Die Passion Jesu im Kirchenlied. Christina Falkenroth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christina Falkenroth
Издательство: Bookwire
Серия: Mainzer Hymnologische Studien
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000157
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wo er um 1050 starb.

      Die Verbreitung der Sequenz ist auch dokumentiert durch die Tatsache, daß sie in zahlreichen Hss des 11. und 12. Jh. erhalten ist. Ihr liturgischer Ort war die Osternacht.

      Die erste Verdeutschung hat die Sequenz in dem Lied „Christ ist erstanden“ erfahren, das um 1100 im süddeutsch-österreichischen Raum entstanden ist. Ihren Ort hatte sie ebenfalls in der Osterfeier und bildete den Gesang zur visitatio sepulchri. Aus dem 12. Jh. liegt der erste Hinweis auf den Gesang vor, aus dem 14. Jh. die erste vollständige Überlieferung der ersten Strophe mit Neumen.2

      Zu der ersten Strophe kamen im Laufe der Entwicklung zwei weitere als Neudichtung, die nicht vom Inhalt der Sequenz abgeleitet ist. Der erste Abdruck für das evangelische Singen erfolgte 1529 im Klugschen Gesangbuch. Auch im römisch-katholischen Singen wurde es weiterbearbeitet; ein Zeugnis davon ist im Gesangbuch von Johann Leisentritt von 1567 zu finden, in dem zwei Varianten des Liedes vorhanden sind.

      Luther betitelte das Lied „Christ lag in Todesbanden“ als „Der Lobgesang Christ ist erstanden gebessert“. Diese Überschrift bezíeht sich weniger auf die Faktur des genannten Liedes, denn es besteht lediglich Substanzgemeinschaft bezüglich der Melodie und des Textes der ersten Strophe. Eher zeigt die Überschrift, daß er sich mit seinem Lied in die Tradition einreihen möchte, die mit dem Lied „Christ ist erstanden“ verbunden ist.

      2.2.2 Der Liedtext

      2.2.2.1 Kommentar

      Die erste Strophe kann als vorangestelltes Summarium des Liedes angesehen werden: In ihr ist formuliert, was Christus getan hat und wie „wir“, die Glaubenden, darauf antworten.

      Christus, der um der menschlichen Sünde willen in die Gefangenschaft des Todes gegeben war, ist auferstanden und hat so den Menschen das Leben gebracht. Die angemessene Reaktion des Menschen darauf ist Freude und Gesang, Dank und Gotteslob, das sich im Ruf „Halleluja“ ausdrückt.

      Schon hier ist im Text das Schicksal Jesu Christi mit dem der Singenden verbunden: „für unsre Sünd gegeben, und hat uns bracht das Leben, des wir sollen …“ Das Geschehen wird nicht unabhängig vom Sünder betrachtet, sondern als Ereignis „pro nobis“ verstanden.

      Der Tod Jesu ist hier entsprechend der ntl Deutekategorie der Dahingabeformel: „für unsere Sünde gegeben“ gedeutet.

      Die Strophen 2 bis 5 entfalten das Heilsgeschehen anhand verschiedener Bilder, mit denen es beschrieben werden kann.

      In der zweiten Strophe wird die Gewalt des Todes über die Menschheit gemäß der Theologie des Paulus begründet. „Kein Unschuld war zu finden“: Die Gesamtheit der Menschen ist der Sünde verfallen und damit dem Tod, der durch die Sünde in die Welt gekommen ist; „Der Tod ist der Sünde Sold“ (Röm 6,23). Dieser Todesverfallenheit wäre nur durch Unschuld zu entkommen, die aber keinem Menschen zuschreibbar ist. Darum konnte der Tod Herrschaft über uns gewinnen und „uns in seim Reich gefangen“ halten.

      Im Hintergrund steht die Lehre von der Sünde, die durch einen Menschen in die Welt gekommen ist (Adam-Christus-Typologie, Röm 5), die sich zur Lehre von der Erbsünde geformt hat, an der Luther festgehalten hat. Nicht mit dem Blick auf das handelnde Ich, sondern als unabänderliche Gegebenheit werden Sünde und Tod betrachtet.

      Die dritte Strophe beschreibt das Kommen Jesu Christi, der sich an unsere „Statt“, unsere Stelle, in die menschliche Situation der Gefangenschaft im Reich des Todes begeben hat. Doch die Unschuld unterliegt nicht der Herrschaft des Todes, so nimmt Christus durch seine Sündlosigkeit dem Tod das Recht und die Macht, über ihn zu herrschen. Denn der Stachel1 des Todes, mit dem er seine Herrschaft ausübt, ist die Sünde (1Kor 15,56); wenn aber der Tod nun einen Unschuldigen in seinen Fängen hat, liegt kein Rechtsgrund mehr vor, ihn festzuhalten. Die Sünde ist „abgetan“, d.h. wiedergutgemacht oder weggenommen2.

      Der Tod ist damit nicht aus dem Blick; er bleibt als Wirklichkeit bestehen: seine „Gestalt“ bleibt, aber den Stachel hat er verloren (1 Kor 15,55). Der Tod steht noch drohend vor uns, aber er kann uns nicht mehr vernichten, da er keine Handhabe mehr hat.

      In der vierten Strophe klingt das Motiv des „duellum mirabile“ an3: Das Ringen von Tod und Leben, in dem das Leben obsiegt und den Tod verschlingt. Die Schrift ist Verkündigerin des Geschehens, in dem „ein Tod den andern fraß“.

      Zwei verschiedene Bilder scheinen hier ineinandergefügt zu sein: Der Kampf von Leben und Tod und das gegenseitige Verschlingen zweier „Tode“.

      Das Gegensatzpaar Leben-Tod verweist als Bezug auf Jes 25,8 und seine Aufnahme in 1 Kor 15,54 („Der Tod ist verschlungen vom Sieg.“).

      Dem Bild vom gegenseitigen Vernichten zweier Tode liegt zugrunde Hos 13,14 („Tod, ich will dir ein Gift sein“). Luther lag die Vulgata vor, die übersetzt: „Ero mors tua o mors“. Hier wird also von zwei Toden gesprochen, die einander gegenüberstehen; der Tod, der den anderen vernichten wird, ist bei Hos Gott in seinem Gericht über Ephraim. Luther bleibt hier in dem Bild von den zwei Toden, aber deutet implizit den Tod Christi als den, der den anderen Tod „fraß“ und ihn so vernichtete.

      In einer Osterpredigt geht er auf dieselbe Stelle ein:

      „… unsere Sünde hat er getragen, unsern Tod hat er durch seinen Tod hier hinausgebissen und verschlungen, und die Hölle, in die hinein wir fahren sollten, hat er zerstört, wie im Propheten Hosea (13, 14) geschrieben steht: ‚Ich will sie aus dem Totenreich erlösen und vom Tode erretten. Tod, ich will dir ein Gift sein, Totenreich, ich will dir eine Pest sein‘. Er redet von unserm Tod und von der Hölle, die uns gefangenhielt, und sagt, er wolle die Sünde austilgen, die auf mir liegt und mich anklagt, und den Tod und die Hölle zunichte machen, die mich fressen und verschlingen will.“4

      Auch an anderer Stelle benutzt er das Bild des Hosea, wenn er von Christus spricht, der durch seinen Tod den Tod „gebissen“ habe und damit die Seele vom leiblichen und vom geistlichen Tod erlöst habe.5

      Der Charakter des Wunderhaften, des „duellum mirabile“, haftet dieser Strophe an, indem sie nicht in dogmatisch-lehrhafter Sprache über die Entmachtung des Todes spricht, sondern in einer Sprache, die einen der Wirklichkeit scheinbar entzogenen Raum des Mythos suggeriert.

      In seinen Studien zum „duellum mirabile“ legt Uwe Rieske-Braun Luthers Auslegung von Gal 3,136 dar: Hier stellt er das „duellum mirabile“ in den Zusammenhang der Heilsgeschichte und kleidet diese in einer fiktiven Szene in drei Akte:

      Das innertrinitarische Gespräch zwischen Vater und Sohn, der die Sünden der Menschen auf sich nehmen soll7, der Kampf zwischen der menschlichen Sünde und der vollkommenen Gerechtigkeit, die sich in der Person Christi treffen und in ihren beiden Extremen zum Kampf führen müssen, und der Sieg der vis vitae über die mors, die alle Menschen vernichtet, aber schließlich an Christus scheitert. Christi „göttliche Lebensmacht erwies sich für den Tod als tödlich“8 Der Tod wird von einer neuen mors vernichtet …: „Sic mors devorat mortem, quae est vita, quae occidit mortem.“9

      Auch hier verwendet er im Zusammenhang mit dem Heilsgeschehen das Bild von den zwei Toden und bleibt auch in seiner Auslegung auf der Ebene des Bildes.

      In dieser Auslegung stellt Luther einen Zusammenhang zu dem hier besprochenen Lied her:

      Er verweist auf eine Zeile der dem hier besprochenen Liedvers zugrundeliegenden Sequenz: „Mors et vita conflixere duello mirando“.10

      Dieses Motiv aus der Sequenz und mit ihm das Modell des „duellum mirabile“ begleitet Luther in Auslegungen und Predigten in der gesamten Zeit seines Wirkens. Es bildet auch in seinem Lied die Grundlage seines Verständnisses von dem Erwerb des Heils für den Menschen.

      Die folgende Strophe legt das Geschehen am Kreuz auf dem Hintergrund der Tradition des jüdischen Passahfestes aus.11 Luther spricht vom „Osterlamb“12; er überträgt so die Bedeutung des Passahlammes, dessen Blut die Menschen des von Gott erwählten Volkes vor dem Tode schützt, auf Christus. „Das ist hoch an des creutzes stam /