Mord im Gewächshaus. Elizabeth C. Bunce. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elizabeth C. Bunce
Издательство: Bookwire
Серия: Myrtle Hardcastle
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783957286055
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blinzelte mich an. »Mir kam nicht in den Sinn, dass wir Beweise sammeln würden – ach, egal. Nein.«

      Ich ging auf die Knie und holte mein Detektivset heraus. Mit einer winzigen Kelle nahm ich eine Bodenprobe von der Stelle direkt neben einem der Fußabdrücke. Miss Judson zauberte in der Zwischenzeit etwas Beeindruckendes hervor: Sie reichte mir ein ausrollbares Maßband, damit ich die Spur vermessen konnte. »Ich weiß, du hast auch so eines«, sagte sie mit einem Anflug von Selbstgefälligkeit in der Stimme. »Wenn diese Abdrücke von Mr Hamm stammen, dann war er hier. Irgendwann.«

      »Letzte Nacht hat es geregnet«, sagte ich. »Doch inzwischen ist der Boden zu hart, um darin Spuren zu hinterlassen.« Ich stampfte fest in die Erde, verursachte aber nur eine undeutliche, kaum wahrnehmbare Delle. »Diese hier müssen vor etlichen Stunden entstanden sein. Ungefähr um Mitternacht, würde ich meinen.«

      »Ist dem so, kleine Lady?«, donnerte hinter mir eine herzliche Stimme. Miss Judson und ich richteten uns auf und wirbelten herum. »Na, da schau einer an, wenn das nicht die junge Myrtle ist, das Töchterchen des Staatsanwalts!«

      »Guten Morgen, Inspektor Hardy«, sagte ich. Inspektor Hardy war mein Lieblingspolizist aus der Polizeidirektion von Swinburne und arbeitete für die brandneue Ermittlungsabteilung, der ich hoffte, einmal beizutreten, wenn ich erst alt genug wäre. Zumindest solange ich nicht nach London ziehen und für Scotland Yard arbeiten würde. Ich machte einen kleinen Knicks. »Danke, dass Sie so schnell gekommen sind.« Ich hatte zur Fernsprechzelle rennen müssen, um die Polizei zu verständigen, da Vater es nicht für notwendig hielt, im Haus ein Telefon installieren zu lassen. Es gab eine ganze Liste von modernen Dingen, die Vater für unnötig hielt, und Miss Judson ermahnte mich immer wieder dazu, dankbar zu sein, dass die »Ausbildung junger Damen aus gutem Hause« nicht dazu gehörte.

      »Dann haben Sie uns also gerufen? Die vom Notruf meinten, es handele sich um einen Dumme-Jungen-Streich.«

      Ich zupfte am Saum meines Kleids, das sich beharrlich weigerte, zu klein für mich zu werden. Bevor ich antworten konnte, ergriff Miss Judson das Wort.

      »Ja, verzeihen Sie, Inspektor. Ich glaube, Myrtle hat etwas gesehen, was sie beunruhigte, und sich dann hinreißen lassen. Wir wollten keine Unannehmlichkeiten machen.«

      »Oh, das haben Sie nicht, keine Sorge.« Inspektor Hardy nahm den Hut ab und kratzte sich am kahler werdenden Kopf. »Allerdings haben wir gewisse Scherereien mit den Angehörigen, wenn Sie verstehen.«

      Ein junger Mann, etwa in Miss Judsons Alter, lungerte vor der Tür zur Orangerie herum und rauchte einen Zigarillo2.

      Ich sah mich nach hingeworfenen Stummeln um. Die Füße des Mannes konnte ich nicht sehen, allerdings war es gut möglich, dass er die zweite Spur von Abdrücken hinterlassen hatte.

      »Sie da! Sind Sie bald fertig?« Sein Tonfall war ordinär und ungeduldig. »Ich will die Sache über die Bühne gebracht haben, bevor die Gaffer aus der Nachbarschaft in Scharen anrücken. Ah, wie ich sehe, rotten sie sich schon zusammen.« Er machte auf seinem nicht sichtbaren Absatz kehrt und knallte die Tür hinter sich zu.

      »Wer war das?«, fragte ich.

      »Ach, irgendein Neffe oder so was in der Art …« Inspektor Hardy zögerte. »Warum haben Sie denn nun angerufen, Miss Myrtle?«

      Neffe? Ich hatte gar nicht gewusst, dass Miss Wodehouse Verwandte hatte. Andererseits, hätte ich eine Tante wie Minerva Wodehouse, würde ich mich auch so selten wie möglich blicken lassen. Nachdem ich meine Aufmerksamkeit wieder Inspektor Hardy zugewandt hatte, erstattete ich meinen ersten offiziellen Bericht. »Heute Morgen gegen 6 Uhr 45 vermutete ich, dass auf Redgraves etwas nicht stimmt. Miss Wodehouse und ihr Gärtner, Mr Llewellyn Hamm, arbeiten sonst jeden Morgen im Garten, doch heute ließ sich keiner von beiden blicken.«

      »Genauso wenig wie die Katze«, murmelte Miss Judson. Sie schaute unter ihrer Hutkrempe hervor Richtung Himmel, daher war es vollkommen unmöglich zu erraten, was ihr durch den Kopf ging.

      »Hm? Katze?«, hakte Inspektor Hardy nach.

      Miss Judson schüttelte knapp den Kopf und gab mir zu verstehen, dass ich fortfahren sollte. Ich wiederholte, was ich schon Miss Judson erzählt hatte (abgesehen von den Holyrood-Giftmorden, dafür betonte ich das ungewöhnliche Abweichen von der Routine auf Redgraves an diesem Morgen). »Und da beschloss ich dann, es wäre angebracht, Hilfe zu holen.«

      »Ich möchte mich noch einmal für die Unannehmlichkeiten entschuldigen«, warf Miss Judson ein. »Würden Sie Miss Wodehouse ausrichten, dass es nie wieder vorkommt

      Ich nickte bekräftigend. Ich gebe zu, bisher war es mir nicht in den Sinn gekommen, dass es Folgen haben könnte, Miss Wodehouse zu verärgern. »Es sei denn, es geht um Leben oder Tod«, schwor ich.

      Inspektor Hardy sah mich ernst an. »Nun«, sagte er, »es war gut, dass Sie uns gerufen haben.« In diesem Moment öffneten sich die Türen der Orangerie erneut. Diesmal traten zwei Polizisten mit einer Trage heraus. Als wir sahen, was sich darauf befand, drückte Miss Judson meine Hand, und zwar fest. Es hatte verdächtige Ähnlichkeit mit einer Leiche, vollständig bedeckt von einem schwarzen Tuch.

      »Aye«, sagte Inspektor Hardy. »Es ist die alte Lady, ruhe sie in Frieden. Sie ist in der Nacht verstorben.«

      1eine modische Bezeichnung für eine Art verglaste Sonnenterrasse

      2eine widerliche Sorte einer kleinen braunen Zigarette, von der die Autorin nichts Genaues zu berichten weiß

       2

       Die Gräber von Redgraves

       Verdächtige Todesfälle erfordern zwingend eine gründliche Untersuchung des Tatorts, Befragung der Zeugen und schnellstmögliches Sicherstellen von Beweisstücken. Zeit ist von absoluter Bedeutung. H. M. Hardcastle: Die Grundlagen der Detektion — Ein Handbuch für Amateur- und Berufsermittler, 1893.

      Wir sollten zu spät zum Frühstück erscheinen, denn Inspektor Hardy hatte noch einige Fragen an uns, während er meinen gekonnt auswich. Jedoch informierte er uns darüber, dass Miss Gertrude Guildford, Hausmädchen auf Redgraves, die Leiche ihrer Herrin in der Badewanne aufgefunden hatte, als sie diese am Morgen wecken wollte. Ich antwortete ihm in aller Ausführlichkeit (Inspektor Hardy schien bereits einen langen Tag hinter sich zu haben – als ich mit meinem Bericht fertig war, wirkte er regelrecht erschöpft), während sich in meinem Kopf die Gedanken überschlugen. Wo steckte Mr Hamm? Was war aus Peony geworden? Wer hatte sich mitten in der Nacht auf Redgraves herumgetrieben? Woher war dieser »Neffe« aufgetaucht? Warum hatte Miss Wodehouse spätabends ein Bad genommen, wo doch alle Welt wusste, dass Trudy ihr jeden Vormittag um halb elf nach dem Gärtnern eines einließ?

      Ich wäre ja geblieben, um die Ermittlungen zu unterstützen, doch Miss Judson warf immer wieder vielsagende Blicke auf ihre Armbanduhr. Vater war nicht so streng wie manch andere Eltern, doch gewiss würde auch er erwarten, dass seine Tochter und ihre Gouvernante zum Frühstück zu Hause waren und nicht unterwegs, um die Polizei zu beraten. Abgesehen davon wollte ich selbst dringend nach Hause, und zwar nicht nur um Vater die Neuigkeit von Miss Wodehouses mysteriösem und plötzlichem Ableben zu überbringen, sondern auch weil das Frühstück für mich eine ganz entscheidende Bedeutung hatte. Genau einmal am Tag konnte ich mich darauf verlassen, dass Vater, Miss Judson und ich gemeinsame Zeit mit ganz gewöhnlichen, häuslichen Dingen verbrachten. Damit war es meine einzige Gelegenheit, Vater uns drei als das zu präsentieren, was ich längst in uns sah: eine Familie.

      Doch – wie üblich – war Vater abgelenkt und bemerkte nicht einmal, dass Miss Judson und ich uns verspätet hatten, erst recht nicht, dass wir bereits außer Haus gewesen waren. Mit einem halb vergessenen Stück Toast in den Fingern kauerte er am Tisch über einem Teller, der von einem Meer an Papieren umgeben war.

      »Heute fängt der neue Prozess an, nicht wahr, Vater?« Es handelte sich um meine Lieblingssorte von Fällen, einen Mord, obwohl dieser gar nicht so interessant