Entwickelte Schreibfähigkeit kommt nach Bereiter/Scardamalia in einer grundlegenden anderen Strategie der Textproduktion zum Ausdruck. Wissen wird nicht einfach abgerufen und ohne weitere Bearbeitungsprozesse weitergegeben. Es wird im Prozess des Schreibens transformiert (knowledge transforming). Diese Transformation des Wissens setzt mindestens zweierlei voraus: (a) eine Aufgabenrepräsentation, welche die Bedürfnisse des Lesers antizipiert, und (b) die Definition von Zielen, die mit dem Text im jeweiligen Handlungskontext erreicht werden sollen […] (Bachmann, 2002:44).
Bachmann plädiert zum Schluss für den Einsatz von Peergroup-Gesprächen über Textmuster, damit Textmusterwissen als Teil der Schreibkompetenz aufgebaut werden kann. Schreibkonferenzen sollten von Lehrern nicht als zeitraubend empfunden werden, sondern geben den Schülern die Möglichkeit, ihre Texte realen Lesern vorzustellen, über Texte zu sprechen und von ihnen zu lernen. „Damit Sprache aber erworben und entwickelt werden kann, müssen ihre Mittel, Strukturen, Formen und Muster verinnerlicht, mit je individuellem Vorwissen verknüpft und in dieses integriert werden“ (Bachmann, 2002:85). In diesem Kontext prägte Feilke den Begriff der Textprozeduren:
Literale Prozeduren sind Textroutinen. Sie sind funktional bezogen auf rekurrente kommunikative Aufgaben; literal sind diese Routinen, soweit sie typisch oder […] sogar spezifisch für eine Kommunikation mittels schriftlicher Texte sind (Feilke, 2010:4).
Textprozeduren sind sozial schematisierte Handlungszüge in Texten, die als Werkzeuge des Schreibens in den kulturell etablierten Praktiken des Umgangs mit Texten angeeignet werden (Feilke, 2014:15).
Der Begriff leitet sich lernpsychologisch vom „prozeduralen Lernen“ (Winkel/Petermann & Petermann, 2006:219) ab: „Beim prozeduralen Lernen werden kognitive oder motorische Fertigkeiten durch Übung schrittweise erworben, indem bewusste Prozesse allmählich durch unbewusste Prozesse ersetzt werden“ (ebd.). In Bezug auf die profilierten Schreibaufgaben stellt er fest: „In diesem Fall verweisen Aufgabenschemata auf Textprozeduren als in der Kompetenz verfügbare Handlungsschemata, die für das Schreiben textliche Lösungsalternativen bereitstellen“ (Feilke, 2014:17). Somit sei die Aufgabe selbst (task) nicht nur auf der Kontrollebene anzusiedeln, sondern auch als Ressource anzuerkennen, denn „kompetente Schreiberinnen und Schreiber verfügen über textprozedurale Handlungsschemata, denen sie differenzierte Inventarien textueller Gliederungsmuster, syntaktischer Konstruktionen und lexikalischer Kollokationen zuordnen können“ (Feilke, 2014:19f.). Daher stehen in der Deutschdidaktik auch Textprozeduren im Interesse der Forschung. Dabei wird das routinierte Vorgehen beim Schreiben mit dem Begriff Schreibstrategie von Feilke gleichgesetzt (Feilke, 2014:20). Textprozeduren beziehen sich jedoch auf den Text selbst:
Geht es um ein Bewerbungsschreiben, ist sogar die normative Vorgabe von Mustervorlagen legitim, weil damit Sozialchancen verbunden sind; die Konventionen sind dann Spielregeln, die den Schreibenden als Kenner der Regeln und damit potentiellen Mitspieler ausweisen (Fix, 2000:329).
Fix plädiert ausdrücklich für die Nutzung von musterhaften Textbausteinen und Mustertexten (Fix, 2000:339), die im professionellen Kontext üblich sind und die Textprozedur unterstützen (Wergen & Wörner, 2005). Es ist an dieser Stelle genauer auf das deklarative und implizite Lernen einzugehen (siehe Abb. 2), um die Relevanz von Mustern in Form von Textbausteinen und Texten zu verstehen. Die Abbildung 2 visualisiert daher die Lernprozesse und -ergebnisse.
Abb. 2:
Lernprozesse (Winkel/Petermann & Petermann, 2006: 229)
Textmusterwissen und Textsortennormen können als deklaratives Wissen (‚knowing that‘) eingeordnet werden, denn dies zählt zum Welt- oder Sachwissen. „Prozedurales Lernen bezieht sich auf den Erwerb motorischer und kognitiver Fertigkeiten“ (Winkel/Petermann & Petermann, 2006:16). Implizites Lernen passiert unbewusst und ist Teil des Lernprozesses (ebd.). An der Abbildung 2 fällt auf, dass durch die Übung und Prozeduralisierung, Strategien sowohl implizit als auch deklarativ gelernt werden können. Für den Unterricht bedeutet dies, dass das Regellernen auch implizit durch die Unterrichtssituation geschieht. Das Textmusterwissen allein zeichnet jedoch keinen erfolgreichen Schreiber aus (Fix, 2000:333). Junge Schreiber verfassen Texte eher „just-in-time“ und im „flow“, sie schreiben linear, Satz für Satz, und kommen schwer von dieser Strategie ab (Ortner, 2013:69f.). Schreibstrategien sind daher relevante Parameter der Schreibkompetenz und Lösungshilfen für die Aufgabenstellung, wie Nitz (2010) in seiner Studie verdeutlicht:
Nitz’ (2010:123f.) Studie über die Fähigkeit, dass Dritt- und Viertklässler Texte in Schreibkonferenzen überarbeiten können, zeigt: Schon Viertklässler machen deutlich, dass sie nicht jede Hilfe zur Textverbesserung annehmen. Der ‚Autor‘ wählt selbst. Eine Schreibkonferenz hilft, Texte zu überarbeiten, auch hinsichtlich der Kohärenz. Nicht alle Schwierigkeiten können jedoch beseitigt werden. Das kann auch nicht allein durch die Anregung der Lehrperson entstehen, vielmehr ist es eine höchst emotionale Angelegenheit, ob ein Rat angenommen wird oder nicht. Das Wer und Wie sind dabei mitentscheidend: „Die Berater zeigen sich in den Schreibkonferenzen als äußerst kritische Leser und verhelfen den Texten durch intensive Diskussionen über bestimmte Textstellen in vielen Fällen zu mehr Kohärenz“ (Nitz, 2010:124). „Die ‚Autoren‘ setzen sich meist sehr intensiv für die Qualität ihrer Texte ein, auf die sie offensichtlich stolz sind und die sie zu einem zufriedenstellenden Ende bringen wollen“ (Nitz, 2010:125). Kohärenzprobleme konnten schon gelöst werden, auch wenn Fix (2000) interessanterweise Schreibkonferenzen in seiner Studie als weniger erfolgreich für den Schreiberfolg bewertet. Dennoch ist die Vermittlung von Musterwissen als Teil einer Strategie anerkannt:
Da Musterwissen auch als Schreibstrategie genutzt werden kann, kann es zugleich ein Handlungswissen (‚knowing how‘) sein, das entweder bewusst zur Bewältigung der Problemsituation eingesetzt wird (Problemlösewissen) oder bereits automatisiert ist (prozedurales Wissen). Versteht man Text im Fall des kommunikativen Schreibens als Makro-Sprechakte, wird dieses Wissen als Illokutionswissen mit dem Ziel angewandt, für einen Adressaten funktional angemessen zu schreiben. Im traditionellen Aufsatzunterricht ist die deklarative Komponente dieses Vorwissens überbewertet worden (Fix, 2000:332).
Fest steht, dass die Schreibkompetenz auf verschiedenen Wegen gefördert und gelenkt werden kann. Die Aufgabenstellung und die Schreibstrategie sind wichtige Einflussfaktoren für die Schreibkompetenz. Diese Erkenntnis hat in die Rahmenlehrpläne für das Schreiben im Fach Deutsch Einzug gehalten. Die Herausforderung dabei ist, mit einer leistungsheterogenen Klasse Schreiben zu unterrichten. Gerade an Grundschulen, Oberschulen, Gesamtschulen, Sekundarschulen etc. wurden von den Regelstandards hin zugunsten von mindestens drei Kompetenzniveaus inhaltliche, prozessuale und soziale Kompetenzziele formuliert. Dabei sei außer Acht gelassen, dass auch für die Schüler mit einem Integrationsstatus noch weitere Kompetenzniveaus formuliert wurden. Somit können Deutschlehrer in ihren Deutschklassen eine heterogene und inklusive Schülerschaft unterrichten, die sich nicht selten Aufgaben für vier Kompetenzniveaus (Mindest-, Regel-, Expertenstandard sowie mindestens ein Niveau für die Integrationsschüler) stellen müssen.