Im 12. Jh. ist es zum ersten Mal erwähnt; die vollständige erste Strophe überliefert eine Klosterneuburger Handschrift von 1325.1
Lieder zur Passion
Auch im Blick auf die Passion findet man zu Beginn des 16. Jh. eine Tradition vor.
Es gab lateinische Passionshymnen, einer davon ist „Rex christe factor omnium“, der seit der Reformation vielfach ins deutsche übertragen wurde. Eine Übertragung findet sich als „Christe, du Schöpfer aller Welt“ im EG.
Es gab lateinische Lieder aus dem 12.u 13. Jh, die unter dem Einfluß der Passions- und Brautmystik des Bernhard von Clairvaux entstanden sind und den leidenden Menschen Jesus besingen, seine Marter und Wunden. Im Mitleiden lag der Zugang zu seinem Leiden. Das Passionssalve des Arnulf von Löwen hat später die evangelische Lieddichtung stark beeinflußt.
Eine Gelegenheit für den Gesang der Gemeinde bot das mehrfache Kyrieleison am Ende der Karfreitagsliturgie. Seit dem 12. Jh. ist der Brauch einer Prozession am Karfreitag belegt.
An diesem Ort hat sich seit dem 11. Jh. der „Leis“, eine vierzeilige Strophe mit einem angehängten Kyrieleis, entwickelt. Leisen konnten responsorische Antworten auf Gesänge der Messe, z.B. der Sequenzen sein.
Ein bestimmter Leis ist im Laufe der Entwicklung mit dem Passionshymnus „Rex christe factor omnium“ verbunden worden, der seit dem 10. Jh. belegt ist. Seit dem 12./13. Jh. ist „Rex christe“ als Prozessionshymnus nachweisbar1. Auf ihn wird seit dem 14. Jh2 nach jeder Strophe mit dem Leis „Gelobet seist du christe“ geantwortet, in lateinischer Fassung „Laus tibi christe“. Dieser Gesang wurde zur Vorlage für ein größeres Gedicht zur Passion: Das „Eya der großen Liebe“ mit seiner Judasstrophe, „Ach du armer Judas, was hast du getan?“, die sich verselbständigt hat und bald als Bezeichnung der Weise diente, wenn man später darauf einen neuen Text machte. Diese Tradition ist in der evangelischen Liedstrophe „Ehre sei dir Christe“, bzw. dem Lied „O wir armen Sünder“ aufgegangen.
In den Passionsspielen gab es Gelegenheit zu einer der Hauptformen des Passionsliedes vor der Reformation in lateinischer und deutscher Sprache: die Lamentatio. Hier wird die Wehklage Jesu, die Klage Mariae oder der Maria Magdalena oder auch des Betrachters in Gesang gebracht.
Gebetbücher tradierten die liedhafte Kreuzesbetrachtung mystischen Einschlages und fördern einen neuen Typus des Passionsliedes: Ein Gebetslied in Form der kurzen Bitte oder des Dankens.3
Nach der Darstellung von O. Brodde gab es im frühen reformatorischen Singen, anknüpfend an vorreformatorische Vorläufer, den Typus der Liedpassion, in der ohne betrachtende Elemente die Passionsgeschichte erzählt wird4; Sebald Heyden knüpft mit „O Mensch, bewein dein Sünde groß“ daran an.
Die evangelische Passionslieddichtung konnte also auf eine breite Tradition von Dichtungen zur Passion und Liedern aus der Volksfrömmigkeit zurückgreifen. Diese Tradition hat auf diese Weise eine Vielfalt an Formen für das Singen zur Passion ermöglicht.
2.2 Christ lag in Todesbanden
MARTIN LUTHER, 1524
1. Christ lag in todes banden / fuer unser sund gegeben / Der ist wider erstanden / und hat uns bracht das leben / Des wir soellen froelich sein / Gott loben und danckbar sein / und singen Haleluia / Haleluia.
2. Den tod niemand zwingen kund / bey allen menschenkinden / Das macht alles unser sund / kein unschuld war zu finden / Davon kam der tod so bald / und nam uber uns gewalt / hielt uns in seim reich gefangen / Haleluia.
3. Jhesus Christus Gottes Son / an unser stat ist komen / Und hat die sunde abgethan / damit dem tod genomen / All sein recht und sein gewalt / da bleibt nichts denn tods gestalt / den stachel hat er verloren / Haleluia.
4. Es war ein wunderlich krieg / da tod und leben rungen / Das leben behielt den sieg / es hat den tod verschlungen / Die schrift hat verkuendet das / wie ein tod den andern fras / ein spot aus dem tod ist worden / Haleluia.
5. Hie ist das recht Osterlamb / davon Gott hat geboten / Das ist hoch an des creutzes stam / in heisser lieb gebroten / Des blut zeichnet unser thuer / das helt der glaub dem tod fuer / der wuerger kann uns nicht rueren / Haleluia.
6. So feiren wir das hohfest / mit hertzen freud und wonne / Das uns der HERR scheinen lesst / er ist selber die Sonne / Der durch seiner gnaden glantz / erleucht unser Hertzen gantz / der sunden nacht ist vergangen / Haleluja.
7. Wir essen und leben wol / in rechten osterfladen / Der alte sawrteig nicht sol / sein bey dem wort der gnaden / Christus wil die koste sein / und speisen die seel allein / der glaub will keins andern leben / Haleluia.1
Im EG ist der Liedtext fast im Originaltext wiedergegeben. Abgesehen von kleinen Unterschieden in der Schreibweise sind erwähnenswert die abweichenden Formulierungen
(5) davon Gott hat geboten … in heisser lieb gebroten;
(7) Wir essen und leben wol im rechten osterfladen
Dieses Lied soll unter den Passionsliedern behandelt werden, da in ihm die Passion Jesu einen breiten Raum einnimmt. Sie wird von Ostern her betrachtet.
Der Blick richtet sich im gesamten Lied immer einerseits auf die Situation des Christus am Kreuz bzw. des Gestorbenen: z.B. „Christ lag in Todes Banden“, und deutet diese. Andererseits wird ebenso die Perspektive des Glaubenden von Ostern her formuliert: z.B. „der ist wieder erstanden“, von dem Ort her, an dem „wir“, die Singenden, darauf blicken. Diese beiden Orte, das Kreuz Christi und der Standort des befreiten Menschen, sind Inhalt das Liedes; sie werden einander jeweils überblendend betrachtet.
2.2.1 Einführung
Der Dichter
Über Martin Luther und sein Verständnis der Musik und der Kirchenlieder ist in der Vorrede gehandelt worden. Das Lied „Christ lag in Todesbanden“ entstand in der ersten Periode seines Liedschaffens um 1523/24, der Zeit, aus der ein großer Teil seiner Lieder stammt. Diese waren im wesentlichen Lieder für die Liturgie oder Psalmlieder, was sich daraus erklärt, daß er in der gleichen Zeit sich mit der Frage des Gottesdienstes befaßte und seine Schriften zum Gottesdienst konzipierte.
Quellen und Vorgeschichte des Liedes
„Christ lag in Todesbanden“ ist im „Geistlichen Gesangbüchlein“ von Johann Walter, Wittenberg 1524, erschienen, ebenso in den Erfurter Enchiridien, seit 1529 in den Wittenberger Gesangbüchern und schließlich im Babstschen Gesangbuch. Man kann es als zum Grundbestand evangelischer Lieder gehörig ansehen, betrachtet man die Gesangbücher vom 16. Jh. bis in die Gegenwart.
Dem Lied liegt die Ostersequenz Victimae paschali laudes zugrunde.
Luther hat Melodieelemente und Textteile aufgenommen, aber in seiner Liedfassung zu einem Lied mit eigenem Charakter umgeformt. Er hat damit eine Sequenz aufgenommen, die sich größter Bekanntheit und Beliebtheit erfreute. Damit hat er sich bewußt in eine Tradition gestellt und gezeigt, daß innerhalb dieser Tradition sich auch sein Liedschaffen bewegt.
Die Tatsache, daß bei der Entscheidung des Tridentinum, die vorhandenen 2000 Sequenzen auf nur noch fünf zu begrenzen1, diese Sequenz eine der beibehaltenen und in das Missale Romanum von 1570 aufgenommenen worden ist, zeigt, daß Luther mit seiner Entscheidung für sie wirklich eine der am tiefsten in der Messe verwurzelte Sequenz aufgenommen hat.
Die Sequenz Victimae paschali laudes stammt von Wipo von Burgund, der sie vermutlich um 1048 geschaffen hat.
Wipo, geboren 995, wirkte im Bistum