Im Kontrast zum klaren Bekenntnis des Pinguins aus dem Film Die Pinguine aus Madagascar (»Du hast uns, wir haben einander und wenn das keine Familie ist, dann weiß ich auch nicht«) manifestiert sich aktuell in unserer Medienkultur ein lebhafter Diskurs über Familialität (»Die neue Unübersichtlichkeit der Familie«66). Da ist medienkulturell beispielsweise die Rede von Regenbogenfamilien (ihren Befürwortern und Gegnern), gespaltener Elternschaft (die Existenz von drei Müttern und zwei Vätern ist möglich67), Single Parenting, Leihmüttern und Samenspendern. Die erste Folge der ersten Staffel der bereits zitierten Sitcom The Big Bang Theory68 zeigt beispielsweise, wie Dr. Leonard Hofstadter und Dr. Dr. Sheldon Cooper eine Samenbank für Leute mit hohem IQ aufsuchen, um einen finanziellen Zuschuss für einen Breitband-Internet-Anschluss zu erhalten. Neben der grotesken Verknüpfung von Samenbank und Breitband-Internet wird auch der deterministisch-monokausale Glaube an Gene persifliert, indem Sheldon seine Bedenken äußert: »Wir begehen einen genetischen Betrug. Es gibt keine Garantie, dass unsere Spermien hochintelligente Nachkommen hervorbringen. Denk doch mal nach. Ich hab eine Schwester mit ziemlich derselben DNA-Mischung, und sie serviert Fastfood« (B 00:01:31).
Im nun folgenden Potpourri medienkultureller Diversität soll gezeigt werden, wie persistent in unserer Gegenwart Familienpolitik verhandelt wird. Nur durch jenen mediensyntagmatischen Zugang, nur durch das Zulassen einer weiten Objektebene kann familienpolitischer Diversität begegnet werden.
In unserer Gegenwart hat sich ein medienkulturelles Koordinatensystem herausgebildet, in dem – so wird vielerorts und allgemein angenommen – die Parameter sozial und biologisch, sowie künstlich und natürlich vielfältig miteinander kombiniert sind. Zu beobachten sind eine Erweiterung der Familie als Sozialisation und eine Eventisierung von engster biologisch-leiblich-genetischer Konturierung der Familie sowie eine scharfe Konkurrenzsituation zwischen den rhetorischen Deklarationen von natürlicher und künstlicher Familie.
In dem Sommerhit Hey Brother (USA 2013, DJ/Produzent: Avicii, Label: Universal Music und PRMD; RADIO), in dem expressis verbis Blutsverwandtschaft gefeiert wird (»Know the water’s sweet but blood is thicker«), wird grenzenlose brüderliche Solidarität, grenzenloses brüderliches Engagement besungen: »Oh, if the sky comes falling down, for you, there’s nothing in this world I wouldn’t do«.
In dem Actionfilm Fast & Furious 7 (USA 2015, Regie: James Wan, Universal Pictures) dagegen erhebt Dom (Vin Diesel) seine Freunde zur Familie. Konstituens ist in diesem Fall eine sozial-familiale Verbindung. Bereits der Trailer zu Fast & Furious 769 (2015) beinhaltet das Aufgehen von Freundschaft in Familie: »Ich habe keine Freunde, ich habe Familie« (00:01:02).
Ein Facebook-Nutzer erweist einem Freund auf seiner Facebook-Seite eine freundschaftlich-familiale Hommage: »Happy to see you, bro! Stay the way you are. God bless you!« Die Anrede »Bro« für einen sehr guten Freund erborgt für Freundschaftskonzepte den Nimbus gerade ›unleugbarer‹, also genetisch-biologischer Verwandtschaft, so dass nicht nur der »Brocode« in How I met your mother (USA 2005–2014, CBS; TV (PRO 7)) zu einer Verflüssigung zumindest familialer Rhetorik-Konzepte führt.
So stellt Dreysse eine sukzessive Ersetzung der biologischen Familie in der populären Kultur fest: »In der populären Kultur der Mehrheitsgesellschaft treffen wir […] zunehmend auf chosen families, die die biologische Familie ersetzen.«70 Dabei verweist sie auch auf die Serie How I met your mother (ohne allerdings auf den »Brocode« einzugehen) und fasst zusammen:
»Das Zerbrechen traditioneller Familienstrukturen in der gesellschaftlichen Realität ebenso wie das Bedürfnis nach nicht hierarchischen, nicht normativen Formen des Zusammenlebens bzw. der Zugehörigkeit scheint zu Vorstellungen von Familie, die selbst gewählt und frei gestaltbar sind, aber emotionale Qualitäten der bürgerlichen Kleinfamilie wie Zugehörigkeit, Verlässlichkeit, emotionale Nähe und Schutz garantieren, zu führen. Sie werden in den erwähnten Fernsehserien [u.a. Big Bang Theory M.P.] als dauerhaft, meist dauerhafter als jedwede durch Biologie, heterosexuelles Begehren oder die Ehe begründete Beziehung, dargestellt, zugleich aber auch als Effekt einer Praxis, eines alltäglichen Tuns, das die familiäre Gemeinschaft immer wieder aufs Neue kreiert und artikuliert. […] In diesem Sinne sind viele der Freundesgruppen in Film und Fernsehen als Formen der Verwandtschaft zu betrachten«71.
Die Auflösung althergebrachter Vorstellungen von Familialität sowie der Wunsch nach egalitären Verbindungen bedingen nun Familienkonzeptionen, die sich nicht mehr biologisch aus sich selbst heraus rechtfertigen, sondern gerade willentlich gestaltet werden. Mediale Darbietungen illustrieren die Viabilität dieser neuen Formen der Verwandtschaft.
Im Kontext der Sozialisation von Verbindungen ist wohl auch jüngst das Buch Ziemlich feste Freunde. Warum der Freundeskreis heute die bessere Familie ist von Susanne Lang erschienen. Darin ist der Freundschaft ein zukünftiges Versicherungskonzept eingeschrieben:
»So gesehen sind Freundschaften eine der größten Investitionen, die wir künftig eingehen werden – und eine der erstrebenswertesten. […] Ich sorge mit der Pflege meiner Freundschaften für ein ebenso gutes Zukunftsfundament wie mit meiner Riester-Rente. Denn vor allem für das Alter, so lautet eine der großen Gesellschaftsprognosen, würden gute, langjährige Sozialkontakte immer wichtiger.«72
Daneben zeugen die zahlreichen neuen Reproduktionstechnologien allerdings auch vom großen Wunsch nach dem eigenen Kind. Der Wunsch nach einem (biologischen) Kind manifestiert sich je nach Konstellation unterschiedlich, wobei zu berücksichtigen ist, dass »[d]urch das neue Angebot ›Reproduktionsmedizin‹ […] möglicherweise eine sinkende Bereitschaft ungewollt kinderloser Paare zur Adoption plausibel [wird]«73.
Am 7. Januar 2016 tritt in Deutschland die geänderte Bundesförderrichtlinie in Kraft, gemäß der »erstmals auch unverheiratete Paare für reproduktionsmedizinische Behandlungen eine finanzielle Unterstützung durch das Bundesfamilienministerium [erhalten]«74. An jenem durchaus historisch zu nennenden Tag stellt Manuela Schwesig auf ihre Facebook-Seite eine Abbildung, welche eine klassische (Vater, Mutter, Kind) und zugleich neuartig-technologische Familienkomposition in Bild und Schrift (»Wir wollen allen Paaren die Möglichkeit geben, sich den Wunsch nach einem eigenen Kind zu erfüllen, egal ob verheiratet oder unverheiratet.«75) zitiert. Den Eltern steht das Glück buchstäblich ins Gesicht geschrieben, Familie erscheint als distinkter und ästhetischer Verbund, wobei zwischen Mutter und Baby ein inniger Augenblick festgehalten wird. Der Kind und Mutter umfassende Arm des Vaters fungiert als Schutzschild und Bewahrer des Verbunds, in dem somit Mutter und Kind regelrecht eingeschachtelt sind. Die Abbildung entfaltet ein Familienszenario, indem eine tolerante Erweiterung von Familialität suggeriert (alle Paare, Gleichgültigkeit gegenüber einer rechtlichen Verankerung) und gleichzeitig verengend wieder zurückgenommen wird, denn Familie ist – so der ›Subtext‹ des Bildes – eben doch ausschließlich Vater, Mutter und das eigene Kind.
Kurze Zeit später erscheint ein kritischer Kommentar auf Facebook, der Familialität und duale Elternschaft entkoppelt:
»Frau Schwesig, das ist ein guter Ansatz, aber dass in Deutschland immer noch Familienglück an eine Partnerschaft gebunden ist, ist ein Armutszeugnis! Auch alleinstehenden Frauen sollte das Recht auf künstliche Befruchtung gewährt werden. Aber da sieht man mal wieder, dass Deutschland immer noch in der Steinzeit tickt!«
Ferner ist ein Kommentar zu lesen, der die Fokussierung auf Heterosexualität kritisiert:
»Alle Paare? Nein, natürlich nicht. Homosexuelle unverheiratete Paare (die gar nicht heiraten dürfen) sind natürlich wieder ausgenommen.«
Die beiden Facebook-Kommentare beanstanden mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung (alleinstehende Frauen; homosexuelle