Phantastica. Lewin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lewin
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783940621771
Скачать книгу
von schweren Maschinen, das Fallen des Dampfhammers, die Arbeit von vielen Klöppelmaschinen von den berufsmäßig solchen Geräuschen Ausgesetzten ebensowenig unangenehm empfunden als das Abschießen oder die Detonation krepierender Projektile von [22] Soldaten im Kriege schließlich empfunden wird. Alle Sinnesorgane können bei oft wiederholter Wirkung einer gleichen sie reizenden, erschütternden, ihre Funktion in irgendeinem Intensitätsgrade auslösenden Ursache, wie man sagt, eine Abstumpfung ihrer Empfindlichkeit erlangen und erkennen lassen.

      Die Art der wiederholt wirkenden Ursache ist in Beziehung auf das schließliche Ergebnis, nämlich die Minderung der subjektiven Wahrnehmung, im Großen und Ganzen von keinem Belang. Jede Reizqualität, deren es ja unübersehbar viele gibt – so viele, dass z. B. selbst schon in der Gruppe der Hautreizmittel, die scheinbar alle die gleiche Einwirkung auf gleicher Grundlage entfalten, ein jedes unterschiedlich von dem anderen wirkt – , vermag eine Abstumpfung der Empfindlichkeit herbeizuführen. Mechanische, thermische, luminare, chemische sind in ihrem diesbezüglichen Endergebnis gleich. Dies erkennt man als eine Wahrheit, wenn man bei dem erstmaligen Aufenthalt in einem Schiffsheizraum durch die strahlende Hitze glaubt ersticken zu müssen und ihn alsbald wieder verlässt, aber bei öfterer Wiederholung von solchen Unerträglichkeitsgefühlen sich frei fühlt. Wenn man zum erstenmal in dem Laderaum eines Akkumulatorenwerkes verweilt und die nebelartig aufstrebende Schwefelsäure Reizwirkungen auch höchsten Grades mit den entsprechenden Symptomen in den Luftwegen veranlasst, so hält man es für unmöglich, dass ein berufsmäßiger Daueraufenthalt in einem solchen Räume möglich sei – und doch arbeiten Menschen darin, ohne erkennen zu lassen, dass die Säure an der Schleimhaut ihrer Luftwege subjektiv das erzeugt, was man selbst so unangenehm und unerträglich empfunden hat.

      Was unter solchen Verhältnissen, deren sich allein auf dem Gebiete der Beschäftigung mit chemischen Stoffen Hunderte anführen ließen, als materielle Berührungswirkung auftritt, findet erfahrungsmäßig seine Analogie in der Sphäre seelischer Beeinflussungen. Auch hier stumpfen sich Empfindungen verschiedenster Art und Grades, z. B. Ekel, Furcht, Trauer, ja vielleicht sogar Liebe bei langem Bestehen ab. Psychische Eindrücke von größter Lust bis zur stärksten Unlust, von höchster Freude bis zum tiefsten Schmerz verlieren, wenn sie andauernd auf Menschen einwirken, immer mehr und mehr an Einfluss. Es tritt Gewöhnung an sie ein und der Maßstab ihrer Einwirkungen, die subjektiven Empfindungsäußerungen, mit denen jene Affekte gewöhnlich beantwortet werden, bleiben allmählich aus: „L’habitude emousse le sentiment.“9

      Wie, wodurch und in welchem Umfange aber auch immer ein Gewöhnungszustand eingetreten ist – niemals besitzt er den Charakter des Absoluten. Es ist als eine Gesetzmäßigkeit anzusprechen, dass jeder dieser Zustände aufhört der zu sein, der er ist, falls der stoffliche Einfluss, der ihn veranlasst hat, in seiner Masse mit einem Male in die Höhe gesprungen ist oder wenn eine Gefahr, an die man so gewöhnt gewesen ist, dass angesichts ihrer die abwägende Besonnenheit nicht mehr als notwendig erachtet wurde, plötzlich einen höheren Umfang oder eine schlimmere Gestalt annimmt oder wenn das gewohnheitsmäßige Abgestumpftsein gegen ein Leiden durch dessen akute Verschlimmerung die bisherigen Empfindungshemmungen beseitigt, also den Toleranzumfang verkleinert. Die gewohnheitsmäßige Toleranz besteht demnach nur für eine bestimmte letzte Summe und eine bestimmte letzte Art eines Gewöhnung erzeugenden Einflusses. So kommt es, dass eine jähe Steigerung der letzten ertragenen Dosis von Morphin oder Kokain oder Nikotin oder Koffein den Gewöhnten so zu vergiften vermag, als wenn sein Körper durch den vorgängigen langen Gebrauch derartiger Stoffe eine relative Sicherung gegen Giftwirkungen nicht erlangt hätte.

      Bis zu den einzelligen Lebewesen herab kann man den Einfluss der Gewöhnung verfolgen. Eine Süßwasser [24] amöbe stirbt, wenn man dem Wasser, in dem sie lebt, plötzlich so viel Kochsalz hinzufügt, dass es 2 Proz. enthält. Setzt man dagegen dem Süßwasser allmählich von Tag zu Tag 1/10 Proz. Kochsalz hinzu, so gelingt es, die Amöbe auf einer immer stärkeren Lösung zu züchten, so dass sie endlich auch in einer 2prozentigen Kochsalzlösung leben kann. Bringt man sie in Süßwasser zurück, so stirbt sie. Meerwasser-Amöben und Rhizopoden bleiben am Leben, wenn durch allmähliche Verdunstung das in einem offenen Gefäß stehende Meerwasser selbst einen Gehalt von 10 Proz. an Salz erreicht hat.

      Das Wachstum der Bierhefe wird schon durch 0,17 g Fluorwasserstoff im Liter aufgehoben, während die an das Mittel gewöhnte noch in einer Lösung von 1 g im Liter wächst. Der Pneumobazillus geht durch eine Sublimatlösung von 1:15000 zugrunde, wächst aber nach der Akkommodation in einer Lösung von 1:2000 Wasser.

      Die Plasmodien von Aethalium septicum können sich an Zuckerlösungen gewöhnen. Der Schimmelpilz, Aspergillus niger, gewöhnt sich an Nährböden mit steigendem Kochsalzgehalt und durch langsame Konzentrationssteigerung an 28 Proz. Natronsalpeter- oder auch an 52 Proz. Glyzerinlösung. Ein anderer Schimmelpilz, Penicillium glaucum, kann nach längerer Entwicklung auf Nickelsulfat enthaltendem Nährboden dahin gebracht werden, die zehnfache, anfangs entwicklungshemmende Menge davon zu vertragen. In ähnlicher Weise konnte dieser Pilz an Kobalt-, Cadmium-, Quecksilber- und Thalliumsalze gewöhnt werden. Schimmelpilze kann man ferner durch geeignetes Einwirkenlassen steigender Konzentrationsgrade an Äthylalkohol von 2-8 Proz. gewöhnen, ja, sogar an Amylalkohol, an Fusel. Während bei dem Schimmelpilz 0,1 Proz. davon jede Fruktifikation verhindert, kann daran gewöhntes Penicillium noch auf einem Nährboden mit 0,4 Proz. Amylalkohol fruktifizieren.

      [25] Rhizopus nigricans wächst gut in einer Morphinlösung von 0,005 Proz. Höhere Konzentrationen beeinträchtigen sein Wachstum. Indessen schon nach einer fünftägigen Vorbehandlung gedieh er am besten in einer 0,5 proz. Lösung.

      Plasmodien von Physarum gewöhnen sich an arsenige Säure, die ihnen anfänglich feindlich ist und Penicillium brevicaule sowie andere Schimmelpilze besitzen sogar die, für die gerichtliche Chemie so wertvoll gewordene Fähigkeit, sie in riechende gasige Produkte überzuführen.

      Auch höher organisierte Lebewesen weisen durch Gewöhnung Toleranz gegen Gifte der verschiedensten Art auf. So können sich Kaninchen an Jequirity (Abrin) derart gewöhnen, dass selbst die vierfache Menge eines Aufgusses davon, die sonst den Tod herbeiführt, ohne Störungen des Allgemeinbefindens vertragen wird. Selbst an Curare kann bei Hunden und Kaninchen durch allmähliche Steigerung der Dosen eine gewisse Anpassung an das Gift herbeigeführt werden. Man mussdie Menge bald erhöhen, um die nach den ersten Gaben beobachteten Vergiftungssymptome hervorzurufen. So werden Pferde, die Galeopsis tetrahit im Futter aufnahmen, anfangs dadurch stark vergiftet, gewöhnen sich aber schließlich daran.

      Ähnliche Beispiele ließen sich viele anführen, z. B. entsprechende Vorkommnisse bei Tieren, die man mit Atropin, einem der Wirkungsstoffe der Tollkirsche, behandelt hat. Mag man Hunde mit kleinen oder großen Mengen dieser Substanz längere Zeit hindurch vergiften, stets findet man nach wenigen Tagen, dass eine Reihe allgemeiner Vergiftungssymptome nicht mehr auftritt, z. B. die Hyperaesthesie der Haut, das Zittern des ganzen Körpers, die Unruhe usw. Schon nach 5-10 Atropineinspritzungen kann man sie nicht mehr von ganz normalen unvergifteten Tieren unterscheiden. Ja, selbst ein örtlich so brutal ätzender Stoff, wie Dimethylsulfat, ließ bei einigen Kaninchen, die damit in allmählich steigenden Dosen gefüttert wurden, an einem Tage bis 0,15 [26] bzw. 0,2 g ohne plötzliche Vergiftung geben, während 0,075 g andere nach 24 Stunden wohl stets töten.

      Tiere, die zum ersten Male der Einwirkung des Kohlenoxydgases ausgesetzt werden, zeigen eine stärkere Beeinflussung, z. B. in Bezug auf ihre Körperwärme, als diejenigen, die schon daran gewöhnt sind.

      In gleicher Weise findet Gewöhnung an physikalische Faktoren, z. B. an verdünnte Luft auf hohen Bergen statt. An Orten Boliviens, wie Bogota, Potosi, La Paz und anderen, die sich bis 2600-4000m erheben, findet man die körperliche Leistungsfähigkeit der Einwohner in nichts unterschiedlich von derjenigen der Bewohner des Flachlandes. Es handelt sich hierbei um Höhen, die der des Montblanc gleichkommen, wo Saussure kaum noch Kraft besaß, seine Instrumente abzulesen, während seine Führer, abgehärtete Bergbewohner, ohnmächtig wurden. Während der Nichtgewöhnte in großen Höhen anfangs eine auch bei absoluter Ruhe nachweisbare und bei Bewegung viel stärker auftretende Pulsbeschleunigung bekommt, wozu sich meistens Herzklopfen, Oppression und allgemeines Unbehagen gesellt, wird der Puls