Berufsorientierte Schreibkompetenz mithilfe von SRSD fördern. Winnie-Karen Giera. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Winnie-Karen Giera
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823302056
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ob es das Erstellen von PowerPoint-Präsentationen, das Erstellen von Tabellen, die Recherche im Netz oder das Schreiben mit WORD oder anderen Programmen ist. Dabei gilt es hervorzuheben, dass zwar der PC immer wieder in allen Fächern gern als Rechercheinstrument genutzt wird, aber das Schreiben von Geschäftsbriefen am Ende der Sekundarstufe I am ehesten nur durch das Verfassen von Bewerbungsanschreiben durchgeführt wird. An einigen Schulen wird dies auch im Rahmen des Wirtschaftsunterrichts und der damit verbundenen Berufsorientierung verankert (siehe Kapitel 2.4).

      An vielen Schulen wird von den Schülern in der neunten und/oder zehnten Klasse ein Betriebspraktikum absolviert. Für dieses schreiben die Schüler eine Bewerbung mit Anschreiben und Lebenslauf. Es ist die erste reale Situation, in welcher sich der Schüler bewirbt und damit ‚Arbeitsluft schnuppert‘. Manche Betriebe sind so stark nachgefragt, dass die Bewerberliste sehr lang ist und es bezüglich der Bewerbungsunterlagen einer ersten Selektion der Praktikumsanwärter bedarf. Weitere Textsorten, die auf das berufliche Schreiben vorbereiten, sind daher u.a. das Protokoll, die Vorgangsbeschreibung, die Gegenstandsbeschreibung, die Einladung, das Formular, der Schreibplan, der Antrag, die Entschuldigung sowie die Beschwerde, der Versuchsablauf, die Beschreibung oder der Leihschein (ebd.).

      Dies soll nur eine Auswahl an schulischen Textsorten sein, die auch als „Transfer-Textsorten“ (Giera, 2010:40) bezeichnet werden können, da sie auf den Übergang in die Berufswelt und die dortigen Schreibanforderungen vorbereiten. Die Schüler erlangen durch diese schulisch geprägten „Textformen“ (Pohl & Steinhoff, 2010:6) Textsortenwissen, welches sie auf das berufliche Schreiben und die dort verankerten Textsorten übertragen können. Obwohl die beruflichen Textsorten wie das Angebot oder die Reklamation noch nicht im Schulcurriculum verankert sind, kann die Argumentation grundsätzlich als eine wichtige Kompetenzanforderung in der Sekundarstufe I betrachtet werden. Ergänzend dazu muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass Kinder von klein auf mündlich argumentieren können. Dabei verteidigen sie ihre Haltung, um bestimmte Ergeignisse wie den Konsum von Süßigkeiten oder das längere Aufbleiben zu erzielen. Argumentativ zu schreiben ist jedoch für die Sekundarschüler eine Herausforderung, die regelmäßig in der MSA-Prüfung in der zehnten Klasse in Form einer dialektischen Erörterung verlangt wird.

      Die Argumentation als kommunikative Kompetenz hat ihren Ursprung in der klassischen Rhetorik, in der die Rede zunächst schriftlich vorbereitet und anschließend vor einer Öffentlichkeit vorgetragen wird (Ossner, 2006:75). Im schulischen Kontext wird dies mithilfe linearer und dialektischer Erörterungen schriftlich vorbereitet. In diesen entfalten die Schüler Pro- und Kontraargumente und stützen diese mit Beispielen sowie Belegen. Dafür müssen Teilargumente miteinander in Beziehung gebracht und verknüpft sowie gewichtet werden. In der neunten und zehnten Jahrgangsstufe werden zudem eine Erörterungsfrage und die damit verbundene Thesenaufstellung vermittelt. Dafür wird eine dialektische Erörterung geschrieben, die sowohl die These, Antithese als auch die Synthese beinhaltet. Im Rahmen des Schreibunterrichts stellen die Erörterungen, gerade die dialektischen, eine schwierige Schreibaufgabe dar.

      Schwierige Schreibaufgaben zeichnen sich dadurch aus, dass die Texte ihre Funktion erst dann erfüllen, wenn das Gewusste für die Darstellung unter einer bestimmten Perspektive verändert wird. Die Logik des Gewussten muss mit dem Blick auf die kommunikative Funktion verändert werden (Becker-Mrotzek & Böttcher, 2006:61).

      Die hauptsächliche kommunikative Funktionbei Argumentationen ist eine „Appellfunktion“ (Brinker, 2010:98),1 in der die Adressaten durch einen begründeten Sachverhalt überzeugt und zu einer Handlung aufgerufen und beeinflusst werden (Heinemann & Heinemann, 2002:187; Brinker, 2010:101). Diese Funktion ist auch bei Bewerbungsanschreiben und unverlangten Angeboten deckungsgleich. Die Verbraucher und Personalleiter sollen von einem Produkt, einer Dienstleistung oder von der sich bewerbenden Person überzeugt werden, was durch die Appellfunktion beider Textsorten zum Ausdruck kommt. Die Bewerber appellieren dafür, sie einzuladen, und die Verbraucher werden bei unverlangten Angeboten zum Kauf der Dienstleistung oder des Produktes aufgerufen. Daher sind auch in diesen Textsorten Argumente enthalten, die für die Dienstleistung oder Person sprechen. Somit können die Schüler beim Verfassen von Bewerbungsanschreiben oder Angeboten auf die Kompetenz des Argumentierens zurückgreifen.

      Dieses Unterkapitel erklärt den Stellenwert des schriftlichen Argumentierens im Deutschunterricht am Ende der Sekundarstufe I. Es zeigt die Herausforderungen der Schriftsprache im schulischen Feld und die damit verbundenen Schreibschwierigkeiten für Schüler. Der Deutschlehrer hat durch die Formulierung der Schreibaufgabe die Möglichkeit, die Schreibmotivation zu fördern, muss jedoch auf die Heterogenität seiner Schreiber Acht geben. Daher sind als Unterstützungsmaßnahmen Mustertexte, Kriterienlisten, Textbausteine, Schreibkonferenzen und andere Feedbackverfahren im Schreibunterricht einzusetzen, um den Schreibprozess aller Schüler zu begleiten und die Schreibkompetenz weiter aufzubauen.

      2.3 Schreibkompetenz in der dualen Ausbildung

       „Die Forschungsrichtung Writing at Work gewinnt mit dem prognostizierten Übergang von der Informationsgesellschaft zur Wissens- und Service- sowie – weiter gefasst – zur Health-Care-Gesellschaft an Bedeutung. Jede der drei Entwicklungstendenzen verlangt von den Berufsausübenden erhebliche kommunikative Fähigkeiten“ (Jakobs, 2005:15).

      Das folgende Kapitel soll die Schreibanforderungen in der dualen Ausbildung verdeutlichen, die vorab mit Fakten zur dualen Berufsausbildung in Deutschland angereichert werden.

      2.3.1 Die duale Ausbildung in Deutschland

      Neue gesellschaftliche Herausforderungen und Anforderungen werden durch die Politik beeinflusst. Die berufliche Bildung ist eng mit der Gesellschafts-, Sozial- und Wirtschaftspolitik verbunden (Leischner, 1993:7). Innerhalb der Europäischen Union ist die Berufsbildung durch die EG 1992 Art. 127 ein Politikfeld und wichtiger Zuständigkeitsbereich für alle EU-Länder: „Zwar sind die EU-Länder selbst für ihre Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung zuständig, doch die EU unterstützt sie bei der Festlegung gemeinsamer Ziele und beim Austausch bewährter Verfahren“ (Europäische Union, 2018: o. S.). Die EU-Länder sollen dabei im Sinne der Harmonisierung voneinander lernen.

      1993 wurden des Weiteren Leitlinien für das lebenslange Lernen entwickelt (Piehl & Sellin, 1995:441ff.; siehe Kapitel 1). Die Bildungspolitik in Europa fordert Reformen im Bereich der beruflichen Ausbildung. In der beruflichen Bildung gibt es einen europäischen Handlungsstrang mit folgenden Zielen, der auch auf die berufliche Bildung in Deutschland übertragen wurde:

      Erleichterung der Anpassung an die industriellen Wandlungsprozesse, insbesondere durch berufliche Bildung und Umschulung; Verbesserung der beruflichen Erstausbildung und Weiterbildung zur Erleichterung der beruflichen Eingliederung und Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt; Erleichterung der Aufnahme einer beruflichen Bildung […] sowie Förderung und Zusammenarbeit in Fragen der beruflichen Bildung zwischen Unterrichtsanstalten und Unternehmen; Ausbau des Informations- und Erfahrungsaustausches über gemeinsame Probleme im Rahmen der Berufsbildungssysteme der Mitgliedsstaaten (Leischner, 1993:10).

      Der Vergleich der Schulzeiten in den Bildungsbereichen Sekundarstufe I und Sekundarstufe II zeigt in Europa sehr unterschiedliche Schulsysteme: Die Sekundarstufe I erstreckt sich zwischen drei (wie in Belgien, Italien, Irland) und sechs Jahren (wie in einigen Bundesländern in Deutschland). Die Sekundarstufe II dauert zwei (wie in Großbritannien) oder bis zu fünf Jahre (wie in Italien sowie vereinzelt in Spanien) (Leischner, 1993:11). Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass die Schüler in Europa überwiegend bis zum Ende der Sekundarstufe I eine Gesamtschule oder Einheitsschule besuchen, ganz konträr zu Deutschland, welches sehr lange an der Dreigliedrigkeit von Haupt-, Realschule sowie Gymnasium festhielt, wobei die Förderschulen eigentlich als vierter Zweig ergänzt werden müssten (Leischner, 1993:15).

      Die Mehrheit der Bundesländer trennt nicht mehr in Haupt- und Realschulen, sondern hat neue Schulformen mit Kurssystemen zur Fächerdifferenzierung entwickelt. Auch die gymnasiale Oberstufe wird durch diese Schulentwicklung nicht nur an Gymnasien, sondern auch an Gesamtschulen, Oberschulen oder Berufsbildenden Schulen angeboten.