Medienkulturelle Manifestationen gegenwärtiger Familienpolitik. Miriam Preußger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Miriam Preußger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000508
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Betonung diskursiver, medialer, kulturell-symbolischer, kurz performativer und konstruktiver Momente im Kontext von Fa­mi­lia­li­tät. Diese Arbeiten sind demnach grundlegend für mein Forschungsvorhaben. In diesem Zusammenhang soll auch auf die sehr wesentliche theater- und kulturwissenschaftliche Studie Mutterschaft und Familie. Inszenierungen in Theater und Performance25 von Miriam Dreysse, die ebenfalls Judith Butler heranzieht, verwiesen werden. Die Autorin verfolgt das Ziel, »Inszenierungen von Mutterschaft, Familie und Verwandtschaft in der visuellen Kultur und den darstellenden Künsten der Gegenwart zu untersuchen« (S. 24). Ihre Studie zeichnet sich durch ein in mehrfacher Hinsicht facettenreiches Korpus aus:

      »Die Arbeit analysiert Inszenierungen von Mutterschaft und Familie in der zeitgenössischen Kultur. Künstlerische Diskurse wie Theater, Tanz, Performance und bildende Kunst begreift sie als Teil der kulturellen Praxis, die Gesellschaft begründet. Sie geht mithin von einem kulturwissenschaftlichen Ansatz aus, demzufolge Gesellschaft als ein plurales Ensemble von Diskursen gesehen wird, die als Texte zu lesen und analysieren sind. Künstlerische Praktiken oder theoretische Texte haben diesem Verständnis nach grundsätzlich denselben Stellenwert wie alltägliche oder massenmediale Praktiken; […] Kultur wird als ständiger, performativer Prozess verstanden« (S. 25).

      Aufgrund der Betrachtung verschiedener Medien erfolgt in Dreysses Untersuchung das Gewahrwerden einer »Medienspezifik des Mutterbildes« (S. 17). Die Autorin verweist darauf, dass das Theater im 18. Jahrhundert einen Sonderstatus im Hinblick auf Mutterfiguren besitzt. Im Unterschied zur Präsenz idealer Mutterbilder in der bildenden Kunst, erscheint die Mutter in bürgerlichen Trauerspielen bestenfalls randständig (S. 16). Diese Diskrepanz hängt Dreysse zufolge möglicherweise mit einer Ineinssetzung von Mutter und Natur zusammen, »die sie aus der symbolischen Ordnung ausschließt, und die zwar mit den Mitteln der bildnerischen Gestaltung, nicht aber im Medium des handlungs- und sprachbasierten Sprechtheaters darstellbar ist« (S. 150). Als Gemeinsames zwischen diesen beiden Medien werden Darstellungskonventionen, die der ersichtlichen Repräsentation entgegenlaufen (S. 200), ausgemacht. Mit Blick auf die Gegenwart beobachtet die Autorin ein werbespezifisches Arrangement von Müttern und Vätern: »Während Mutterfiguren in der Werbung für Baby- und Kinderprodukte sowie Haushaltswaren inszeniert werden, kommen Vaterfiguren beispielsweise in der Kfz-Werbung vor, wenn ein Auto als Familienauto vermarktet werden soll« (S. 39). Sie zeigt anhand zahlreicher Beispiele die künstlerische Inszenierung pluraler und vielfältiger Familienformen.

      Inwiefern stellt nun mein medienkulturwissenschaftlicher, mediensyntagmatischer Ansatz eine methodologische und heuristische Erweiterung dar? Geht doch schon Dreysse davon aus, dass »Medien […] für die Alltagspraxis eine zentrale Rolle [spielen], gerade auch solche medialen Bilder, die Teil der Alltagsrealität sind, aber nur beiläufig rezipiert werden, wie etwa die Werbung« (S. 17). Sie untersucht u.a. »visuelle Konstruktionen von Mutterschaft in der gegenwärtigen populären Kultur«, wobei »Beispiele aus der kommerziellen Werbung, der Ratgeberliteratur sowie der politischen Kommunikation« (S. 17) herangezogen werden. Besonders beeindruckend ist auch Dreysses Berücksichtigung der Geschichte eines geschlechtlich codierten Dingobjekts, nämlich des Puppenhauses (S. 249).

      Dreysse macht zwar theoretisch keine Rangunterschiede zwischen unterschiedlichen Medien. Tatsächlich aber unterscheidet sie sehr wohl zwischen Kunst, die ihr zufolge dekonstruieren kann, und Manifestationen aus der Werbung, die beispielsweise Geschlechterrollenmuster bestätigen und verstärken: »So einseitig Bilder von Mütterlichkeit in der Werbung und der Ratgeberliteratur diese darstellen, so ambivalent und vielseitig wird Mutterschaft in den Arbeiten zeitgenössischer Künstlerinnen inszeniert.« (S. 116) Der hier präferierte Ansatz ermöglicht über die Annahme einer Medienkultur eine noch weitergehende Beobachtung von in gelebter Beiläufigkeit26 verschachtelten medienkulturellen familienpolitischen Manifestationen der Gegenwart, indem hier andere Medien (etwa Babywelt-Messe, Kalender, Schaufenster, Nachrichtensendung etc.) zusammengestellt und schlichtweg funktional betrachtet werden. Die einzige Vorverabredung, und zwar funktional, ist die Annahme, dass es sich bei den beobachteten Manifestationen um mediale handelt. Indem hier von Medienkultur gesprochen wird, kann der ›kulturelle Ruf‹ der jeweiligen Medien leichter storniert werden. Dreysse geht zwar expressis verbis davon aus, dass künstlerische Praktiken, theoretische Texte und alltägliche oder massenmediale Praktiken den gleichen Stellenwert haben (S. 25). ›Hinterrücks‹ werden doch aber die Medienangebote mit kulturellem Wert versehen, wenn rhetorisch differenziert wird in »künstlerische Praktiken« oder »massenmediale Praktiken«. Der hier vorgeschlagene funktionale Medienbegriff im Mediensyntagma unterläuft die Ordnung von Dreysse, in der ein Unterschied zwischen Alltagskultur und Kunst entgegen erklärten Absichten letztlich doch aufrechterhalten wird. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die rhetorische Einordnung in »künstlerische Praktiken« oder »massenmediale Praktiken« folgenreich ist. Ist es da nicht unvoreingenommener, ergebnisoffener, antipräskriptiver, von Medienkultur zu sprechen? Ich bevorzuge eine antipräskriptive(re) Erfassung von Medien in der Medienkultur (etwa eines Kalender als Medium, der Babywelt-Messe als Medium, von Werbung als Medium) in Abgrenzung zu doch institutionalisiert aufgefächerten Klassifikationen wie beispielsweise »populäre[r] Kultur«, bildende[r] Kunst« oder »Performance-Kunst« (S. 17).

      Zwar gehe ich ebenso wie Dreysse von kulturellen Ambivalenzen (beispielsweise S. 10, S. 14), von familienbezogener Vielfalt und Stereotypen (S. 48), vom politischen Charakter von Fa­mi­lia­li­tät (S. 9), von Widersprüchlichkeit (S. 113), von der Herstellung im Sinne des »Doing Family« (S. 12), von Historizität (S. 14) und von Naturalisierungs- und Entnaturalisierungstendenzen (S. 9) aus, differenziere jedoch funktional nicht zwischen »stereotype[r] Darstellung oder aber dem offensichtlichen Spiel mit stereotypen Familienbildern« (S. 17). Vielmehr soll im Rückgriff auf neueste Medientheorien funktional von medialen Ostentationen (die bei Werbung und Theater strukturäquivalent sind) und im medienkulturwissenschaftlichen Rekurs auf Diskursanalyse von medienkulturellen Zeigbarkeiten (völlig unabhängig von Dekonstruktion und Reproduktion) die Rede sein. Damit sollen die Verdienste der Arbeit von Dreysse keineswegs in Abrede gestellt werden. Zugutezuhalten ist ihr, dass sie keine einseitige Verknüpfung von Theater und Dekonstruktion vornimmt27, aber gewahrt bleibt doch eine Vorrangstellung bestimmter institutionalisierter Medien, wenn kommuniziert wird:

      »Der Raum des Theaters bietet die Möglichkeit, zwingende Wiederholungen von Identität zu verfehlen und aufs Spiel zu setzen und auf diese Weise naturalisierte Annahmen über Mutterschaft und Familie zu dekonstruieren.«28

      Führen nicht auch andere, bisher in ihren ostentativen Funktionen weniger beachtete Medien (wie etwa eine Messe) »die historische, diskursive und immer auch heterogene Konstruktion von Familie vor Augen«29? Die Frage nach einer möglichen medialen Dekonstruktion und/oder Reproduktion von Stereotypen wird in meinem Ansatz nicht anhand des jeweiligen Mediums entschieden. Dieses macht (lediglich oder bzw. überhaupt erst) wahrnehmbar30. Die Frage nach Dekonstruktion oder Reproduktion wird schlichtweg an die Medienkultur delegiert. Damit geht einher, dass antipräskriptiv Qualifikationen vom Medium weg an die Medienkultur abgegeben werden. Diese Tage um den Jahreswechsel 2016/17 sind von Diskussionen um Fake News im Internet und der pauschalen Diffamierung der ›vierten Gewalt‹ als »Lügenpresse« geprägt. Innerhalb eines poststrukturalistischen Designs kann es zwar bestenfalls um ein mehr oder weniger wahr gehen, gleichfalls leugne ich nicht die Feststellbarkeit der Falschheit bestimmter Aussagen. Jede diesbezügliche Feststellbarkeit lässt sich aber erst im Nachgang verorten, im medienkulturellen Nachgang. Das Medium spricht nicht aus: »Ich bin eine Fake News«. Der zu diesem Zeitpunkt noch designierte US-Präsident Donald Trump klassifiziert schlichtweg in einer Pressekonferenz den Fernsehsender CNN als »Fake News«31. Hätte das Medium interne Mechanismen zur (Selbst)Klassifikation als Falschnachricht oder Wahrnachricht (gleichsam zur Dekonstruktion oder Reproduktion) würde eine solche Behauptung überflüssig. Dass sie dies nicht ist, zeigt eindrucksvoll das Beispiel der deutschen Politikerin Renate Künast, die sich auf dem Rechtsweg gegen eine Falschnachricht zur Wehr setzen muss. Das folgende Zitat ist eine Nachricht über die Falschnachricht und damit eine Klassifikation der Falschheit des vermeintlichen Statements im medienkulturellen Nachgang:

      »Seit dem vorigen Wochenende hatten […] mehrere Facebook-Seiten ein Foto der Politikerin samt einem vermeintlichen Zitat gepostet, wonach Künast über