Die Passion Jesu im Kirchenlied. Christina Falkenroth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christina Falkenroth
Издательство: Bookwire
Серия: Mainzer Hymnologische Studien
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000157
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mir nützlich ist“ und ausgehend von der Bedeutung, die durch die Einführung in den theologischen Sprachgebrauch durch Martin Luther der „Frömmigkeit“ innewohnt, soll in dieser Arbeit der Begriff verstanden werden: Die Frömmigkeit des einzelnen Menschen besteht in dem Status, in den er durch Gottes heilsgeschichtliches Handeln versetzt worden ist. Im Kreuz Christi kommt Gottes Frömmigkeit, die in Christus personbildend war und ihm so diese Eigenschaft durch die communicatio idiomatum mitgeteilt hat, auf den Menschen, der im Glauben das Leiden und Sterben Christi pro nobis ergreift und als seine Gerechtigkeit vor Gott annimmt.

      Weil diese über das Kreuzesgeschehen dem Glaubenden vermittelt wird, haben alle Äußerungsformen der Frömmigkeit ihren Anfang in der Passionsfrömmigkeit. Im Singen von Passionsliedern bekennt sich der Singende zu diesem Verhältnis von Christus und Glaubendem, in dem sein Handeln allein in der dankbaren Antwort auf das Heilsgeschehen am Kreuz besteht.

      Das Singen zum Lobe Gottes als Übung der Frömmigkeit wird auch von Melanchthon in seiner Vorrede zu den Symphoniae iucundae in diesen christologischen Kontext gestellt:

      „Wie also Christi Worte, Taten oder Wohltaten in Gesang zu feiern nützlich ist, so sollte in besonderer Weise die Musik mit der Geschichte seines Todes verbunden werden. Die Betrachtung über den Tod Christi sollte in der Kirche am meisten gelobt werden: es gibt nämlich nichts Nützlicheres … zum Üben der Frömmigkeit als die Betrachtung jener bewunderungswürdigen Werke. Wir erkennen nämlich in diesem Bild, daß die Barmherzigkeit Gottes unendlich gegen uns ist, dadurch, daß er seinen Sohn für uns zum Sühnopfer machen wollte.“20

      Der Vorbehalt gegen die Frömmigkeit als auf das Innere des Menschen begrenzte Haltung hat in diesem Verständnis keinen Raum; der hier begründete organische Zusammenhang von Glauben und Lebensvollzug führt zur Definition von Frömmigkeit bei Karl-Heinz Ratschow als „Lebensgestalt des Glaubens aus und vor Gott“21.

      

      2 Das 16. Jh. – Passionslieddichtung im Wirkungsfeld Martin Luthers

      2.1 Grundlegung

      2.1.1 Die Passionsauffassung Luthers

      2.1.1.1 „Eyn Sermon von der Betrachtung des heyligen leydens Christi“ von 15191

      Darstellung des Sermons

      Zunächst grenzt sich Luther ab von einer Art und Weise, das Kreuz zu betrachten, die er für nicht fruchtbar hält: nach dem Schuldigen am Tod Jesu zu suchen oder es als magisches Instrument zur Abwehr von Gefahren zu benutzen oder den Wert des eigenen Betrachtens an seiner Zeitdauer oder an dem Grad der Ausgestaltung der einzelnen Episoden aus dem Bericht der Evangelien und der Tradition zu messen.

      Als grundlegende Voraussetzung für eine fruchtbare Betrachtung der Passion gilt ihm das Inbeziehungsetzen des Geschehens am Kreuz durch den Betrachter auf sich selber, i.e. das Wissen, daß dieses um des Betrachters willen geschehen ist. Es hat keinen Nutzen, Gott für Gott zu halten, wenn „er dier nit eyn got ist“1.

      Am Beginn der Betrachtung steht das Erschrecken vor dem Leiden Christi. Der Betrachter erkennt sich selber als den, der dieses Leiden durch seine Sünde verursacht hat. Die Schwere des Leidens, das Gott dem geliebten Sohn abverlangt, und die Tatsache, daß es diese „große unmesliche Person“, die „ewige weyßheyt des vatters“2 ist, die selbst das Leiden erträgt, ist Hinweis auf den Ernst der Situation des Sünders vor Gott. Das Erschrecken wird auch durch das Wissen um die viel größere Strafe, die ihn selber in dieser Situation aufgrund seiner Sünde erwarten würde, genährt. Das erste Teilziel der Betrachtung ist erreicht, wenn „der mensch zu seyns selb erkentniß kumme und fur yhm selbs erschrecke und zurschlagenn werde“3. Hier liegt der „nutz“ der Betrachtung: Indem der Betrachter im Gewissen gemartert wird wie Jesus an Leib und Seele, erfährt er dessen Leiden an sich selber und wird ihm darin gleichförmig.

      Das Bedenken von Gottes Leiden wandelt den Menschen „weßenlich“, i.e. in seinem Wesen, in seiner existentiellen Beschaffenheit. Es bewirkt den Tod des alten Adam, den Verlust der Zuversicht auf selbst geschaffene und als Heilmittel eigenen Verdienstes ersonnene Wege. Der Mensch erlebt wie Christus am Kreuz das Verlassensein von allem, auch von Gott. Das Werk des Leidens Christi erfüllt sich in dieser Erfahrung: die Wandlung, die es bewirkt, kommt der Neugeburt durch die Taufe nahe4.

      Hat die Betrachtung des Leidens Christi diesen Nutzen von Selbsterkennntis und Gleichförmig-Werden erfüllt, soll der Mensch die Sünde nicht in seinem Gewissen lassen. Sie würde im Herzen nur „fressen und beißen“ oder den Menschen dazu bringen, Zuversicht aus falschen Mitteln zu gewinnen zu suchen; aus guten Werken, Genugtuungswerken und Ablaß. Sie würde also wieder zu auf eigenem Handeln beruhenden Werken führen, mit denen er sich von ihr befreien wollte. Sie wären stärker als der Mensch und würden „leben ewiglich“.

      Der Mensch soll sie aber auf Christus schütten, von dem her ihre Erkenntnis auch gekommen ist. Dies soll geschehen im Vertrauen darauf, daß Christus sie mit seinen Wunden und Leiden trägt und bezahlt. Wenn sie auf ihn geworfen sind, soll sich der Betrachter darauf verlassen, daß sie nun überwunden und tot sind.

      Luther führt an dieser Stelle den Begriff der iustitia ein: Nachdem aus dem Leiden Christi die Sündenerkenntnis kam, bewirkt seine Auferstehung unsere Gerechtigkeit.

      Luther sieht hier nun die Möglichkeit, daß der Glaube des Betrachters nicht zur Gewißheit ausreicht, daß die Sünde nun überwunden ist. Für diesen Fall rät er zu einer Möglichkeit, sich zu diesem Vertrauen zu „reizen“. Der Mensch soll nicht mehr auf das Leiden sehen, das ja sein Werk nun getan hat, ihn zu erschrecken. Sondern er soll „durch yhn dringen und ansehen seyn fruntlich hertz“5, das voller Liebe gegen ihn ist, aus der heraus er die Sünde auf sich genommen hat. Diese Erkenntnis bewirkt, daß das Herz des Betrachters Jesus gegenüber „süß“ wird. Indem der Betrachter aber nun weitersteigt zu Gottes Herz, erkennt er die Quelle der Liebe Christi: die ewige Liebe Gottes, die den Sohn aus Gehorsam zu seinem Liebeserweis gebracht hat.

      Am Ende des Erkenntnisvorganges steht nun die Gotteserkenntnis. Hier tut der Mensch recht daran, wenn er Gott nicht bei seinen Eigenschaften der Gewalt oder Weisheit ergreift, sondern bei seiner Güte und Liebe.

      Diesen Erkenntnisvorgang bringt Luther mit der johanneischen Formel „durch Christus zum Vater gezogen“ in Verbindung: Auch dieses Erkennen ist von Gott gewirkt.

      An dieser wie an anderen Stellen des Sermons betont Luther die Alleinwirksamkeit Gottes in der Betrachtung des Leidens Christi. Das rechte Betrachten will erbeten sein und ist Gabe Gottes: das Fruchtbar-werden des Betrachtens, die conformatio, der Glaube, der mit „ganzem Wag“ die Sünde auf Christus schüttet. Es besteht auch die Möglichkeit, daß wir nicht erkennen, wenn Gott so an uns handelt. Auch dieses Nicht-Erkennen unterstreicht wiederum das autonome Handeln Gottes in dem Geschehen.

      In seinem letzten Gliederungspunkt geht Luther auf die Folgen der Betrachtung des Leidens Christi ein: Das Betrachten selber ist ein mehrfacher Erkenntnisvorgang: Die Selbsterkenntnis und Sündenerkenntnis, das Erkennen der Liebe Christi und des Vaters.

      Aus diesem Erkennen folgt, daß nun das Leiden Christi zum Exempel für das ganze Leben wird.

      Hier deutet er den Betrachtungsvorgang nach der augustinischen Unterscheidung von sacramentum und exemplum. Die durch das rechte Betrachten des Kreuzes sich vollziehende Neugeburt des Menschen ist von Gott gewirkt, das Leiden ist also „sacramentum“, „das in uns wirkt und wir leiden“. Darauf folgt nun die Bedeutung des Leidens als „exemplum“, „das wir wirken“:

      Den Anfechtungen des Lebens wie Leiden, Unterworfenheit unter fremden Willen, Anfechtung durch Hoffart, Rachsucht oder Trübsal, können wir begegnen, indem wir uns vor Augen halten, daß unsere Anfechtungen im Vergleich zu denen, denen Christus standgehalten hat, gering sind, oder wir können aus dem Verhalten Christi für das eigene Verhalten lernen und ihn nachahmen.

      Auf diese Weise können wir „Christi Leben in das eigene Leben ziehen“. Implizit wird eine Veränderung