Mord im Gewächshaus. Elizabeth C. Bunce. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elizabeth C. Bunce
Издательство: Bookwire
Серия: Myrtle Hardcastle
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783957286055
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meinte nicht diesen Mord. Ich meinte einen anderen.«

      Richter Fox kniff die Augen zusammen und sah mich finster an. Andererseits war es auch denkbar, dass er nur Mühe hatte, mich von der Richterbank aus deutlich zu sehen, also winkte ich. Ich bemerkte, wie ein Ruck durch Vater ging. »Was reden Sie da von Mord, mein Kind? Wer sind Sie?«

      »Myrtle Hardcastle, Euer Ehren«, antwortete ich prompt, mit einem sehr professionellen Knicks.

      »Hardcastle? Das soll doch wohl nicht –«

      »Doch, Sir«, sagte ich stolz. »Der Staatsanwalt ist mein Vater.« Aus irgendeinem Grund brachte das alle zum Lachen.

      »Myrtle.« Rein technisch betrachtet, war es nicht möglich, meinen Namen zu zischen, doch Miss Judson hatte wütendes Flüstern zu einer Kunst erhoben.

      Der Richter rutschte unruhig auf seiner Bank hin und her. »Miss Hardcastle, was hat dieser Ausbruch zu bedeuten? Erklären Sie sich.«

      »Es tut mir sehr leid, Sir. Ich habe mich von dem Prozess mitreißen lassen. Es wird nicht wieder vorkommen.«

      »Schon recht, schon recht«, sagte der Richter. »Trotzdem haben Sie deutlich gesagt: nicht dieser Mord, sondern ein anderer. Von welchem Mord ist die Rede, wenn nicht von demjenigen, der uns heute beschäftigt?«

      Ich errötete, blieb aber standhaft. »Der an meiner Nachbarin, Sir.«

      Diesmal verließ Vater seinen Tisch. »Ich bitte vielmals um Verzeihung, Euer Ehren. Meine Tochter und ihre Gouvernante wollten gerade gehen. Ich versichere Euch, dass –«

      »Ja, ja.« Ungeduldig winkte der Richter ab. »Doch wovon in aller Herrgotts Namen redet sie? Arbeiten Sie im Augenblick noch an einem anderen Fall? Ihre Nachbarin?«

      »Wenn ich hinunterkommen darf, kann ich alles erklären«, schlug ich hilfsbereit vor. Ein Richter könnte sicherlich eine Untersuchung anordnen.

      Die Lippen des Richters zuckten und es dauerte lange, bis er antwortete. »Nein, Miss Hardcastle, das wird nicht nötig sein. Herr Staatsanwalt, wir reden nach der Verhandlung darüber.«

      »Danke, Euer Ehren. Bitte vielmals um Entschuldigung.«

      »Miss Hardcastle, wenn es Ihnen nichts ausmacht, können wir uns dann weiter mit diesem Mord beschäftigen?«

      »Einspruch!«, rief der Verteidiger, bevor ich antworten konnte.

      »Abgewiesen«, entgegnete Richter Fox müde. »Miss Hardcastle, was sagen Sie?«

      »Oh, natürlich, Euer Ehren. Fahren Sie fort.«

      »Danke«, sagte der Richter. »Verteidiger, rufen Sie Ihren nächsten Zeugen auf.« Der Richter schlug mit seinem Hammer aufs Pult und Miss Judson räumte hastig alles zusammen, bevor sie mich praktisch aus der Galerie schubste.

      Ich war in Ungnade gefallen. Das war mir klar, sobald Miss Judson mich ohne ein einziges Wort aus dem Gerichtssaal und die Treppe hinab zum Kutschstand brachte, um dort unsere Räder abzuholen. Ich fürchtete mich ein wenig davor, sie anzusehen, doch als sie auf ihr Rad stieg, warf ich ihr schließlich doch einen Blick zu. Unter ihrem Strohhut war ihr Gesicht feuerrot. War sie in Verlegenheit? Oder wütend?

      »Aber der Richter –«, setzte ich an.

      »Nach Hause.« Drohend zeigte sie in die entsprechende Richtung. Schweigend radelte ich also nach Gravesend und überlegte, warum sie so verärgert war. Ich hatte die Verhandlung nicht absichtlich stören wollen und der Richter hatte ja auch nicht sie aufgerufen. Außerdem, was hätte ich schon anderes tun sollen, wenn er mir doch eine Frage gestellt hatte?

      Vater würde erst spät nach Hause kommen. Er hatte uns eine Nachricht geschickt, dass er im Club mit einem anderen Anwalt zu Abend essen würde. Es war schon seit Tagen geplant, dennoch fühlte es sich wie ein unverdienter Tadel an. Mein kaltes Abendessen nahm ich schmollend in der Küche ein, inmitten eines verstreuten Sammelsuriums an Messingarmaturen und losen Teilen des gusseisernen Herds, den die Köchin in ihrem andauernden Kampf darum, seine Leistung zu optimieren, einmal mehr auseinandergenommen hatte. Der Herd schien jedoch auch dieses Mal zu gewinnen.

      »Ich habe Vaters Prozess ruiniert«, sagte ich.

      Schnaufend wie eine Dampflok kroch die Köchin aus der Ofenröhre und brachte zuletzt ihr fettverschmiertes und gerötetes Gesicht zum Vorschein. Sie sah aus wie ein Kaminkehrer. »Ruiniert? Pah. Übertreiben Sie mal nicht.« Sie griff nach ihrem Schraubschlüssel und versetzte dem Gehäuse einige besorgniserregende Schläge, die unmöglich etwas verbessern konnten.

      Der Taufname unserer Köchin lautete Harriet Stansberry, obwohl ich noch nie erlebt hatte, dass jemand sie anders als mit »Köchin« angesprochen hätte. Ich war schon sechs, als mir bewusst wurde, dass sie überhaupt noch einen anderen Namen hatte. Vaters Lieblingssüßspeise war ein Gericht, das wir Stansberry-Pastete nannten, und ich hatte eine ganze Woche botanischer Verwirrung ertragen müssen, weil ich diese mir unbekannte Stansberry-Beere (denn was konnte es anderes sein, steckten doch eindeutig Beeren in diesem Kuchen) zu klassifizieren. Jedoch fand ich sie in keinem Bestimmungsbuch, keinem Lexikon und auch keinem Rezept, das ich aufstöbern konnte.10 Trotz ihres Kleinkriegs mit dem Herd waren die Süßspeisen von Köchin ein Gedicht, dafür fiel ihr Zuspruch bisweilen so kalt wie ihre Abendessen aus.

      »Er arbeitet doch häufig spät«, sagte sie nun. »Das heut muss nicht Ihre Schuld sein.«

      »Sie waren nicht dabei«, sagte ich und stocherte bedrückt in dem kalten Stück Schinken herum. »Sie haben den Richter nicht erlebt.«

      Als Vater endlich nach Hause kam, lange nachdem ich eigentlich schon im Bett hätte sein sollen, rief er sofort Miss Judson zu sich ins Arbeitszimmer. Das war in der Tat sehr schlimm. Wenn ich wirklich in Schwierigkeiten steckte, war es immer Miss Judson, die sich dafür einen Vortrag anhören musste. Einmal hatte ich den Fehler gemacht, mich zu ihrer Verteidigung einzumischen, daher wusste ich es nun besser und platzte nicht hinein, um mich für sie starkzumachen. Also lauschte ich stattdessen vom Wasserklosett hinter Vaters Arbeitszimmer aus. Die Wand war praktischerweise (oder ungünstigerweise, je nachdem wie man es betrachtete) dünn und da er die Stimme auf Gerichtssaallautstärke erhoben hatte, war es kinderleicht, jedes seiner Worte zu verstehen.

      »Für den heutigen Vorfall gibt es keine Entschuldigung«, fing er an. Ging er auf und ab, wie er es auch manchmal vor Gericht tat? Oder stand er fest wie ein Fels am Schreibtisch? »Ich werde Ihnen ersparen zu beschreiben, wie unwürdig es ist, vom königlichen Hofrichter für das Benehmen meiner Tochter im Gerichtssaal gerügt zu werden.«

      »Oje«, sagte Miss Judson. Ich zog in meinem Versteck den Kopf ein, dankbar dafür, dass keiner von beiden mich sehen konnte. »Mr Hardcastle, ich bin sicher, es war nicht Myrtles Absicht, das Verfahren zu stören, erst recht nicht, Sie zu blamieren.«

      »Es ist nie ihre Absicht!«, rief Vater. »Trotzdem hat sie ein wahres Talent dafür. Allmählich scheint es mir kein Einzelfall mehr zu sein, sondern ein Symptom für ein weit größeres Problem.«

      »Ach ja, Sir?« Einen hoffnungsvollen Moment lang dachte ich, sie würde vielleicht die sokratische Methode bei Vater anwenden, doch diese Hoffnung wurde schnell zunichte gemacht.

      »Im Morgengrauen in der Nachbarschaft herumzuschnüffeln?« Sein scharfer Tonfall ließ mich auf dem Waschschrank sogar noch kleiner zusammenschrumpfen. »Einen ganzen Haushalt aus dem Schlaf zu reißen wegen nichts anderem als dem Verhalten einer Katze? Und dann auch noch diese Verhandlung zu stören! Andere Mädchen tun so etwas nicht! Wie erklären Sie dieses Verhalten, Miss Judson?«

      Miss Judson sprach so deutlich und mit so viel Autorität wie ein Anwalt. »Zunächst einmal ist Myrtle nicht wie andere Mädchen. Sie ist ein einzigartiges Individuum und Ihre Tochter. Ich bezweifle, dass Sie irgendein anderes Kind von zwölf Jahren mit einem solch scharfen und begierigen Verstand finden.« Als ich diese aufbauende Charaktereinschätzung hörte, setzte ich mich gleich ein wenig aufrechter.

      »Doch dieses Interesse für Tod und Mord – das kann nicht normal sein.«