Erst jüngst ist nun eine Studie erschienen, die in medientheoretischer und medienhistorischer Aufarbeitung und Dekonstruktion einen neuen und äußerst fruchtbaren Medienbegriff konzipiert. Neues und Anderes, gerade Wissenschaft, kann in der vorliegenden Arbeit auch deshalb erzeugt werden, weil hinsichtlich des präferierten (weiten) Medienbegriffs auf die vor kurzem erschienene Studie Das Erscheinen des Mediums. Autoreflexivität zwischen Phänomen und Funktionen (2015) von Martin Mann zurückgegriffen wird. Im Hinblick auf die vorliegende Arbeit erweisen sich mindestens zwei miteinander verbundene Aspekte der Untersuchung von Mann als zentral. Der Autor zeigt, dass dem Kunstwerk Elemente aus dessen Außenraum einkopiert sind, wodurch es sich zu sich selbst verhält53. In Abkehr von der Transparenzthese geht er davon aus, dass »Medien ihr eigenes Medialisieren immer auch aus[stellen]«54 und »ihr Erscheinen zum Erscheinen [bringen]«55. Zum Ausdruck kommt damit eine das Medium als solches im Vollzug stiftende Eigenwendung. Strenggenommen kann erst mit einem erkenntnisleitenden Medienbegriff Medienkulturwissenschaft, und damit die Produktion von Erkenntnissen via Beobachtung einer Medienkultur, betrieben werden. Medienkulturwissenschaft kann sich erst dann erkenntnisorientiert entfalten, wenn die Berücksichtigung der Eigenschaften von Medien, und nur von Medien, einen Mehrwert generiert, den es sonst nicht gäbe. Die Medienkulturwissenschaft könnte ansonsten einfach auf den Terminus Medien verzichten. Anders formuliert: Medienkulturwissenschaft benötigt substantiell die Auseinandersetzung mit Medien als Medien, um einen Unterschied zu erzeugen, um Medienkulturwissenschaft zu sein. In Anlehnung an Mann kann gerade die selbstbedingende Passung der Medien, »nicht rein unauffällig (störungsfrei)«56 zu funktionieren, ein sinnlich wahrnehmbares Phänomen57 zu sein, medienkulturwissenschaftlich gewendet werden, und zwar insofern als »die Störung konventioneller Medienprozesse [hochgradig produktiv] sein kann.«58 Krämer, auf die Mann vielfach zurückgreift59, macht deutlich, dass Medien nicht einfach Sinn und Bedeutung vermitteln60. Sie haben aber laut Krämer eine wichtige Funktion: »Medien phänomenalisieren, sie machen wahrnehmbar.«61 Mann formuliert denn auch in Anschluss an Krämer:
»Sowohl Medium als auch Performanz sind in dieser Perspektive demnach erstens als Ereignis (also als Momente, die bei ihrem Entstehen schon wieder vergehen) und zweitens als Inszenierung (also als gerahmtes Geschehen) zu verstehen.«62
Das Medium ist demnach ereigniskonstituierter Schauplatz63.
Nach Konturierung des verwendeten Medienbegriffs kann nun der erkenntnisleitende Terminus Manifestation erläutert werden. Wenn ich in der vorliegenden Arbeit von familienpolitischen Manifestationen in unserer Medienkultur spreche, dann sind damit herausgehobene, als arrangiert-verdichtet zu kennzeichnende, konstruktiv-spielerische – dadurch nicht minder reale – Momente gemeint, welche die Medienkulturwissenschaft als ostentativ charakterisieren kann. Eine symptomatische familienpolitische Manifestation ist, und zwar insofern, als sie medienkulturwissenschaftlich gesehen als emphatisch gelten darf, eine Sequenz der Folge Onkel Doktor Cooper64 aus der Sitcom The Big Bang Theory (USA 2007-, CBS, Warner Bros. Entertainment; AMAZON VIDEO). Als emphatisch kann nun gerade die plakative Ineinssetzung von ›Schwangerschaft und Krankheit‹ sowie die je perspektivisch-konträre Bewertung von Schwangerschaft und Geburt (ultranüchtern versus emotional) in der Konfligierung aufgefasst werden. Emphase zeigt sich auch durch den dargebotenen Zynismus, wenn ein Motorradunfall des Vaters als glücklicher Umstand kommuniziert wird, der Absenz bei der Geburt des eigenen Kindes erlaubt, oder in der vollends absurden Korrelation der Dauer der Geburt mit der Zeit auf der High School.
Ich gebe nun den Dialog zwischen Sheldon (Jim Parsons), Leonard (Johnny Galecki), Amy (Mayim Bialik) und Penny (Kaley Cuoco) wieder:
»Sheldon: Ich muss gleich weg.
Leonard: Wohin?
Sheldon: Nach Texas.
Amy: Jetzt sofort? Wieso?
Leonard: Ist jemand krank?
Sheldon: Ja, der Uterus meiner Schwester brütet im Moment ein Baby aus.
Penny: Oh, sie ist schwanger. Das ist ja toll. Dann wirst du ja Onkel – Onkel Sheldon.
Sheldon: Was, nein. Ich bin dann Onkel Dr. Cooper.
Amy: Warum hast du nie erzählt, dass sie schwanger ist?
Sheldon: Ich hab dir auch nicht gesagt, dass mein Bruder Nierensteine hat. Willst du alles wissen, was aus den Genitalien meiner Familie kommt?
Leonard: Ich gratuliere, schön für deine Schwester, dass du dabei sein wirst.
Sheldon: Naja, ich springe für ihren Ehemann ein, der sich noch von einem ganz furchtbaren Motorradunfall erholt – der Glückliche.
Penny: Wow. Und wie lange wirst du weg sein?
Sheldon: Tja, der Geburtstermin soll morgen sein. Allerdings hat sie sechs Jahre für die High School gebraucht. Also, wer weiß« (B 00:00:30).
Festgehalten werden kann also, dass eine Verstrickung von ›Schwangerschaft und Krankheit‹, konkurrierende normative Geburtsvorstellungen, eine bestimmte väterliche Absenz-Position via Zynismus sowie Geburtsterminologie qua Absurdität als Echo widerhallen.
Eine weitere familienpolitische Manifestation entfaltet sich herausgehoben durch ein intermediales Arrangement (etwa B 00:03:02 und B 00:03:46), in dem Sheldon innerhalb der Metadiegese via iPad abwertend-normativ die Geburtskonzeption seiner Schwester (»Hausgeburt«) erzählt, wobei diese erneut in der Gegenrede von Raj (Kunal Nayyar) konfligiert wird.
Durch die serielle Verschaltung unterschiedlicher Darbietungen (vom Klingeln bis hin zur Metadiegese) des iPad qua Einstellungsgrößen wird gerade die Aufmerksamkeit auf das iPad gelenkt, und zwar verstärkend, indem ein wunderlicher Okkasionalismus65 (»Fruchtwasserschlitterbahn«) installiert ist. Ich gebe nun den Dialog wieder:
»Penny: Hey, wie geht’s deiner Schwester?
Sheldon: Sie hat seit knapp einer Stunde ihre Wehen.
Amy: Das ist wunderbar, seid ihr im Krankenhaus?
Sheldon: Nein, sie wollte eine Hausgeburt. Ihr Lebensstil gleicht gewissermaßen dem in der Steinzeit, und eine Höhle ist gerade nicht verfügbar.
Raj: Weißt du, viele Leute glauben, dass eine Hausgeburt besser ist, weil die Mutter in einer angenehmen, vertrauten Umgebung ist und ihre Liebenden [sic!] sie pflegen können.
Sheldon: Und dort den Schlafzimmerfußboden in eine Fruchtwasserschlitterbahn verwandeln« (B 00:03:22).
Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass Geburtskonzeptionen wie etwa eine Hausgeburt und kulturell damit verbundene Klischees (vertraute Umgebung) sowie ihre konträre Kritik und damit einhergehende Konnotationen (wie etwa Fragen zum Lebensstil) als konfligierende herausgehoben sind. Eingedenk der konstitutiven Verschachtelung von Medien und Familienpraxis ist es demnach auch kein Zufall, dass Sheldon durch Aufforderung einer weiblichen Stimme aus dem Off, die zum Familienfoto während des Geburtsvorgangs