In seinen Texten zur Musik zeigt sich, daß Luther dieser Tradition verbunden bleibt und gleichzeitig über sie hinausgeht: Er integriert die traditionellen Aussagen in seine eigene, auf seinem theologischen Ansatz basierende Anschauung. Dies wird in den folgenden Punkten zur Musikanschauung Luthers deutlich.
Musik als Abbild der kosmischen Harmonie
In seiner Vorrede zu den Symphoniae iucundae von Georg Rhau (1538)1, bezeichnet er sie als donum dei, creatura dei, als Schöpfungsgabe Gottes. Sie ist „von Beginn der Welt an mitgeschaffen und der Schöpfung innewohnend“2.
Mit solch einer Aussage umschreibt er die gelehrte, pythagoreische Tradition, nach der sich in der Musik der wohlgeordnete Kosmos und sein Ordnungsprinzip abbildet: Das System der Musik beruht auf Zahlenproportionen, die der Geordnetheit, der Harmonie allen Seins zugrunde liegen.
Weiter sagt er von der Musik, „das sie aller bewegung des Menschlichen hertzen eine Regiererin, jr mechtig und und gewaltig ist, durch welche doch offtmals die Menschen, gleich als von jrem Herren, regiert und überwunden werden. Denn nichts Auf Erden krefftiger ist, die Trawrigen frölich, die Frölichen trawrig, die Verzagten hertzenhafftig zu machen, die hoffertigen zur Demut zu reitzen, die hitzige und übermessige Liebe zu stillen und zu dempffen, den neid und hass zu mindern …, die leute entweder zu tugend oder zu laster zu reitzen …“
Es spiegelt sich die antike Anschauung: Von der musica mundana, die sich auf die Bewegung der Sphären (Sphärenharmonie) und die Abfolge der Jahreszeiten als Zusammenordnung der Elemente, also die Ordnung im Makrokosmos bezieht, unterscheidet man die musica humana, die die Harmonie des menschlichen Mikrokosmos bewirkt: sie zeigt sich im Wirken der Temperamente, der Glieder und Organe, im Verhältnis zwischen Seele und Leib wie dem Gleichgewicht der seelischen Kräfte.
Die Seele ist nach pythagoreisch-platonischer Auffassung aus konsonierenden Zahlen zusammengefügt, darum kann die erklingende Musik Einfluß auf sie nehmen.3
Diese Anschauung ist unübersehbar im zitierten Text Luthers: die Fähigkeit der Musik, auf Seelenzustände Einfluß zu nehmen, wie auch das Ideal eines maßvollen Verhältnisses der seelischen Zustände und der Zügelung der Leidenschaften ist hier abzulesen.
Luther führt auch biblische Beispiele für den Einfluß der Musik auf die Seele an: „Wie denn im Könige Saul angezeigt wird, uber welchen, wenn der Geist Gottes kam, so nam Dauid die Harffen und spielet mit seiner Hand, so erquicket sich Saul, und ward besser mit jm, und der böse Geist weich von jm.“
Indem die Musik die menschlichen Affekte beherrscht, schützt sie vor der Versuchung durch den Teufel. So rät er im Brief an Organisten Matthias Weller 1534: „Wenn ihr traurig seid, und will uberhand nehmen, so sprecht: Auf! Ich muss unserem Herrn Christo ein Lied schlagen auf dem Regal …: denn die Schrift lehret mich, er höre gern fröhlichen Gesang und Saitenspiel.Und greift frisch in die claves und singet drein, bis die Gedanken vergehen, wie David oder Elisäus taten. Kommet der Teufel wieder und gibt Euch ein Sorge oder traurige Gedanken ein, so wehret Euch frisch und sprecht: Aus, Teufel, ich muß itzt meinem Herrn Christo singen und spielen“4.
Hier wird die Bedeutung hörbar, mit der bei Luther die menschlichen Grundaffekte „Freude“ und „Traurigkeit“ belegt sind: Traurigkeit ist darin begründet, daß der Teufel Besitz vom Menschen ergriffen hat, sie ist also Zeichen des Unglaubens; Freude ist Zeichen der Herrschaft Christi über den Menschen, Zeichen des Glaubens.
Luther stellt Theologie und Musik einander gleich in der Hinsicht, daß nur diese beiden „Ruhe und ein fröhliches Herz“, d.h. den Glauben, bewirken können. So schreibt er: „Es liegt klar zutage, daß der Teufel, der Urheber aller traurigen Sorgen und verwirrenden Unruhen, vor dem Klang der Musik gleichsam flieht, so wie er auch vor dem Wort der Theologie flieht.“5
Indem die Musik also als musica humana auf menschliche Affekte Einfluß hat, erweist sie sich nicht nur als Lenkerin des menschlichen Mikrokosmos, sondern auch als dem Teufel ebenbürtige Macht, weil in ihr Christus am Werk ist.
Musik als Verkündigung
Im Verständnis Luthers ist die Musik besonders geeignet, dem Gotteswort den Boden zu bereiten. Darin kann er sich auf Gabriel Biel berufen, bei dem die Musik drei Aufgaben hat: Die Seele zu erfreuen, Andacht zu wecken und die Aufmerksamkeit für das Gotteswort zu erhöhen.
Dies hat Luther in seinem Gedicht „Frau Musica“ formuliert: „Zum Göttlichen Wort und wahrheit macht sie das Hertz still und bereit.“ Er verweist auf den Propheten Elisa, „welcher, so er weissagen sol, befihlt er das man jm ein Spielman brengen sol, Und da der Spielman auff der Seiten spielet, kam die Hand des Herrn auf jn“.
„In Verbindung mit künstlerischer Musik“ entzünden die Dinge den Geist heftiger und stärker.1 Mit dem gesungenen Wort wird demnach mehr der „affectus“ als der „intellectus“ angesprochen.
Darüber hinaus ist die Musik selber Trägerin des Gotteswortes: „Darumb haben die heiligen Veter und die Prophteten nicht vergebens das Wort Gottes in mancherley Gesenge Seitenspiel gebracht, dauon wir denn auch so mancherley köstliche Gesenge und Psalm haben, welche beide mit worten und auch mit dem gesang und klang die hertzen der Menschen bewegen.“2
Die Bedeutung der Musik für die Verkündigung liegt in der ntl Botschaft begründet.
Luther betont, daß das Reich Christi auf das Wort gegründet ist, das nur durch die Sinnesorgane Ohren und Zunge zu fassen ist: „Das Wort fassen die ohren, und das hertz gleubets, Die zunge aber redets oder bekennets“3
Das Hören des Wortes schafft Glauben, i.S. seines im Anschluß an Röm 10,17 entwickelten Konzeptes „fides ex auditu“4. Bei Luther stehen Reden und Singen des Wortes Gottes auf einer Ebene; dies zeigt sich u.a. im oft auftauchenden Begriffspaar „singen und sagen“, in Aussagen wie „Das Wort Gottes will gepredigt und gesungen sein“5 oder in der Formulierung der Absicht, die er mit dem Geystlichen Gesangkbüchlein verfolgt, daß die Lieder darin „das heylige Evangelion, so itzt von Gottes Gnaden widder auffgegangen ist, … treyben und ynn schwanck … bringen“ sollen6. Singen erweist sich darin selbst als eine Form des Evangeliums.7
Musik als Bekenntnis
Darüber hinaus weist das eben gen. Zitat auf das Bekenntnis als weitere Dimension der Musik hin: „Das Wort fassen die ohren, und das hertz gleubets, Die zunge aber redets oder bekennets“.1
Die Bedeutung des Bekennens in der Musik findet sich auch in der Vorrede zum Babstschen GB: „Also ist nu im newen Testament ein besser Gotts dienst / dauon hie der Psalm sagt / Singet dem HERRN ein newes lied / Singet dem HERRN alle welt. Denn Gott hat unser hertz und mut frölich gemacht / durch seinen lieben Son / welchen er für uns gegeben hat zur erlösung von sunden / tod und Teuffel. Wer solchs mit ernst gleubet / der kans nicht lassen / er mus frölich und mit lust dauon singen und sagen / das es andere auch hören und herzu komen. Wer aber nicht dauon singen und sagen will / das ist ein zeichen / das ers nicht gleubet / und nicht ins new fröliche Testament / Sondern unter das alte / faule / unlustige Testament gehöret.“2
Der Glaube, der die Erlösung durch die Dahingabe des Sohnes glaubt, macht Herz und Mut fröhlich, für Luther folgt notwendig aus diesem Glauben das Bekennen, der Glaubende „muß fröhlich und mit Lust“ davon singen und sagen. Dieses nicht seltene Begriffspaar „fröhlich“ und „Lust“ versteht Luther als Ausdruck des Glaubens. Dabei wird das Bekennen wieder zur Verkündigung: andere hören es und werden damit in „das new fröliche Testament“ gerufen. Das Bekennen im Singen zeigt sich hier demnach als notwendige Antwort auf auf den Glauben
Singen als eschatologisches Handeln
Durch diese Vorrede wird dem