Mord im Gewächshaus. Elizabeth C. Bunce. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elizabeth C. Bunce
Издательство: Bookwire
Серия: Myrtle Hardcastle
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783957286055
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undeutlich das vertraute Muster von Mr Hamms Stiefeln ausmachen konnte. Und auf der Holzeinfassung des Blumenbeets prangte, deutlich wie ein Blutfleck, ein einzelner schlammiger Abdruck vom Schuh einer zweiten Person. »Da ist schon wieder diese andere Fußspur«, sagte ich. »Genau wie die in der Nähe der Terrasse.«

      »Zigarillos?«, erkundigte sich Miss Judson und schlug ihr Skizzenbuch auf, um das Beweisstück zu dokumentieren.

      »Leider nein.« Ich ging tief in die Hocke und begutachtete die Spuren von Mr Hamms Stiefeln sowie den fremden Abdruck auf dem Holzbrett. »Was ist mit den Blumen passiert? Wer könnte das getan haben – und warum?«

      »Käme nicht Miss Wodehouse selbst infrage?«, überlegte sie. »Um die Beete für einen anderen Zweck freizumachen?«

      Ich spähte zu den verwüsteten Parzellen und versuchte, mir das auszumalen. Diese Blumen waren mehrere Hundert Pfund wert gewesen. »Finden Sie, dass sähe der geizigen alten Miss Wodehouse ähnlich?« Die jahrelangen Forschungen, all ihre Experimente und Züchtungen, ganz abgesehen von den Zwiebeln …

      »Sehen Sie sich um«, sagte ich mit neuem Eifer. »Haben die Täter alles ausgegraben oder nur die Triebe vernichtet?«

      Miss Judson hatte sofort begriffen. Sie zog ihre Handschuhe aus (warum trug sie die dann überhaupt? Mode war mir nun wirklich ein Rätsel …) und griff mit den nackten Händen in die frisch umgegrabene Erde. »Nichts zu spüren«, sagte sie, »aber es würde den ganzen Tag dauern, den kompletten Garten abzusuchen.«

      Ich stocherte im lockeren Boden meiner eigenen Ecke, wobei ich mir Mühe gab, keine der Fußspuren zu verwischen. Meine Finger stießen nicht auf die fleischige, knollige Zwiebel einer Lilie, sondern auf kaltes Metall. Ich zog es heraus und schüttelte die Erde ab. »Was ist das?« Mein Fund bestand aus geprägtem Silber, ungefähr so lang wie mein Daumen, mit einem runden Ende wie von einem Löffelstiel und einer Art eingebautem Federhebel. Als ich ihn hochhielt, bemerkte ich auf einer Seite einen schwachen roten Fleck.

      »Oh, gut für dich«, sagte Miss Judson »Weil du es nicht kennst, meine ich. Das ist ein Zigarrenschneider. Ist das darauf etwa Blut?«

      Ich betrachtete den Fleck nachdenklich. »Lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Doch es sieht ganz danach aus.« Ich verlagerte mein Gewicht auf die Fersen und inspizierte den Tatort. Die Katze war wieder verschwunden. »Mr Hamm raucht keine Zigarren, und ich bezweifle, dass Miss Wodehouse es getan hat.«

      »Und falls doch, dann bestimmt nicht bei der Arbeit. Und dieser Wodehouse-Neffe braucht für seine Zigarillos keinen Zigarrenschneider.«

      »Würde man beides rauchen?«

      Einen Augenblick schien sie hin- und hergerissen. Diesen Gesichtsausdruck kannte ich – sie wog die Vorteile davon ab, mir etwas zu meinem eigenen Wohl zu verschweigen, gegenüber denen, die es mit sich brachte, meinen Wissensdurst zu stillen. »Nein«, sagte sie schließlich. »Wohl eher nicht.«

      »Also war letzte Nacht noch ein zweiter Mann hier.« Ich stand auf und zog ein Taschentuch aus der Tasche meines Schürzenkleids, denn für meine Probengläschen war der Zigarrenschneider zu groß. Ich war einigermaßen sicher, dass der »Blutfleck« nicht verwischen würde, solange ich ihn nur vorsichtig genug einwickelte.

      »Wie kannst du sicher sein, dass es ausgerechnet letzte Nacht war?«

      Nachdem der Zigarrenschneider sicher in meiner Tasche verstaut war, ging ich die Hinweise durch. »Die Fußspur des Fremden wurde hinterlassen, nachdem es aufgehört hatte zu regnen, sonst hätte es sie weggespült. Am Morgen wiederum war es zu trocken für deutliche Abdrücke.«

      »Du weißt aber nicht, ob der Zigarrenschneider zum selben Zeitpunkt fallen gelassen wurde oder ob er überhaupt diesem ›Fremden‹ gehörte«, forderte sie mich heraus.

      »Hier ist eindeutig etwas vorgefallen.« Ich deutete auf die zerstörten Beete und den aufgewühlten Pfad. »Es kann nur vergangene Nacht gewesen sein, weil die Pflanzen gestern während meines Unterrichts bei Mr Hamm noch unversehrt waren.« Soviel hatte ich durch das Tor erkennen können, um nun sicher zu sein. »Wir wissen, dass der Zigarrenschneider nicht ihm gehört, weil er keine Zigarren raucht, und er war der Einzige, den Miss Wodehouse überhaupt hier hineingelassen hat.«

      »Vielleicht handelt es sich um ein Familienerbstück«, konterte sie. »Hat eventuell seinem Vater gehört.«

      Ich schüttelte den Kopf. »Er ist neu – Sie haben selbst gesehen, wie sehr er noch glänzt, und die Klinge war kaum abgenutzt.«

      Deshalb verstanden wir uns und deshalb mochte ich Miss Judson als Lehrerin so sehr. Sie ließ mich die Dinge selbst herausfinden und stellte mir herausfordernde Fragen, um mich auf den richtigen Weg zu bringen.6

      »Nun gut«, sagte sie. »Letzte Nacht hat also jemand diesen Zigarrenschneider in Miss Wodehouses Liliengarten fallen lassen. Was sagt uns das?«

      Auf diese Frage hatte ich keine Antwort. Noch nicht.

      Ich wollte weiter nach Spuren suchen, doch Miss Judson wischte sich die Hände an ihrer Schürze sauber. »Ich glaube, für einen Morgen haben wir durchaus genug getan. Wir wollen ja nicht zu spät im Gericht erscheinen.«

      »Wenn wir jetzt gehen, haben sie Zeit, alle anderen Beweise verschwinden zu lassen.« Wer immer »sie« auch sein mochten.

      Miss Judson wirkte deswegen bei Weitem nicht so betrübt, wie man hätte annehmen können. »Dieses Risiko müssen wir wohl eingehen. Ab nach Hause.«

      Wir fuhren mit dem Rad zum Gericht. Dabei handelte es sich um absolut herrliche, moderne Beförderungsmittel, unfassbar effizient, genau wie die passende Bekleidung, die man dazu tragen durfte. Miss Judson hatte einen Anzug mit weiten Pluderhosen, sogenannte Bloomers7, an, ich leider nur einen schlichten schwarzen Hosenrock. Durch den Verkehr von Swinburne zu radeln (zumindest, was es dort an Verkehr gab), fühlte sich herrlich dringlich und wagemutig an.

      Wir sausten über die Pflasterstraßen der Stadt, hinaus aus Gravesend mit seinen neuen Ziegelhäusern und winzigen Gemüsegärtchen, vorbei am Schulhaus, das ich nie besucht hatte, über die Schienen der Pferdetram bis in die Innenstadt. Beim Fahren stellte ich mir vor, wir wären die Helden meiner Lieblingsgroschenromane, Billy Garrett, ein Junge und Detektiv, und sein »Sidekick« Franz, die im Wilden Westen Verdächtige jagten. Mir war klar, dass diese Geschichten absurd waren (Billy löste seine Fälle dank glücklicher Zufälle und Geistesblitzen, die absolut nichts mit Logik zu tun hatten), trotzdem fand ich sie mächtig inspirierend. Ein- oder zweimal hatte ich sogar Vater dabei erwischt, wie er sie las, als er sich eigentlich mit seinen Mandaten hätte beschäftigen sollen.

      Miss Judson hielt neben dem Gerichtsgebäude, einem tristen Steinbau mit hohen Fenstern, eisernen Geländern und Statuen davor. Man konnte die Räder nirgends abstellen, daher gab sie einem Mann am Kutschenstand ein Sixpencestück, damit er für uns darauf aufpasste.

      »Halten Sie das für klug?«, fragte ich, als wir die Straße überquerten. »Diese Räder kosten zwölf Guinee das Stück.«

      »Wer würde schon direkt vor dem Gericht ein Rad stehlen?«

      »Hier wimmelt es von Kriminellen«, gab ich zu bedenken.

      Auf der Herfahrt hatten wir keine Gelegenheit für eine Unterhaltung gehabt, daher bombardierte ich Miss Judson nun mit Fragen, während wir die monströse Haupttreppe hinaufhasteten. »Was meinen Sie, wie Miss Wodehouse ums Leben kam?«

      Fast schon rechnete ich damit, sie würde mir zu verstehen geben, dass uns das nichts angehe. Stattdessen lief Miss Judson etwas langsamer und drehte sich zu mir um. »Nun, sie war alt«, antwortete sie. »Denkbar, dass ihre Zeit einfach gekommen war.«

      »An irgendetwas muss sie gestorben sein«, ließ ich nicht locker. »Es gibt immer einen Grund.«

      »Hmm«, machte sie. »Nur muss es kein unnatürlicher Grund sein.«

      »Finden Sie es nicht merkwürdig, dass sie mitten in der Nacht gebadet hat?«

      »Vielleicht war ihr kalt«, schlug