. Jedes Jahr verlieren wir ein paar Eier – so ist das eben in der Natur« (P 00:02:27).
Die (kindliche) Gegenrede lautet:
»Oh klar, die Natur. Das macht irgendwie Sinn, aber irgendwas irgendwas tief in meinem Innern sagt mir, dass das überhaupt keinen Sinn macht. Wisst ihr was: Ich lehne die Natur ab« (P 00:02:31).
Diegetisch folgt eine pinguineske Geburtshilfe: gefährlich, lebensgefährlich, aufregend, auf Eisbergs Schneide, emotional und medial angestoßen durch einen gewaltigen Stoß des Mikrofons vom Medienteam. Inszeniert wird eine performativ hergestellte Form von Familie, wobei die konventionelle duale und zweigeschlechtliche Elternschaft (Mutter-Vater, männlich-weiblich) unterlaufen wird. Der Startschuss der Geburt, das Zerbrechen der Schale und das Schlüpfen des Pinguin-Babys (Private genannt) ist künstlich (obschon durch ein Missgeschick) herbeigeführt. Ein unabsichtlicher Flügelschlag (nicht etwa eine Blasensprengung oder die Verabreichung bestimmter Hormone) initiiert das »Wunder der Geburt« (P 00:05:52) – nicht ohne Ironisierung romantisch-ästhetisierender Geburtsvorstellungen. Abgelehnt wurde die Natur: Aber was nun? Wo ist die Mutter, der Vater, die Familie? Wer ist die Mutter, der Vater, die Familie? Die Pinguine können sich wohl auf ein emotionales Band einigen, vermutlich eine Form der sozialen Elternschaft:
»Du hast uns, wir haben einander, und wenn das keine Familie ist, dann weiß ich auch nicht« (P 00:06:37).
Die hier zugrunde liegende Annahme einer konstitutiven Verschachtelung von Medien im weiten Sinn und Kultur als Medienkultur sensu Siegfried J. Schmidt kann nicht auf eine Haltung hinauslaufen, die sich mit der Untersuchung verschiedener Aushandlungen »in den Medien« begnügt. Eine solche Haltung würde nämlich erstens einer präjudizierten Einschränkung auf bestimmte Medien, häufig immer noch subtil durch Qualifikationen wie fiktiv, real, technisch, hoch und niedrig geprägt, Vorschub leisten. Zweitens impliziert der Ausdruck »in den Medien« ein latent inhärentes Verbot, Medien jedweden Status und Kultur konstitutiv zusammenzudenken. Angeknüpft werden kann vielmehr an diejenige Forschung zum Themenkomplex Geburt/Familie/Reproduktionstechnologien, die stets auf Grenzverwischungen zwischen Realität und Fiktion, Wissenschaft und Kunst sowie auf die enorme Bedeutung der Medien, Medialität, Diskursivität und Kulturalität verweist (siehe Forschungsüberblick, exemplarisch seien hier Dreysse und Nusser genannt), wobei über den Begriff Medienkultur und die mediensyntagmatische Haltung, in die auch unorthodoxe Medien inkludiert sind, dennoch zu bereits existierenden Untersuchungen eine erkenntnispraktische Verschiebung erfolgt, die noch erläutert wird. Drittens kann der Mediengebrauch nur aktiv sein39. Hier wird ein weiter Medienbegriff40 präferiert. Die Annahme einer Medienkultur führt zu neuen und anderen Erkenntnissen rund um Familienpolitik, indem konzeptionell vielfältige Medien und Kultur zusammengedacht sind. Auf der Grundlage eines konstitutiven Zusammendenkens von Medien und Lebenspraxis kann gerade auf einer ersten Ebene weder eine qualitative Separation (»die Medien«) und Subordination (»indirekt«) noch eine kanalisierende Wirkung (»durch die Medien«) von Medien angenommen werden:
»Die öffentliche Meinung spielt eine große Rolle im Zusammenhang mit der Entscheidung, ob eine Schwangerschaft fortgeführt oder beendet werden soll. Diese kann direkt vertreten werden durch den Partner, die Familie, die beratenden GenetikerInnen/ÄrztInnen oder auch indirekt durch die Medien [Hervorhebungen M.P.].«41
Grundlage der vorliegenden Arbeit sind hingegen medienkulturelle Arrangements. Dazu gehören neben Literatur und Filmen auch Facebook-Kommentare, eine Messe-Topografie oder ein Kalender. Mit Bernd Scheffer gehe ich davon aus, dass »Kunst und Literatur […] (bestenfalls) auf herausgehobener Bühne das Spiel [spielen], das überall stattfindet«42. Betont werden soll damit die stets konstruktive Gestaltungspraxis, oder weniger neutral – keinesfalls aber kokett –, das buchstäbliche, stets vorhandene medial-performative Spiel, gerade auch im Kontext von Familie. Thomä konturiert beispielsweise Elternschaft als verlängerte Theaterprobe, als alltägliches Abenteuer: »Elternschaft hat vielleicht noch am ehesten – jedenfalls was die Unübersichtlichkeit betrifft – etwas von einer Theaterprobe, die nicht enden will; sie ist ein Abenteuer des Alltags.«43 Für dieses Abenteuer, für familiale Identitätsentwürfe werden unterschiedliche Medien benötigt:
»Identitätsentwürfe brauchen Medien, um sich selbst zu entwerfen und um zu wirken. Medien bieten Bühnen für dieses Theater: die Straße, das Lokal, die Zeitung, das Radio, das Kino, das Fernsehen, das Internet. Und jedes dieser Medien bietet für sich selbst wieder eine Vielzahl an unterschiedlichen Bühnen, in denen Aspekte dieser Identitätsentwürfe artikuliert werden können. Jede Stadt hat Straßen ganz unterschiedlicher Funktion, die auch bestimmt, wie sich die Passanten verhalten.«44
Neben der Erfassung der Bedeutung von Medien für die Identitätsbildung geht es demnach um die Betrachtung von so unterschiedlichen Arrangements wie etwa der Straße oder einem Lokal als Medien.
Die Fokussierung auf medienkulturelle familienpolitische Arrangements umgeht bewusst naturphilosophische Fragen45. Dabei soll jedoch auch kein reiner Kulturalismus nach dem Motto ›Alles ist Kultur‹ ausgespielt werden. Das heißt nicht, dass Fragen nach Natur und Kultur sowie nach deren Verhältnis zueinander im Kontext von Familie nicht gestellt werden dürfen oder sollen. Es heißt aber, ich stelle sie nicht, und zwar a priori. Ich kann hier an Bergmann anknüpfen, der stets mittelbar auf Argumentationen mit Natur und Kultur fokussiert: »Es ist aufschlussreich zu verfolgen, wann mit Natur und wann mit Kultur argumentiert wird, wann die biologischen und wann die sozialen Grundlagen von Verwandtschaft herangezogen werden, wann von Substanz und wann von Prozessen gesprochen wird.«46 Bergmann bezieht sich mit dem Begriff »assistierte Authentizität«47 auf die performative Praxis der Authentifizierung, die zur Naturalisierung führt (wobei der materielle und symbolische Aufwand genannt werden). Die Beobachtung einer Kommunikation von Natur und Kultur ist dann vollends kompatibel mit Ullrichs kritischer Einschätzung der Tragfähigkeit einer dichotomen Unterscheidung zwischen Natur und Technik aufgrund der langen Tradition von Eingriffen in den Reproduktionsprozess48 und gemäß Meißners Klassifikation der Bestimmung des natürlichen Kerns eines gesellschaftlichen Phänomens als »müßige[r] Spekulation«49.
Durch die bisherigen Ausführungen und Beispiele