Die Passion Jesu im Kirchenlied. Christina Falkenroth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christina Falkenroth
Издательство: Bookwire
Серия: Mainzer Hymnologische Studien
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000157
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      In der siebenten Zeile bleibt der obere Bereich zunächst das Zentrum, bis in einer durch eine fallende Quart und eine Terz intensivierten Abwärtsbewegung wieder die finalis, der Basiston d’, erreicht wird.

      Auch hier wird die fallende Bewegung jeweils im „Halleluja“ durch Achtel intensiviert und ihre Zielrichtung nach unten in den Bereich des Menschen und des Todes betont. Die Textierung dieser Bewegung „Halleluja“ weist so auf den Ort hin, an dem das Gotteslob seinen Ort hat: das menschliche Leben.

      Die textliche Unterlegung und die musikalische Bewegung dieser drei Zeilen deuten einander:

      „Des wir sollen fröhlich sein, Gott loben und dankbar sein und singen Halleluja.“ Die energetische Bewegung aus der Zone des Menschlichen, die nun durch das Leben in Christus neu belebt ist, in den oberen Bereich bildet ab, wie im Loben der Mensch, aus seiner Todesverfallenheit befreit, sich dem göttlichen Bereich öffnet. Ebenso wird sichtbar, wie das Gotteslob im „Halleluja“ sein Ziel wiederum im unteren Bereich, dem tiefsten Ton der Skala, dem Bereich des menschlichen Lebens findet. Das Gotteslob findet Gott in der menschlichen Wirklichkeit vor, die er zu seiner göttlichen Wirklichkeit gemacht hat.

      In der letzten Zeile wird diese Bewegung, das an den bei den Menschen wohnenden Gott gerichtete Lob, das man mit dem Vers „Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen!“ (Apk 21,3) beschreiben könnte, noch einmal aufgenommen und verstärkt. Es bietet gleichsam ein Summarium des musikalischen Gehaltes der gesamten Strophe: die zielgerichtete Bewegung vom als Christus-Sitz definierten a’ zum d’, der menschlichen Wirklichkeit.

      Es ist sichtbar geworden, daß in der Gestalt des Liedes das musikalische Fortschreiten und die theologische Aussage miteinander korrespondieren.

      Die beiden Bewegungen, die des Aufstehens und die des Herabkommens sind dabei bestimmend. Aus der Sphäre des Göttlichen kommt Christus herab in die Wirklichkeit der Menschen, die durch den Tod beherrscht wird. Sein Auferstehen wird zu unserem Auferstehen, das an Gott in der Höhe gerichtete Loben wird zum Halleluja, das sein Ziel an dem tiefsten Punkt des unteren, des menschlichen Bereiches findet, der durch Christi Gegenwart von der Todeszone zum Bereich des Lebens und der Wirklichkeit Gottes geworden ist. Das Halleluja ist nun christologisch gedeutet: Der inkarnierte Gott ist es, der dieses Loben empfängt.

      Weitere musikalische Parameter

      Zusammen mit dem oben beschriebenen musikalischen Fortschreiten bilden die einzelnen beobachtbaren musikalischen Parameter eine Faktur, die das im Lied zur Sprache kommende Heilsereignis anschaubar macht.

      Der Modus: Seiner Herkunft gemäß steht das Lied in der modalen Tonart dorisch. Dessen Eigenarten hat die in Liedform gebrachte Melodie in ihrem ersten Teil (Zeilen 1–4) beibehalten: Sie bleibt im Tonvorrat dieses Modus, mit schwebendem Charakter bewegt sie sich um den Zentralton a’, die Percussa, und leitet zum Tonus d’.

      Zudem entspricht der theologische Inhalt des Liedes dem in der musikalischen Affektenlehre der Entstehungszeit des Liedes dem Modus dorisch beigelegten Charakter. Nach Heinrich Glarean ist dem dorischen ein majestätischer, gravitätischer Charakter zu eigen.1

      Ähnlich charakterisiert Gioseffo Zarlino das Dorische als „beständig“ und „geeignet für den Ausdruck des Starken und Gemäßigten“.2 Das Lied erweist dem starken Retter aus Sünde und Tod Dank, dem, dessen Macht über den Tod unangefochten ist und der zum Fest der Heilsgewißheit einlädt. Christus ist Herr über das Leben, so kann man durchaus im Modus mit majestätischem Charakter die Entsprechung zu dieser Botschaft finden.

      Die Struktur: Das Lied besteht aus acht musikalischen bzw. syntaktisch-inhaltlichen Sinneinheiten. Eine enge Zusammengehörigkeit zeigt sich bei den ersten beiden, den folgenden beiden und den dann folgenden drei Zeilen, während die letzte sich von den anderen abhebt; sie ist kürzer an Silben und Noten, als einzige Zeile nimmt sie nicht am Zeilenbeginn den letzten Ton der vorhergehenden Zeile auf, sondern setzt ihn neu an; sie hat finale Wirkung durch eine diatonische Abwärtsbewegung zum tiefsten Ton, inhaltlich ist sie wegen ihrer gleichbleibenden Textunterlegung mit dem Halleluja-Ruf ein Element, das die Strophen zu einer Einheit zusammenbindet; darum ist diese Zeile nicht direkt Teil des spezifischen Inhaltes der Strophe.3

      Einzelne Parameter

      Intervalle: In den einzelnen Zeilen werden Intervalle aus den vorhergehenden aufgenommen und erweitert. Die fallende Sekunde, die die Bewegung der ersten Zeile einleitet, wird in der fallenden Terz der folgenden Zeile aufgenommen und verstärkt.

      Der zweimalige Aufstieg zur Quart bzw zur Quint in der 5. Zeile (Z5), der jeweils mit einer Terz eingeleitet wird, wird aufgenommen durch die Quarte zu Beginn der Z6, mit der in Beziehung auf den Beginn von Z5 die Oktave erreicht wird. Durch eine Rhythmisierung mithilfe einer Achtel und durch den oberen Tonraum, in dem diese Quartaufgang liegt, hat dieser eine die Bewegung der vorhergehenden Zeile intensivierende Wirkung. Z7 mit zweifacher Terzbildung, die ebenfalls durch eine rhythmisierende Achtel eingeleitet ist, nimmt einerseits die Bewegung auf und intensiviert sie durch die Wiederholung der Terz. So wird die textliche Unterlegung, der Aufruf zum Halleluja, gleichsam als Jubilus gestaltet. Sie bildet so gewissermaßen den Höhepunkt in der Dramaturgie des Liedes. Andererseits leitet sie schon die Rückführung zum Tonus ein, indem sie den Oktavambitus (d’ – d’’) auf eine Septime (d’ – c’’) verringert. Die Septime als dissonantes Intervall, bzw. das c’’ als Sekunde unter der Oktave als Komplementärintervall, das nach Auflösung strebt, ist damit Wendepunkt und bewirkt die Richtungsumkehr hin zum Tonus.

      Ambitus: Im Zusammenhang der ersten beiden Zeilen wird einmal der Oktavambitus d’-d’’ in einer Bewegung durchschritten. Desgleichen in den beiden folgenden. Der Zusammenhang Z5–7 bewegt sich durch denselben Raum, aber nicht in einer Bewegung, sondern in einer größeren Häufigkeit von Richtungswechseln und die durch die oben dargestellte Intervallik der mehrfachen Aufschwünge und doppelter Terzen. Die Bewegung in Z1/2 setzt auf der Reperkussa an und führt nach unten (vom a’ zum d’). Die Bewegung in Z5–7 dagegen setzt unten an, führt in die Oktave und überschreitet sie und führt dann wieder zurück. So ist der fast identische Ambitus durch die größere Bewegung und die Richtungswechsel in Z5–7 in einer größeren Intensität durchschritten.

      Zeilentöne: Durch die Zeilenendtöne sind die einzelnen Zeilen miteinander verbunden. Die erste Zeile umspielt die Reperkussio a’ und endet auch auf ihr; die folgende Zeile nimmt sie auf und führt sie in den tonus d’. So geschieht es in den folgenden beiden musikalischen Einheiten. Der mittels der Zeilenbeginn- und Endtöne entstandene Zusammenhang gliedert die ersten vier Zeilen also in zwei größere Einheiten: Z1/2 und Z3/4.

      Z5–7 bilden einen Spannungsbogen: An den Übergängen liegen Zeilenende und -beginn auf dem gleichen Ton. Z8 kann einerseits zum Zusammenhang Z5–7 gezählt werden, weil sie in abgeleiteter Form das Ende von Z7 aufnimmt: die Dichte der drei Zeilen verlangt nach einem Spannungsabbau. Andererseits führt sie eine eigenständige Existenz, da sie einen Neueinsatz auf der Reperkussio macht und da sie nicht nur das Ende von Z7 aufnimmt, sondern auch das Ende von Z2 und Z4 zitiert und so die drei größeren Einheiten zu einem Gesamtzusammenhang zusammenschließt. Das Parameter der Zeilenendtöne weist also auf eine Makrostruktur Z1/2 – Z3/4 – Z5–8.

      Die Dreizahl als gestaltendes Element: Die mehrfach eingesetzte Dreiheit ist ein dramaturgisches Element: die Gliederung in drei größere Zusammenhänge Z1/2 – Z3/4 – Z5–7, der dreifache Aufschwung zur Oktave in Z5–6, das dreimalige Erreichen der Oktave. Dabei jeweils mit einem Höhepunkt im dritten Glied: die dritte Einheit ist länger als die anderen, die Intervalle in Z5–6 werden größer, die Oktave wird beim drittten Mal nach oben hin durchstoßen.

      Gleichermaßen aber gibt diese Dreiheit dem Lied eine innere Struktur und ein Ordnungsgefüge. Daß mit der „Drei“ in der Zahlensymbolik eine Vollkommenheit verbunden ist, die sich in der Theologie auf die Trinität projizieren läßt, kann hier als Abbild der Vollkommenheit des im trinitarischen Gott begründeten Heilsereignisses verstanden werden.