Mord im Gewächshaus. Elizabeth C. Bunce. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elizabeth C. Bunce
Издательство: Bookwire
Серия: Myrtle Hardcastle
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783957286055
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verächtlich. »Was denn, hast du etwa Angst?« Für junge Damen aus gutem Hause, viel zu sensibel für etwas so Vulgäres wie eine Leichenhalle, gilt die Regel, auf solche Sticheleien nicht zu reagieren. Allerdings haben die Experten für Etikette nicht mit den LaRue Spence-Hastings dieser Welt gerechnet. »Angst vor Leichen?«

      »Na ja, eigentlich gibt es gar keine«, setzte Caroline an, womit ich hätte rechnen sollen. Man musste die Toten inzwischen bereits abgeholt und zum Bestatter gebracht haben. Swinburne war zu klein für eine richtige Leichenhalle, weshalb Dr. Munjal sein Labor auch bei sich zu Hause hatte – gewiss zur großen Begeisterung der Nachbarn.

      »Ich will wetten, dass es dort spukt«, sagte LaRue. »All die Männer, die dein Dad aufgeschlitzt hat.«

      »LaRue! Das ist widerlich!« Caroline war wirklich bestürzt. Ich wollte erklären, dass ein toter Körper sich nicht von einem lebenden unterscheidet, abgesehen davon, dass er nicht sprechen und einem sagen kann, wo das Problem lag. Das muss man sich von anderen Hinweisen herleiten. All die Organe, Knochen, das Blut und das Muskelgewebe – es waren exakt die gleichen Knochen, das Blut und die Organe, die auch Caroline und LaRue gerade in sich trugen. Zudem waren die meisten Menschen, die Dr. Munjal untersuchte, nicht ermordet worden, daher gab es eigentlich gar keinen Grund, sich so aufzuregen.

      LaRue rüttelte am Türknauf. Offensichtlich ging sie davon aus, dass abgesperrt sein müsste, doch die Tür öffnete sich knarrend, woraufhin sie kreischend einen Satz zurückmachte und gleich darauf kicherte.

      »Na los, geh schon«, fuhr Caroline sie an. »Du wolltest doch unbedingt rein, also mach.«

      »Myrtle zuerst«, sagte LaRue.

      Als ich eintrat, fiel mir sofort der Geruch nach Desinfektionsmittel auf und der unverkennbare … nun, das einzig Treffende ist: Gestank der Verwesung. Im Kutschenhaus brannten keine Lampen, doch die großen Fenster ließen ausreichend Tageslicht ein, selbst an einem wolkenverhangenen Tag. Caroline hatte behauptet, es gäbe hier keine Leiche, doch auf dem Untersuchungstisch lag etwas unter einem weißen Tuch, von dem ein unheilvolles Sirren ausging. Mit enger Brust trat ich vorsichtig näher. Es war nichts anderes als die Frösche in meinem Biologiebuch. Genau wie ein Hühnchen auf dem Esstisch unserer Köchin, sagte ich mir.

      Lieber Leser, an dieser Stelle muss ich eine Anmerkung darüber machen, wie wichtig es ist, die eigene Beobachtungsgabe nicht nur für die Welt der Natur zu schärfen, sondern auch für die wesentlich kryptischere menschliche Natur. Soll heißen: Ich hätte wissen sollen, was gleich geschah. Allerdings freute ich mich so darüber, dass mein Plan, in Dr. Munjals Büro zu gelangen, aufgegangen war, ich bemerkte nicht einmal, dass die beiden anderen draußen geblieben waren. Dann hörte ich hinter mir Stoff rascheln, gefolgt von einem gackernden Lachen. Als ich mich erschrocken umdrehte, sah ich, dass man das Trauerkostüm über die Schwelle geworfen hatte.

      »Bitte, Myrtle Makaber«, rief LaRue von der Tür aus. »Viel Spaß mit den anderen Leichenfledderern.« Sie knallte die Tür zu, die sich mit einem beunruhigenden Klicken schloss.

      Ich rannte hin und zog am Knauf, doch die Tür wollte sich nicht rühren. Sie hatten mich eingeschlossen.

      Der Ehrlichkeit halber muss ich meine Leser daran erinnern, dass ich mir diese Suppe selbst eingebrockt hatte. Dennoch will ich meine Behauptung von vorhin wiederholen, nämlich dass es keinen Grund gab, sich zu fürchten. Jenseits meiner wildesten Hoffnungen für meine Mission, hatte ich nun die Gelegenheit, die Halle gründlich zu untersuchen. Daher machte ich mich, alles andere als beunruhigt, sofort an die Arbeit. Ich blätterte in den Papieren auf Dr. Munjals Schreibpult, dem Untersuchungstisch eisern den Rücken zugekehrt, und gab mein Bestes, meine Nase aus allem herauszuhalten, was nichts mit Miss Wodehouses Tod zu tun hatte. Doch ich wage zu behaupten, dass es selbst Caroline schwergefallen wäre, einer Akte zu widerstehen, auf der in fetten roten Buchstaben ARSEN oder ENTHAUPTET? (mit Fragezeichen) stand.

      Natürlich wurde ich die Vorstellung einer Enthauptung nicht so leicht wieder los, sobald sie mir erst im Kopf herumspukte (das soll kein Wortspiel sein!). Wegen der Laborgerüche atmete ich flach durch den Mund und schon bald war mein eigener Atem das Einzige, was ich noch hören konnte. Das und das seltsame Sirren, das lauter zu werden schien. Sicher war dieser Gestank schlimmer, als er hätte sein sollen – in einem leeren Raum. Unwillkürlich warf ich einen verstohlenen Blick über die Schulter. Wären das dort auf dem Untersuchungstisch nur Handtücher, warum sollten sie abgedeckt sein? Und war dieser Haufen nicht verdächtig kurz? Kurz wie ein kopfloser Körper vielleicht?

      »Konzentriere dich, Myrtle.« Ich war wegen Miss Wodehouses Bericht hier. Also griff ich über den Schreibtisch nach noch mehr Mappen und gab acht, den wundervollen Briefbeschwerer in Form eines Totenschädels (ich ging davon aus, dass es lediglich eine Nachbildung war) nicht zu verrutschen, doch auch hier fand sich keine Akte über Miss Wodehouse. Dr. Munjal hatte die Schreibtischschubladen unverschlossen gelassen – also wirklich, hielt denn jeder Verbrechen in Swinburne für undenkbar? –, doch darin befanden sich hauptsächlich blanke Seiten und Füllerfedern.

      An den Schreibtisch gelehnt, tippte ich mit dem Finger gegen meine Lippen. Ich musste diesen Befund finden. Du meine Güte, dieser Gestank wurde immer intensiver. Mein Hals brannte vom Antiseptikum, das hier in der Luft hing, und allmählich wurde es dunkler, weil düstere Wolken aufzogen. Ich blickte auf meine Uhr. Es war nach drei Uhr nachmittags. Die Langweilerinnen wussten, dass Miss Judson mich um vier abholen würde – gewiss würden sie mich vorher herauslassen.

      Ich drehte noch eine Runde durch die Leichenhalle. Unter den großen Fenstern an der Rückseite befand sich eine Werkbank voller Apparate und Proben, einschließlich eines prächtigen Mikroskops, schicker noch als das von Mum, mit einem schweren Messinggehäuse und einem Koffer voll austauschbarer Linsen. Es war das Labor meiner Träume und ich hatte noch fast eine Stunde, um es zu erforschen. Hätte nur dieser Untersuchungstisch meine Blicke nicht immer wieder wie magisch angezogen. Er schien mir in den Nacken zu hauchen und mich zu necken.

      Vielleicht würde sich ENTHAUPTET? als weniger große Ablenkung erweisen. Ich legte die Akte neben die Fenster auf die Werkbank und schlug sie auf. Enttäuschenderweise handelte es sich lediglich um eine Reihe banaler Protokolle, wie etwa einen alten Brief vom Schofield College und eine Bestellung von Objektträgern für das Mikroskop. Kein Kopfloser, nicht mal jemand, der annähernd den Kopf verloren hatte. Während ich alles Langweilige überblätterte, fiel mir das Wort Ambrose auf, hingekritzelt auf die Ecke einer Seite. Konnte damit Mr Ambrose, der Jurist, gemeint sein? Er war ein Freund von Vater – und Miss Wodehouses Anwalt. Ich zog das Blatt aus der Akte. Es stellte sich als der Obduktionsbefund für jemanden heraus, der 1887 gestorben war (nicht durch Enthauptung), im selben Jahr wie Mum. Vielleicht einer von Mr Ambroses Klienten? Ich las weiter.

      Harold Cartwright, 67, tot aufgefunden in seinem Bett infolge von aufgetretenen Komplikationen in Zusammenhang mit Wassersucht – eine Krankheit, bei der sich Flüssigkeiten im Körpergewebe ansammeln. Allerdings muss es eine Autopsie gegeben haben, denn unter »Offizielle Todesursache« stand: »Vergiftung durch extrem hohe Dosis Digitalis«. Gift. Von Digitalis hatte ich schon gehört – es war ein Medikament gegen Wassersucht, daher war es nicht verwunderlich, dass der Doktor es gefunden hatte. Doch offenbar hatte er eine tödliche Überdosis festgestellt. So interessant das auch war, half es mir bei Miss Wodehouse nicht weiter. Seufzend legte ich alles zurück in die Mappe.

      Auf dem Ordner landete eine Fliege, grün, dick und haarig. Ich schlug nach ihr.

      Wo blieb Miss Judson?

      Wo waren die Langweilerinnen?

      Wo, um Himmels willen, steckte Dr. Munjal? Ein entferntes Donnergrollen untermalte meine Überlegungen.

      Dann kam mir ein grässlicher Gedanke.

      Was wenn Miss Judson schon dagewesen war, um mich abzuholen, und LaRue und Caroline ihr aufgetischt hatten, dass ich mich gelangweilt und bereits verabschiedet hätte? Hätte sie ihnen geglaubt? Obwohl ich mir allergrößte Mühe gab, die Regeln zu umgehen, die Vater für mich aufstellte, kam es äußerst selten vor, dass ich Miss Judson nicht gehorchte. Allein die Vorstellung, sie könnte annehmen, ich wäre ohne ihre