Einige Studienseminare, z.B. in Verden (Niedersachsen), bereiten sehr präzise auf die Formulierung der Kompetenzniveaus und auch deren Evaluierung während des Referendariats vor dem Zweiten Staatsexamen vor. Dafür wird die Kompetenzformulierung von Kessler und Ziener (2004) hinzugezogen, die in Abbildung 3 dargestellt wird. Kessler und Ziener haben für alle Fächer vier Anforderungsbereiche für die Kompetenzformulierung mit Bezug auf die Bildungsstandards herausgearbeitet: Die Kategorie I „Wahrnehmen, Wissen und Verstehen“ (Kessler & Ziener, 2004:1) wird dem kognitiven Bereich, Kategorie II „Sprechen und Auskunft geben“ (ebd.) dem kommunikativen Bereich, Kategorie III „Erarbeiten und Gestalten“ (ebd.) dem methodisch-kreativen Bereich und Kategorie IV „Planen und Zusammenarbeiten“ (ebd.) dem personalen und sozialen Bereich zugeordnet.
Abb. 3:
Kompetenzraster nach Kessler & Ziener (2004, eigene Darstellung)
Beide Mitautoren der Baden-Württembergischen Bildungsstandards haben für diese Kategorieeinteilung die Bildungsstandards untersucht und alle Operatoren (auch Prädikate genannt) in diese vier Kategorien eingeteilt (ebd.). Anschließend erfolgt für jeden Kompetenzbereich eine dreistufige Niveaueinteilung, wobei Anforderungsbereich A das niedrigste Niveau und C das höchste Niveau ist (ebd.; Ziener & Kessler, 2012:29). Es ist der Einteilung nach dem Mindeststandard, Regelstandard und Expertenstandard ähnlich. Das Ziel des Modells besteht darin, Schüler kompetenzorientiert, kooperativ und selbstorganisiert lernen zu lassen (Giera, 2014:5f.). Bezugnehmend auf dieses fächerübergreifende Kompetenzraster wurde in Deutschland am Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (kurz: IQB) ein Kompetenzstufenmodell für den Bereich Schreiben entwickelt (Böhme et al., 2017:57ff.). Grundlage dafür waren der Mittlere Schulabschluss in der Sekundarstufe I sowie die Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz für das Unterrichtsfach Deutsch des Jahres 2004.
Die Idee der Stufen ging aus den Kompetenzstufenmodellen der naturwissenschaftlichen Unterrichtsfächer hervor. Die Normierung erfolgte durch eine Stichprobe im Jahre 2011 mit 2.996 Schülern aus dem neunten und zehnten Jahrgang mit zwölf entwickelten Schreibaufgaben. Für jede Aufgabe, die in 20 Minuten bearbeitet wurde, liegen 500 Schülertexte vor. Die Texte wurden zunächst auf einer holistischen fünfstufigen Globalskala bewertet. Anschließend erfolgte eine Schätzung der Aufgabenschwierigkeiten, wobei auch die Hintergrundvariablen wie das Alter berücksichtigt wurden. Somit entstanden Grenzwerte für die einzelnen Stufen und letztendlich fünf gleich breite Stufen. Diese einzelnen Stufen wurden genauer beschrieben und als Niveaus gekennzeichnet – von Mindeststandard verfehlt über Mindeststandard, Regelstandard, Regelstandard plus bis hin zum Optimalstandard. Für die argumentativen Texte wurden diese Standards als Kompetenzstufen genau beschrieben und bepunktet. Als Ergebnis konnte festgehalten werden: „Etwa ein Viertel der Neuntklässlerinnen und Neuntklässler mit dem Ziel MSA oder höher erreicht allerdings noch nicht die in den Bildungsstandards der KMK formulierten Erwartungen (Regelstandard)“ (Böhme et al., 2017:69).
Es gibt eine weitere hervorzuhebende Studie, die die Schreibkompetenzentwicklung der Schüler empirisch untersucht hat, jedoch nicht im Querschnitt, sondern im Längsschnitt: Um die Textsortenkompetenz in der Schreibgenese von Schülern zu testen, untersuchten Augst, Disselhoff, Heinrich, Pohl sowie Völzing (2007) in einer Langzeitstudie Grundschüler mit den Textmustern Erzählung, Bericht, Instruktion, Beschreibung und Argumentation über mehrere Jahre. Die Frage der Textsortenentwicklung stand mit 39 Schülern und 585 Schülertexten im Fokus dieser Untersuchung, da Bereiters Schreibentwicklungsmodell bis dato nicht empirisch überprüft wurde. Jeder Schüler schrieb 15 Texte jährlich über einen Zeitraum von drei Jahren: eine Erzählung nach einem Bildimpuls, einen Bericht über das Weihnachtsfest, eine Instruktion zum Lieblingssport, eine Beschreibung des Klassenraums sowie eine Argumentation mit einem Vorschlag. Im Laufe der Jahre war zu beobachten, dass die Grundschüler längere und komplexere Texte schrieben. Die Vielfältigkeit der Satzstrukturen nahmen zu. Am Ende der vierten Klasse gelingt das Erzählen am besten. Im Mittelfeld bleiben das Beschreiben und das Argumentieren sowie zum Schluss das Berichten:
Auf jeden Fall ist es für die Kinder wichtig, die Arbeit am Text als etwas Natürliches und Selbstverständliches zu erleben, das dem schriftsprachlichen Prozess eigen ist. […] Deshalb kann das Gespräch der Kinder über Texte (oder sogar eine Schreibkonferenz) sehr förderlich sein; dies auch aus einem ontogenetischen Grund: die Kinder werden auf ihrer jeweiligen Entwicklungsstufe das ‚Schreibkind‘ erfahrungsnäher (kindgemäß) befragen und anregen, als es ein Lehrer vielleicht angesichts des normativen Musters kann (Augst et al., 2007:359f.).
Das Forscherteam hält fest, dass alle Textsorten in der Grundschule für die Entwicklung der Schreibkompetenz gefragt sind. Dabei ist auffällig, dass ein erkanntes Strukturmerkmal in einer Textsorte auf eine andere Textsorte übertragbar ist (Augst et al., 2007:358). „Einen Text mit einer bestimmten Textqualität zu produzieren ist folglich Resultat, d.h. Ausdruck, der je individuellen Schreibkompetenz von Schreibenden“ (Schmitt & Knopp, 2017:239).
Dieser Exkurs zeigt, dass Schüler einer Klassenstufe auf verschiedenen Niveaus schreibkompetent sind und die Kompetenzraster mit diversen Stufenbeschreibungen immer mehr Vorrang für die Planung des Schreibunterrichts haben müssen. Eine Lernausgangslage ist unbedingt erforderlich. Den Studienergebnissen war zu entnehmen, dass die Schreibkompetenz je nach Textsorte unterschiedlich ausfallen kann. Um Schreibkompetenz in den Klassen zu messen und zu fördern, müssten pro Textsorte mehrere Aufgaben gestellt und getestet werden (Böhme et al., 2017:70ff.). Die dadurch entstandenen Schreibprodukte sind Indikatoren der Schreibkompetenz. Des Weiteren sind der Schreiber, der Schreibprozess, die Schreibprozedur und der potenzielle Leser Parameter einer ganzheitlichen Schreibkompetenzmessung und -förderung. Diese Komplexität zeigt sich in einer Zusammenfassung von Feilke (2017:158), welche schreibdidaktische Impulse subsumiert, die für die Lehrer und Schreibforscher relevant sind. Grundlage Feilkes „Parameter schreibdidaktischer Konzepte“ (Feilke, 2017:158) ist das Schreibentwicklungsmodell nach Bereiter (1980), jedoch wurden die Ebenen Prozess, Leser und Produkt um die Ebenen „Prozedur“ (ebd.) und „Schreiber“ (ebd.) ergänzt (Feilke, 2017:157). Die Anzahl der Schreibebenen lässt erkennen, wie komplex die Parameter der Schreibkompetenzentwicklung in der Schreibdidaktik sind. Allein die Kombination der Ziele, Aufgabentypen, Aufgabenmodi und der schreibdidaktischen Konzeptionen verlangt eine immense Forschungsarbeit, aber auch die Schaffung eines Freiraums vieler Unterrichtsstunden im Fach Deutsch.
Folglich beeinflussen mehrere Faktoren die Schreibkompetenz und damit verbunden die Textqualität und können somit als Prädiktor wirken, wie die folgende Definition und die dazugehörige Abbildung 4 verdeutlichen und meines Erachtens gut zusammenfassen, da sowohl die grundlegenden Schreibmodelle als auch die dazugehörigen Prädiktoren in Beziehung gesetzt werden. Die Bereiche Volition, Motivation und Metakognition verknüpfen sich mit der Schreibmotivation und Selbstregulation, die für diese Arbeit tragend sind:
Schreibkompetenz ist, wie die dargelegten Ergebnisse zeigen, ein (höchst) komplexes Konstrukt, welches sich aus zahlreichen, ensembleartig zusammenwirkenden Teilfähigkeiten aus verschiedenen Fähigkeitsbereichen zusammensetzt (konstitutioneller, kognitiv-fähigkeitsbezogener, motivational-volitionaler und metakognitiver sowie spezifisch sprachbezogener Bereich) (Schmitt & Knopp, 2017:248).
Abb. 4:
Übersicht der Kandidaten für Prädiktoren (Schmitt & Knopp, 2017: 241)
Noch wird die Schreibkompetenz vorrangig im Unterrichtsfach Deutsch vermittelt. Norwegen zeigt jedoch, dass die Basiskompetenz Schreiben in allen Fächern curricular verankert sein sollte: „Every teacher, regardless of subject, is now responsible for the teaching of writing“ (Berge et al., 2016:180). Dafür entwickelten die Skandinavier das theoriebasierte Schreibmodell „The Wheel of Writing“ in zwei Varianten (Berge et al., 2016). Alle