Es kann ferner ausgeführt werden, dass das deutsche Bildungssystem in Primarbereich (Klasse 1–4/6), in Sekundarbereich I (Klasse 5/7–10) diverser Schulformen, in Sekundarbereich II (ab Jahrgang 11 an diversen Schulformen wie Gymnasium oder berufliche Bildung an Berufsschulen) sowie in den Tertiärbereich, also die universitäre oder fach(hoch)schulische Aus- und Weiterbildung, aufgeteilt ist. Die Bildung ist im föderal organisierten Deutschland Ländersache, daher unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland die Zahl der Jahre in den verschiedenen Schulbereichen oder auch die Bezeichnungen und Formen der Schulen. In Niedersachsen wechseln die Grundschüler ab der fünften Klasse zur weiterführenden Schule im Sekundar-I-Bereich (Baethge, 2008).
Im Jahr der Untersuchung (2013) konnte in Niedersachsen der Übergang zum Gymnasium, zur Hauptschule, zur Realschule, zur Gesamtschule oder zur Oberschule je nach Leistung des Kindes erfolgen. Doch schon zu diesem Zeitpunkt waren die eher leistungshomogenen Real- und Hauptschulen „Ausläufer“ und wurden durch Oberschulen oder Gesamtschulen ersetzt. In beiden Schulformen wird der Deutschunterricht nach einer anfänglichen Phase der Orientierung dennoch leistungshomogen in Kursen auf dem Realschul-, Hauptschul- oder Gymnasialniveau organisiert.
Ziel dieser bildungspolitischen Maßnahme ist die Erhöhung der Bildungschancen aller Kinder im Gegensatz zur jahrelang anhaltenden Stigmatisierung der Hauptschüler. Zehntklässler aller Schulformen schreiben die Abschlussprüfung in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch für den zentralen Mittleren Schulabschluss (MSA) in allen Bundesländern. Die darin geforderten Kompetenzen sollen Schülern eine gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. In den Klassen der Berufsschulen sind Schüler aller Schulformen anzutreffen. Dadurch sind die Berufsschulklassen sehr leistungsheterogen. Dennoch streben eher Hauptschul- und Realschulabsolventen eine duale Berufsausbildung an als Gymnasiasten, die mehrheitlich den Fokus auf ein Studium legen. Die berufliche Bildung in Deutschland innerhalb der Sekundarstufe II zeigt, dass Deutschland momentan überwiegend dual ausbildet, jedoch die meisten anderen europäischen Länder berufliche Vollzeitschulen oder eine vollbetriebliche Ausbildung vorweisen (Leischner, 1993:15):
Unter ‚dualem System‘ bzw. ‚dualer Berufsausbildung‘ versteht man eine Ausbildungsform, die die Ausbildung im Betrieb und den Unterricht in der Berufsschule umfaßt. Gemeinsames Ziel von Betrieb und Berufsschule ist die Vermittlung der geforderten Kenntnisse und Fertigkeiten für den zu erlernenden Beruf (Leischner, 1993:28).
Staaten mit überwiegend betrieblicher Ausbildung sind Deutschland, Dänemark, Österreich und die Schweiz, jene mit schulischer Ausbildung Frankreich, Belgien, Italien, die Niederlande, Finnland, Schweden, Norwegen und die Länder der ehemaligen Sowjetunion. Die betriebliche Ausbildung hat in Großbritannien, Luxemburg und Irland Bestand (Schaper et al., 2000:262). Deutschland hebt sich durch die duale Ausbildung in Europa besonders hervor:
Im Zusammenhang mit der Entwicklung des gemeinsamen europäischen Binnenmarktes wird das duale System im Vergleich mit dem Bildungssystem der übrigen europäischen Länder besonders hervorgehoben und sogar als ‚Exportschlager‘ der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet (Leischner, 1993:36).
Schon im Mittelalter gab es im deutschen Raum durch die Innungen, Zünfte und Gilden Regeln für die berufliche Ausbildung, rechtliche Mindestnormen wurden hingegen erst 1869 durch die Gewerbeordnung und 1897 durch das Handelsgesetzbuch eingeführt. Die Kammern bekamen 1897 durch das Preußische Gesetz ihre rechtliche Legitimität zur Regelung der Berufsbildung. 1930 wurde den Kammern noch mehr Selbstverwaltung für die berufliche Bildung gegeben. 1970 wurde dem Staat die berufliche Bildung als Aufgabe übertragen (Leischner, 1993:28f.). Das duale System hat sich in den letzten 200 Jahren erheblich verändert, aber ein Teil ist geblieben – die betriebliche Ausbildung und der berufsschulische Unterricht (Schaper et al., 2000:26), die auch im Grundgesetz rechtlich verankert sind:
Nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und den entsprechenden Verfassungen der Länder steht das gesamte Schulwesen unter Aufsicht des Staates. Schulen und Hochschulen sind in der Regel staatliche Einrichtungen der Länder. Im Bereich der beruflichen Bildung ist der Bund für die betriebliche Ausbildung zuständig, für das berufliche Schulwesen sind die Länder zuständig (Leischner, 1993:19).
Auch die berufliche Ausbildung in Deutschland unterliegt einem ständigen Prozess, denn Theorie und Praxis werden aufeinander abgestimmt und von außen beeinflusst. Grundlegend dafür sind Interessengruppen der verschiedenen dualen Partner, nämlich „Ausbildungsplanung der Wirtschaft und Bildungsplanung des Staates“ (Leischner, 1993:36). Eine Herausforderung besteht darin, die hohe Qualität der dualen Berufsausbildung zu halten.
Berufliche Erstausbildung und Umschulung werden auf der Makroebene didaktischer Planung über Curricula zu steuern gesucht, die zentral von Ausschüssen des Bundesinstituts für Berufsbildung entwickelt werden. Sie bestehen für den betrieblichen Teil der Ausbildung aus der Ausbildungsordnung mitsamt Berufsbild und Ausbildungsrahmenplan, für den berufsschulischen Teil aus dem Rahmenlehrplan für die vier fachtheoretischen Kernfächer (Reetz & Seyd, 1995:205).
Drei bildungspolitische Akteure nehmen neben dem Betrieb und der Schule zudem Einfluss auf die duale Ausbildung: das Bundesministerium der Justiz, die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder und die Kammern.
Werden alle drei bildungspolitischen Akteure mit ihren Merkmalsbeschreibungen für die berufliche Bildung in der BRD zusammengefasst, kommen folgende Aufgabenschwerpunkte zum Vorschein: Das Bundesministerium der Justiz akkreditiert die Ausbildungsberufe, die Kultusministerkonferenz implementiert die Rahmenlehrpläne für die berufliche Bildung in den Berufsschulen und die Industrie- und Handelskammer ist für die Betreuung der Ausbildungsbetriebe und die Abnahme der Prüfungen verantwortlich (Giera, 2010:19).
Die Kooperation und das Zusammenspiel aller drei bildungspolitischen Akteure sind Voraussetzung für die Qualität und Struktur der dualen Ausbildung in der BRD. Für die Ausführung sind allerdings zwei weitere Kooperationspartner prägend: Die Berufsschulen in Deutschland sollen die Theorie und die Betriebe die Praxis vermitteln. Beide Kooperationspartner fokussieren die berufliche Handlungsfähigkeit (§ 14 BBiG, 2005, siehe Abb. 9).
Es wird von dualer Ausbildung gesprochen, da sowohl der Ausbildungsbetrieb als auch die Berufsschule kooperative Partner in der Ausbildungszeit eines Auszubildenden sind. Während der Ausbildungsbetrieb eher die fachpraktische Vermittlung von Fertigkeiten und Fähigkeiten im jeweiligen Berufsbild übernimmt, legt die Berufsschule ihren Fokus auf die fachtheoretische Vermittlung (siehe Abb. 9).
Kooperationspartner der dualen Ausbildung (eigene Darstellung)
Im Rahmen der dualen Ausbildung besteht Berufsschulpflicht, auch wenn die Auszubildenden volljährig sind. Damit soll die fachliche Qualität der Ausbildung gewährleistet werden. An den Berufsschultagen sind die Auszubildenden von der Arbeit im Betrieb befreit (§ 15 BBiG, 2005). Die Berufsschule besuchen die Auszubildenden entweder ein- bis zweimal pro Woche, im Ausbildungsbetrieb arbeiten sie an den restlichen drei bis vier Tagen. Alternativ kann Blockunterricht durchgeführt werden.
Die Unterrichtstage an der Berufsschule werden komprimiert, und in regelmäßigen Abständen finden reine Schulwochen statt. So gibt es in diesem Falle reine Berufsschulwochen und reine Arbeitswochen im Betrieb. Der Berufsschulunterricht wird nach den Vorschriften des § 26 BBiG in drei Phasen unterteilt: Das erste Jahr umfasst die Phase der Grundbildung (Grundfertigkeiten und Grundkenntnisse), darauf foglen die Phase der allgemeinen beruflichen Fachbildung und im dritten Jahr die Phase der Vermittlung.
Seit den 1970er Jahren ist das Curriculum in der beruflichen Bildung geprägt vom Leitbegriff der handlungsorientieren Berufsbildung (Arnold et al., 1995:13). Bis heute hat an Berufsschulen die Handlungsorientierung im Unterricht eine besondere Stellung inne. Rückblickend zeigt die Historie der beruflichen Bildung schon im Mittelalter, dass das Handeln und Tun während des Ausbildungsprozesses nichts Neues sind (Czycholl & Ebner, 1995:41). Vielmehr wird durch diesen Begriff daran erinnert, in der beruflichen Ausbildung