Chroniken von Chaos und Ordnung. Band 6: Irwin MacOsborn. Legende. J. H. Praßl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: J. H. Praßl
Издательство: Bookwire
Серия: Chroniken von Chaos und Ordnung
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783948695712
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die richtige Richtung, „wieso wissen diese Wesen etwas über die Thanatanen? Hier, auf diesem südlichsten aller Kontinente?“

      Chara tastete nach ihrer Drogenpfeife und wurde fündig. Als sie den Beutel mit den Drogen suchte, stöhnte sie entnervt auf. „Vergessen“, knirschte sie. „Und ja, von Al’Jebal haben wir nur den Hinweis über die verbrannten Menschen und Schangra bekommen …“

      Irwin gab es unterdessen auf, auf Hilfe zu warten. Er schälte sich angewidert aus seinen Beinkleidern und seiner Tunika und band sich Letztere umständlich um die Hüften. Er war ausschließlich mit sich selbst beschäftigt, hatte sich kein einziges Mal in die Unterhaltung eingebracht.

      „Also, was haben wir, womit wir die Scorpios überzeugen können?“

      Chara ließ den Kopf in den Nacken rollen. „Absolut gar nichts.“

      Der Morgen danach begann so ernüchternd wie der vergangene Tag. Abgesehen davon, dass man ihnen Wasser gebracht und seltsame Pilze zu essen gegeben hatte, von denen Chara in dieselbe missliche Lage geraten war, in der sich Irwin tags zuvor befunden hatte. Das Zeug war nicht gerade giftig, wie sie selbst ja ganz gut beurteilen konnte, aber doch eine ungewohnte Mahlzeit für einen Menschen aus Amalea. Siralen ging es sogar noch schlechter. Überraschenderweise schickte man ihr einen Scorpio, der sich als der Heilung kundig herausstellte und ihr eine nicht zu identifizierende Flüssigkeit einflößte. Es sah ganz danach aus, als wollten die Wüstenkrieger nicht, dass man sie der Nachlässigkeit bezichtigte. Ihre Gefangenen hinzurichten oder im Kampf zu besiegen war das Eine, sie durch einen Unfall zu verlieren etwas ganz Anderes. Das Ergebnis war auf jeden Fall eine Elfe, die sich bester Gesundheit erfreute und eine Assassinin, die keinerlei Anlass sah, sich die Beinkleider nach vollbrachtem Geschäft wieder hochzuziehen, wo doch feststand, dass der nächste Latrinengang nicht allzu lange auf sich warten lassen würde. Zu Irwins grenzenloser Enttäuschung trug sie ein knielanges Hemd.

      Chara wollte einfach keine Idee kommen, wie sie sich aus ihrer misslichen Lage befreien konnten. Besonders zermürbend war ihre Erinnerung an eines der letzteren Gespräche mit Al’Jebal.

      „Wir brauchen diese Skorpionmenschen als Verbündete.“ Ein recht unmissverständlicher Auftrag, wie sie fand. Leider saß sie in diesem staubtrockenen, öden Lager fest – als Gefangene wohlgemerkt, nicht als willkommener Gast. Und das Ganze auch noch ohne Drogen, die sie leider im Lager vergessen hatte, ohne einen Vampir, der sie bei Laune hielt, ohne die Aussicht auf einen netten, kleinen Kampf, der hier glatter Selbstmord gewesen wäre. Ja, sogar ohne ihre Leibwachen. Und ohne Lindawen …

      Gedankensprung. Besser, sie konzentrierte sich auf das Hier und vergaß das Dort, mitsamt den grünen Augen, dem Mund, der sich öffnete, um genau jene Worte zu entlassen, die sie nicht hören wollte, nie hören wollte, und die doch so viel in ihr bewegten. Lin – DA – Wen … DA wurde sie ruhig. DA hielt sie still. DA fiel es ihr leicht, die fast schon schmerzhafte Hitze in ihrem Gemüt zu lindern …

      Und Lomond …Verdammt.

      Chara drehte sich um und spähte zu Siralen. Die Elfe war schweigsam in letzter Zeit. Sie wurde von Tag zu Tag schweigsamer, wenn sie es sich recht überlegte. Vermutlich vermisste sie jemanden. Und möglicherweise machte ihr die ganze freudlose Situation hier zu schaffen.

      War es freudlos hier? Irgendwie befand Chara sich in einer widersinnig euphorischen Stimmung. Sie hatte das Gefühl, dass sie endlich vorankamen, obwohl es ganz und gar nach Stillstand aussah. Alles um sie herum schien in Bewegung geraten zu sein. Dinge waren ans Licht gekommen, die sie nach noch mehr Wissen hungern ließen: Die Scorpios kannten das Volk der Thanatanen. Wie? Woher? Namen hatten sich ins Spiel gebracht, von deren Träger sie nicht gedacht hätte, dass sie sie je wiedersehen würde. Jemand war ihr näher gerückt, ein anderer hatte sich entfernt. Wieder ein anderer hatte sie einmal mehr aus der Fassung gebracht, weil er besser und ausdauernder kämpfte, als man es ihm zutrauen würden. Lomond, Lindawen, Kerrim … In dieser Reihenfolge.

      Chara war zu einer neuen Einsicht gekommen: Diese Welt war groß. Viel größer, als sie erwartet hatte. Und sie selbst war kleiner, als sie es sich je hätte erhoffen können. Sie und all die anderen, die mit ihr auf der Suche waren … Selbst Al’Jebal mochte klein sein im Vergleich mit der Welt. Chara schloss die Augen. Die Narbe an seinem Hals. War der große, der überaus mächtige Al’Jebal in Gefahr?

      Der Angriff, von wem auch immer durchgeführt, hätte tödlich für Al’Jebal enden können. So sah die Verletzung auf jeden Fall aus. Und doch, Al’Jebal war ein Thanatane. Er war mächtig. Mächtig genug, dass sich ein Wesen, das unendliche VALM von Amalea entfernt lebte, Gedanken über ihn und seinesgleichen machte. Aber was machte diese Tatsache mit ihr? Wieso spielte es eine Rolle, wie mächtig ihr einstiger Namai war? Wieso noch immer?

      Charas Blick fiel auf den leise schnorchelnden MacOsborn im hinteren Winkel des Zeltes. Die Gegenwart des Barden hob ihre Stimmung. Die Welt durch die Augen eines Kleingeistes wie ihn zu sehen, war eine willkommene Abwechslung. Irwin hatte ganz offensichtlich Spaß an der Freude, solange er sich nicht in akuter Gefahr befand. Das bewies nicht nur sein exzessives Feiern während des Festes auf Siralens Archipel. Chara verwettete ihren Arsch darauf, dass er, abgesehen von seinen Liedchen und seinem Gejammere, noch das Eine oder Andere auf Lager hatte, das Nok ein überraschtes „Oi“ entlocken würde. Leider war er ein Schlappschwanz.

      Was kam ihr noch in den Sinn? Worüber konnte sie noch sinnieren?

      Ach ja. Sie dachte nicht nur zu viel in letzter Zeit, sie redete auch zu viel. Wo war das Werkzeug, das ausschließlich funktionierte? Stumm und effizient …

      Chara trat zum Zelteingang und linste durch die halb geöffnete Plane. Wie tags zuvor standen zwei Wachen vor dem Zelt. Dahinter herrschte rege Betriebsamkeit. Was auch immer die Scorpios planten, wie auch immer sie sich den Tag gewöhnlich so totschlugen, sie waren in Aufruhr. Ihre steinernen Mienen wirkten angespannt, ihre Bewegungen teilweise hastig, teilweise emsig, teilweise wachsam. Als stünden sie kurz vor einem Aufbruch. Vielleicht fühlten sie es auch, so wie sie – fühlten die Veränderung, fühlten, dass sich irgendetwas in Bewegung setzte, das nicht mehr aufzuhalten war.

      Aufgescheucht, wachgerüttelt. Und wieder war sie dort, wo sie nicht hinwollte. Lin-da-wen und Lomond.

      „Reiß dich zusammen, Chara“, flüsterte sie und lenkte ihren Blick zurück auf die beiden Schwarzen vor dem Zelt.

      Das Gespräch mit dem Roten war gar nicht mal so übel verlaufen. Immerhin lebten sie noch. Und jetzt konnte sie es kaum erwarten, bis der Scorpio zurückkam und sie das Gespräch fortsetzen konnten. Es war an der Zeit, dass sie die Angelegenheit über die Bühne brachten – tot oder lebendig.

      „Wir werden euch töten.“

      Siralen schloss fatalistisch die Augen. Dass der Rote es aussprach, machte die Befürchtung zu einer alptraumhaften Tatsache. Sie würden hier sterben – mitten in der Wüste – weit, weit weg von der Meerjungfrau und Tauron.

      Sie waren erst seit wenigen Augenblicken zurück – der Rote und der Braune. Wenn der Beschluss nicht so vernichtend gewesen wäre, hätte sie so etwas wie Faszination gefühlt. Für die Tatsache, dass der Rote diesen auf Aschranisch vorgebracht hatte. Binnen kürzester Zeit hatte dieser Scorpio also ihre Sprache gelernt. Wie, das war ihr schleierhaft. Sie hatte angenommen, dass es sich bei diesen Kreaturen zwar um fähige Krieger handelte, nicht aber um geistig besonders gewandte Wesen. Wie so oft trog der erste Eindruck. Man dachte nur an die Fischwesen und ihre Art, sich zu artikulieren, die, der Weltgeist konnte es bezeugen, nicht eben auf eine besonders ausgeprägte Intelligenz hätte schließen lassen.

      Siralen starrte den Roten an, ohne wirklich zu fühlen, was sie hätte fühlen sollen: Todesangst.

      Vielleicht, weil sie noch nicht richtig realisiert hatte, dass sie sterben würde. Sie dachte nur an Tauron.

      „Wir werden euch töten.“ Die Botschaft war eindeutig. „Ihr wissst nichtsss. Ihr ssseid nichtsss. Ssselbst über Ssschangra könnt ihr unsss nichtsss sssagen.“

      „Wir haben euch gesagt, was wir wissen“, hörte