Medienkulturelle Manifestationen gegenwärtiger Familienpolitik. Miriam Preußger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Miriam Preußger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000508
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muss ihm aber jetzt trotzdem helfen.‹«32

      Künasts vermeintliche Stellungnahme (›Der traumatisierte junge Flüchtling hat zwar getötet, man muss ihm aber jetzt trotzdem helfen.‹) klassifiziert sich nicht selber als falsch.

      Diese prekären Beispiele illustrieren, dass zunächst einmal die mediale Aushandlung etwas wahrnehmbar macht. Wie und vor allen auch wozu dies dann wahrgenommen wird (zur Dekonstruktion oder Reproduktion etwa), wird in der Medienkultur ausgehandelt.

      Mein Augenmerk liegt auf der Beobachtung von medialen Manifestationen in der Medienkultur, die sich signifikant von der Beobachtung von Manifestationen in einem Film, in einem Theater oder »in den Medien« unterscheidet. Ich halte es nämlich für irreführend, einerseits eine umfassende Untersuchungsebene zu suggerieren und andererseits diese durch Fokussierung auf bestimmte Medien zurückzunehmen, wie dies indes in der Forschung immer wieder durchaus geschieht. So fokussiert der Titel des Aufsatzes von Sigrid Graumann Die Rolle der Medien in der öffentlichen Debatte zur Biomedizin33 zwar auf ein weites Untersuchungsfeld, widmet sich dann aber ausschließlich Zeitungen und Zeitschriften, was nichtsdestoweniger als »Medienanalyse« (S. 212) deklariert wird. Ich übe keine Kritik an einer ausschließlichen Untersuchung der Berichterstattung in Presseerzeugnissen, schon gar nicht an ihren Untersuchungsergebnissen. Ich halte jedoch den zugrunde liegenden Medienbegriff mit seinem synekdochischen Gestus für pro­ble­ma­tisch. Die im Titel angekündigte »Rolle der Medien« (S. 212), die »Medienanalyse«, die »Medienwirklichkeit« (S. 214), die »mediale […] Pro­ble­ma­tisierung« (S. 227) ist synekdochisch verengt auf eben Massenmedien, die neben anderen Medien freilich auch Medien sind. Wenn der Autorin zufolge Pluralismus von Werten und Normen in den untersuchten Beiträgen zur Geltung kommt, dann ist nicht klar, wie dieser in der Medienkultur zu verorten ist:

      »Der Pluralismus von Werten und Normen kommt in journalistischen Beiträgen dadurch zur Geltung, dass in der Regel Pro- und Kontra-Positionen, dem Anspruch einer ausgewogenen Darstellung von Problemen gemäß, gegenübergestellt werden« (S. 241) 34.

      Roses und Schmied-Knittels Aufsatz35 wird vorgestellt, weil er den wichtigen Terminus »hybride Verschleifungen« (S. 97) konturiert, der direkt auf Bergmanns Arbeit bezogen werden kann. Letzterer arbeitet die Gleichzeitigkeit scheinbar konträrer Momente assistierter Reproduktion heraus. Die Thesen von Lotte Rose und Ina Schmied-Knittel sind in mehrerlei Hinsicht für meine Überlegungen wichtig. Die Autorinnen arbeiten das ambivalente Zusammenspiel und Auseinanderspiel von zwei geburtlichen Konzepten heraus, und zwar einerseits die noch nicht abgeschlossene Medikalisierung, Hospitalisierung und Technisierung des Geburtsgeschehens sowie andererseits eine De-Medikalisierung und Re-Naturalisierung seit den 70er Jahren (S. 75). »Re-Traditionalisierungen und Ent-Traditionalisierungen greifen auf eine paradoxe Weise ineinander« (S. 86). Entscheidungssituationen expandieren (S. 89–90), wobei daraus ein Verlust an traditionellen Sicherheiten resultiert. Rose und Schmied-Knittel zufolge stellt das Natürlichkeits- und Traditionsdispositiv eine Entlastung von Entscheidungszwängen für das Individuum dar (S. 90).

      Sven Bergmanns Arbeit Ausweichrouten der Reproduktion. Biomedizinische Mobilität und die Praxis der Eizellspende kann im Kontext von »hybriden Verschleifungen«36 als bahnbrechend bezeichnet werden. In dieser jüngst erschienenen Monografie nimmt der Autor hochgradig facettenreich verschiedene (vor allem profan-trivial alltägliche37) Praktiken und Akteur_innen im topografischen Umfeld assistierter Reproduktion unter die Lupe. Im Hinblick auf die vorliegende Arbeit sind vor allem die herausgearbeiteten Naturalisierungsstrategien von Unkonventionellem, von Ausweichrouten (etwa beim Transfer einer fremden Keimzelle38) interessant (beispielsweise S. 50). In seiner Arbeit spürt Bergmann über den performativen Begriff der »Choreografie«39 antiessentialistisch und praxisorientiert transnationalen, mobilen Aushandlungsprozessen, ›Aufführungen‹40 nach, in denen De- und Renaturalisierungen zu beobachten sind. Entsprechend formuliert er:

      »Mein Augenmerk liegt dabei auf den verwobenen Choreografien von Naturen, Kulturen, Kultivierung (nurture), Körpern, Geschlecht, Raum und Zeitlichkeit, Symboli­ken von Blut und Genen und dem Sozialen, die alle in diesem Feld versammelt sind und – manchmal in unerwarteter Weise – miteinander in Kontakt treten« (S. 230–231).

      Diese Beobachtung allgemeinen Verwobenseins exemplifiziert er an verschiedensten Situationen im Umfeld von Reproduktionsmedizin. Er zeigt beispielsweise, dass im Kontext assistierter Reproduktion Strategien wie die klinische Inszenierung des Embryonentransfers als Beginn des ›Wunders der Schwangerschaft‹ oder die Betonung des leiblichen Erlebens von Schwangerschaft41 in den Reproduktionsprozess integriert werden (besonders S. 231–240, S. 264). Unkonventionelles wird also naturalisiert. Mit Blick auf Bergmanns oben zitierte allgemeine Aussage interessiere ich mich vor allem für die unerwartete, paradoxe (S. 272) oder widersprüchliche (S. 266) Verwobenheit (beispielsweise Rationalität und Mystik (S. 235)). In seiner Arbeit, die auch auf die Aktor-Netzwerk-Theorie rekurriert, erweist sich gerade die Fokussierung auf Gleichzeitigkeit (S. 229, S. 240, S. 266, S. 272), ein Wechselspiel (S. 266, zum Wechseln und Pendeln siehe S. 238), einen Zwischenraum (S. 228) sowie auf Doppelseitigkeit (S. 278) als äußerst fruchtbar. Bergmann macht deutlich, dass im Kontext der Reproduktionsmedizin simultan zweierlei unterschiedliche (insofern ist dies mindestens paradox und unerwartet) Phänomene, und zwar substanzielle und prozessuale, gekoppelt werden (S. 240). Bergmann präpariert in seinem Panorama gegenwärtiger Reproduktionschoreografien demnach die gleichzeitige Kopplung verschiedener Phänomene heraus. Daneben charakterisiert er die »Schwellensituation des Labors« als »Zwischenraum«:

      »An allen bisher resümierten Dynamiken zeigt sich die Schwellensituation des Labors, in vielen Fällen auch als ein Zwischenraum, in dem sich die zukünftige Laufbahn von Keimzellen entscheidet. Die Praxis der Fürsorge für die Zellen operiert an einer flexiblen Schwelle von Naturen/Kulturen, an der De- und Renaturalisierungen gut choreografiert werden sollen« (S. 228).

      Ich werde in Kapitel 4 auf die von Bergmann skizzierte ›Gleichzeitigkeit‹ von Natur/Kultur zurückgreifen. Auf der Grundlage eines erkenntnisleitenden Medienbegriffs und eines medienkulturwissenschaftlichen Ansatzes kann jedoch in einer metapraktischen Erweiterung dazu gezeigt werden, dass sich die ›hybriden Verschleifungen‹ aus Natur und Kultur/Technik ostentativ in unserer Medienkultur manifestieren.

      Ich konzentriere mich demnach nicht wie von Wülfingen in ihrer Analyse ausschließlich auf Expertendiskurse42 (1995–2003), nicht wie Graumanns43 (1995–2001) und Diekämpers44 (1995 und 2010) Medienanalysen ausschließlich auf Zeitungen und Zeitschriften, nicht wie Kailer auf populäre Spielfilme45, sondern fokussiere gerade auch auf (bisher noch nicht in einer Untersuchung zusammengedachte) verschiedene und unorthodoxe medienkulturelle Aushandlungen.

      2. Methodologie: Medienkulturwissenschaft und diskursanalytische Werkzeuge

      Die in der Einleitung (Kapitel 0) beispielorientiert profilierte mediensyntagmatische Herangehensweise wird in der vorliegenden Arbeit durch diskursanalytische Werkzeuge ergänzt. Foucault selbst charakterisiert seine Bücher als »Werkzeugkisten«, aus denen man Sätze, Ideen oder Analysen herausgreifen kann:

      »Alle meine Bücher, sei es ›Wahnsinn und Gesellschaft‹ oder dieses da [Überwachen und Strafen, M.P.], sind, wenn Sie so wollen, kleine Werkzeugkisten. Wenn die Leute sie aufmachen wollen und diesen oder jenen Satz, diese oder jene Idee oder Analyse als Schraubenzieher verwenden, um die Machtsysteme kurzzuschließen, zu demontieren oder zu sprengen, einschließlich vielleicht derjenigen Machtsysteme, aus denen diese meine Bücher hervorgegangen sind – nun gut, umso besser.«1

      In den Formulierungen »diese oder jene Idee« und »Analyse als Schraubenzieher« drückt sich die Vorstellung eines undogmatischen Umgangs mit diskursanalytischem Theoriedesign aus. In Anlehnung an diese Beschreibung von Foucault geht es in der vorliegenden Arbeit gerade auch um die Verwendung diskursanalytischer Sätze, Ideen und Analysen als Werkzeuge, also als ergänzende Hilfsmittel. Die Arbeit versteht sich unzweifelhaft als eine medienkulturwissenschaftliche, die erstens von einem weiten und erkenntnisleitenden Medienbegriff ausgeht, zweitens die Synchronizität von disparaten und unorthodoxen Medien und (familialer) Lebenspraxis betont und drittens nicht auf Aushandlungen in den Medien, sondern auf