Die Struktur und der Ablauf der dualen Ausbildung zeigen im ersten Fazit, dass diese von der Bildungspolitik und den rechtlichen Rahmenbedingungen abhängig sind. Der Einblick in einen prototypischen Ausbildungsverlauf demonstriert die Zusammenarbeit mehrerer Ausbildungspartner und das Anwenden von handlungsorientiertem und selbstständigem Lernen.
Im Folgenden werden die aktuellen Daten und Fakten zur dualen Ausbildung in Deutschland näher erläutert: Die Ausbildungskammern wie die IHK und HWK (Handwerkskammer) ringen um geeignete Bewerber: „Bis 2030 wird es drei Millionen mehr Akademiker geben und eine Million weniger Fachkräfte“ (Schmickler, 2016:3). Momentan sind die Ausbildungschancen in Deutschland gut. Dennoch kritisieren auch immer wieder Ausbilder die mangelnden Schulleistungen der Ausbildungsplatzbewerber – Lehrstellen bleiben dadurch unbesetzt (ebd.). An vielen Orten Deutschlands gibt es Ausbildungsmessen, Speeddatings mit Bewerbern, teilweise in den Schulen selbst, Schnuppertage wie den Zukunftstag, vielfältige Praktikumsangebote in Ausbildungsbetrieben sowie außerschulische Projekte mit Ausbildungsbetrieben und Kammern. Vor mehr als zwanzig Jahren war das nicht vorstellbar. Die Ausbildungsplatzsituation war deutlich anders als heute. Schon Realschulabsolventen standen damals in Konkurrenz mit Abiturienten um einen Ausbildungsplatz. Die Ausbildungsbetriebe hatten eine breite Auswahl an Bewerbern. Genau dieser Punkt änderte sich, als sich die Zahl der Studierenden erhöht hat. Die neue bildungspolitische Linie setzt auf eine höhere Anzahl von Abiturienten und Studierenden. Die in Deutschland stark verbreitete Dreigliedrigkeit des Schulsystems in Sekundarstufe I (Hauptschule, Realschule und Gymnasium) wurde zugunsten von mehr Gemeinschaftsschulen,2Oberschulen, Gesamtschulen immer stärker aufgebrochen. Das Ziel besteht darin, das Schulsystem noch durchlässiger zu gestalten und den Schülern mehr Chancen zu geben, sich im Laufe der Schulzeit zu entwickeln. Ergebnis ist, dass die Oberschulen weniger Ansehen haben, wenn auf diesen kein Abitur angeboten wird. Die Gesamtschule mit ihrem breiten Angebot an Abschlussmöglichkeiten hat hingegen einen großen Zulauf, und auch die Gymnasien sind weiterhin attraktiv. Viele Eltern sind bestrebt, ihren Kindern die bestmöglichen Wege zu offerieren, auch wenn das Leistungsvermögen des Kindes unter den Anforderungen der jeweiligen Schule liegt.
Während die Schullandschaft mit ihren schulischen Möglichkeiten, einen Abschluss zu erwerben, immer mehr aufblüht, ringen die Ausbildungsbetriebe um Auszubildende. Die Attraktivität, eine duale Ausbildung zu absolvieren, nimmt ab. Allein 2016 wurden in Deutschland ca. 480.000 Ausbildungsverträge abgeschlossen. Zwischen 2009 und 2017 sank die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge in betrieblichen Ausbildungen von 518.505 (2009) auf 507.772 (2017) leicht (Bundesagentur für Arbeit, 2018). Der Rückgang der abgeschlossenen Ausbildungsverträge zwischen 2006 bis 2015 kann auf 50.000 beziffert werden (BiBB, 2016). Doch die deutschen Unternehmen benötigen Fachkräfte, obwohl nach Schätzungen nur noch jede fünfte Firma in Deutschland auch Ausbildungsplätze anbietet (Schmickler, 2016:2). 80.000 Ausbildungsplatzbewerber bleiben ohne Lehrstelle und 270.000 Jugendliche absolvieren Praktika oder Kurse (AGJ, 2017). Einige Branchen wie die Hotellerie und Gastronomie liegen weniger im Interessenfeld der Schulabgänger und können daher ihre freien Ausbildungsstellen kaum besetzen (Schmickler, 2016:3; BiBB, 2018).
Gewisse Berufe sind durch die Ausbildungsinhalte, -zeiten und -entgelte nicht attraktiv genug für die Jugendlichen (Schmickler, 2016:2). So sehe Schmickler (2010:2) die Angebot-Nachfrage-Relation seit mehr als einem Jahrzehnt unausgeglichen. Die Ursache sei jedoch auch auf Seiten der Unternehmen zu suchen. Schulabgänger mit Hauptschulabschluss werden von den Unternehmen immer noch ungern für eine Ausbildung genommen, obwohl gerade diese sich um den Fachkräftenachwuchs kümmern müssten (Schmickler, 2016:3). Die Abbildung 10 verdeutlicht dieses Manko visuell.
Aktuelle Ausbildungssituation in Deutschland (eigene Darstellung)
Des Weiteren erscheint vielen Jugendlichen mit höherem Bildungsabschluss ein Studium aufgrund der besseren finanziellen Zukunftsaussichten und des höheren Ansehens in der Gesellschaft attraktiver (Schmickler, 2016:3). Begünstigt wird dieser Wandel u.a. durch die zunehmende Durchlässigkeit des deutschen Bildungssystems, welches z.B. in Niedersachsen unter bestimmten Bedingungen wie Ausbildungsabschluss und Facharbeiterjahre auch ein fachbezogenes Studium ohne Abitur erlaubt. Des Weiteren unterliegt der deutsche Arbeitsmarkt einem Wandel. Viele Jobs gibt es nun nicht mehr im Handwerk, sondern in der Dienstleistung.
Die aktuellen Zahlen und Daten zum Status quo der Berufsausbildung für die Jahre 2014 bis 2017 zeigen, dass eine Zunahme an unbesetzten Ausbildungsstellen zu beobachten ist. Waren es im Zeitraum 2014/15 noch 41.040, stieg die Zahl 2016/2017 auf 48.984 (Bundesagentur für Arbeit, 2017). Der heutige Schulabgänger hat somit eine breite Auswahl an Ausbildungsmöglichkeiten. Um den Fachkräftenachwuchs zu sichern, wurde bereits 2004 der Nationale Ausbildungspakt (Bundesagentur für Arbeit, 2009; KMK, 2010) beschlossen, der die Ausbildung auf dem Markt der Schulabgänger wieder attraktiv gestalten sollte, 2006 verlängert wurde und bis heute besteht. Dabei sind Betriebe angehalten, mehr Ausbildungsplätze anzubieten, um damit den fehlenden Fachkräftenachwuchs abzumildern. Weitere Kennzahlen der beruflichen Bildung zeigen, dass es insgesamt 1,3 Millionen Auszubildende in Deutschland gibt, davon sind 770.100 im Bereich Industrie und Handel und 362.400 im Handwerk tätig. Die Landwirtschaft verzeichnet 33.000 Auszubildende, der Öffentliche Dienst 37.500, die Freien Berufe 110.100 und die Hauswirtschaft 5.600 Auszubildende (Statistisches Bundesamt, 2017a). Die Zahl der Studenten liegt deutlich höher, nämlich bei 1,7 Millionen, Tendenz steigend (ebd.). Der jährliche Ausbildungsmarktbericht der Bundesagentur für Arbeit zeigt seit dem Beratungsjahr 2012/2013 (jährlich vom 01.10. bis 30.09. des Folgejahres), dass die Mehrheit der Schulabgänger keine Studienberechtigung hat und diese somit im Sekundar-II-Bereich an berufsbildenden Schulen sind, wobei nicht alle Schulabgänger sofort ein Studium oder eine Berufsausbildung beginnen (Statistisches Bundesamt, 2017a). Wird nach Rangfolge sortiert, liegen auf dem ersten Rang die Kaufleute für Büromanagement, auf dem zweiten die Einzelhandelskaufleute und auf dem dritten Verkäufer (BiBB, 2017).
Aus den Zahlen und Fakten zur Verteilung der Schulabschlüsse und der Berufsausbildung kann geschlussfolgert werden, dass die Mehrheit der Schulabgänger keine Studienberechtigung vorweisen kann und sich daher für eine Berufsausbildung entscheidet. Sofern eine Berufsausbildung angestrebt wird, fällt die Wahl eher auf eine duale Ausbildung im Bereich der Industrie- und Handelskammer. Es zeigt sich, dass aus Sicht der Schulabgänger eher kaufmännische Berufe und damit IHK-Ausbildungen begehrt sind.
2.3.2 Schreiben in der dualen Ausbildung
Schreiben im Ausbildungsberuf erfordert Kooperationen und integriert mehrere Beteiligte bei der Textproduktion, denn der Schreiber agiert nicht unabhängig und allein, sondern ist Teil eines Unternehmens und muss sich in dieses hierarchische Feld integrieren, wie die Abbildung 11 zeigt, die im Weiteren erläutert wird (Jakobs, 2005:13ff.):
Schreibkomponenten am Arbeitsplatz (nach Jakobs, 2005: 17)
Der Schreiber hat die Schreibaufgabe im Blickfeld und nutzt dabei sein Know-how, seine Motivation und seine Erfahrungen, um mit dieser Aufgabe umzugehen. Das Schreiben wiederum ist Teil der Aufgaben am Arbeitsplatz. Vorgesetzte, Kollegen, Ressourcen, Vorgaben