Phantastica. Lewin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lewin
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783940621771
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zu gebrauchen, in deren oft wunderbare Wirkungseignung für das Gehirn, so ist damit zwar der wesentliche Anteil, den diese an der Entstehung auch der körperlichen Folgen hat, bezeichnet, unbeantwortet bleiben jedoch dadurch eine Reihe von schwerwiegenden Fragen, die auch sonst für das individuelle Leben des Menschen von höchster Bedeutung sind. Vor allem diejenigen, die sich auf die verschiedenartige Reaktion der Menschen unter dem Einflusse nicht nur solcher Betäubungsstoffe überhaupt, sondern auch anderer chemischer sowie andersartiger Einflüsse und auf die Möglichkeit beziehen, sie lange Zeit hindurch, scheinbar ungestraft, auch in Mengen zu vertragen, die, in kurzen Intervallen genommen, für andere körperliches Verderben zu bringen geeignet erscheinen. Schon das primitivste Wissen über sie lehrt ja, dass der größere Teil von ihnen Träger hoher Energie ist, die sich fast ausschließlich auf das Nervensystem erstreckt.

      Die Beantwortung dieser Fragen ist seit Jahrtausenden oft versucht und nie gegeben worden. Sie zwingt auf ein biologisches Gebiet hin, das zu den dunkelsten der vielen gehört, die Menschen so gern aufhellen möchten, das Gebiet der Individualität, der Persönlichkeit, der persönlichen Veranlagung, zu dem auch das der Gewöhnung gehört. Kein Problem des menschlichen reaktiven Lebens drängt sich wie dieses dem Geiste auf. Auf Schritt und Tritt sperrt es den Weg und quält den, der auch nur bis zur Schwelle der Erkenntnis seines ganzen Inhalts vordringen möchte, seelisch mehr als irgendein anderes der vielen Wissensbegehrnisse, die nur als Fragen und Fragen aus dem Chaos dunkler, undeutbarer Vorgänge, die wir Leben nennen, zum Lichte, zur Erfüllung emporstreben wollen und – doch [13] immer nur Erkenntnisprobleme bleiben werden. Man leidet hier unter der faustischen Qual des Nichterkennenkönnens und bedauert tief, was gerade in unserer Zeit sich unangenehm bemerkbar macht und schon Molière wiederholt satirisch gegeißelt hat: die Sucht, das, was man nicht wissen kann, in ein nichtssagendes griechisches oder lateinisches Fremdwort zu kleiden oder eine erklügelte Vermutung so oft zu wiederholen, bis törichte medizinische und nichtmedizinische Adepten, des eigenen Denkens unfähig, die Phrase als Wahrheit zu stempeln unternehmen. Nicht gar so selten trifft man heute noch auf Deutungen von Arznei- und Giftwirkungen, die nichts anderes als gelehrt ausschauende Umschreibungen der Wirkungen sind. Man erinnert sich dabei der burlesken Szene in Molières „Le malade imaginaire“, in der Fakultätsmediziner auftreten und in einem lateinisch-französischen Kauderwelsch den als Arzt aufzunehmenden Baccalaureus examinieren. Auf die Frage nach dem letzten Grunde der schlafmachenden Opiumwirkung:

       Demandabo causam et rationem quare

       Opium facit dormire

      antwortet der Examinand:

       Quia est in eo

       Virtus dormitiva

       Cujus est natura

       Sensus assoupire

      d.h. weil in ihm eben schlafmachende und die Sinne betäubende Eigenschaften lägen. Und der Chor der Examinatoren ruft:

       Bene, bene, bene, bene respondere

       Dignus, dignus est intrare

       In nostro docto corpore.

      [14] Gerade Pharmakologie und Toxikologie werden auf diese Weise leider oft zum Tummelplatz auch von Verteilern metaphysischer Ungereimtheiten. Diese Lehren vertragen keine Philosopheme und von solchen ist kein Aufklärungserfolg zu erwarten. Arzneimittel und Gifte wurzeln mit ihrer Energie und Energieübertragung in einer stofflichen Welt, welche Wirkungserscheinungen kommen, aber nach dem Wie? vergebens fragen lässt.

      Die in gewissen Grenzen bei Menschen zutage tretende Widerstandskraft oder Widerstandslosigkeit gegen manche mit potentieller Energie, auch von außen an sie gelangte Stoffe ist unerklärbar. Die einzige Annahme besteht, dass es eine verschiedene, das ganze körperliche Leben umfassende Energetik gibt. Diese kann man Lebenskraft nennen. Ich verstehe darunter die Summe aller chemischen, physikalischen und vom Willen beherrschten mechanischen Fähigkeiten, die reaktiv in nicht immer gleicher Form bei Individuen zur Betätigung kommen.

      Diese eingeborene, an jeden Teil des Körpers, gleichgültig ob Gehirn oder Nerven oder Muskeln, Drüsen oder Eingeweide, Knochen oder Schleimhäute – an alles, was zellhaltig und nicht zellartig zur Konstitution des Gesamtorganismus gehört – sich knüpfende Energie ist nicht jene mystische Kraft, die man als Spiritus rector, als Archaeus in früheren Jahrhunderten in der Theorie des Körperlebens eine Rolle hat spielen lassen, sondern eine im Körper von Ort zu Ort, in Art und Stärke verschiedenartige, zerstörende, aufbauende, lösende, festigende, unübersehbar kompliziert und trotz aller auch individueller Verschiedenheiten immer gesetzmäßig waltende Arbeitsordnung, von der die schließlich verwirklichte Arbeitsleistung abhängt.

      Sie äußert sich aktiv oder passiv in erhöhter oder verminderter Arbeit oder in den verschiedenen Gestaltungen des Ertragens, Nichtertragens oder Andersertragens von [15] Forderungen, die durch innerliche oder von außen kommende fremde Einflüsse reizartiger oder anderer Natur gestellt werden. Die Reaktionsformen auf solche Reize können von Mensch zu Mensch sehr weit, bis zur Unähnlichkeit auseinandergehen.

      In diese Verschiedenheiten des individuellen Gesamtlebens bzw. des Reagierens von Körperteilen auf Reaktion heischende Potenzen stofflicher oder nichtstofflicher Natur sind auch einzuschließen der Ausgleichstrieb bzw. die Ausgleichsfähigkeit für Unordnungen, die in dem körperlichen Leben durch körperfremde Einflüsse entstanden sind. Jedes Lebewesen verfügt gegenüber einem es treffenden Schaden über ein gewisses Maß abwehrender und regulatorischer Energie, deren Größe einen ebenso schwankenden Wert darstellt, wie die Energie der normalen Lebensvorgänge. Die Betätigung der Selbsthilfe sehe ich als für das Wohl des Individuums erfolgende Zweckmäßigkeitsakte und nicht als zweckfreie innere Notwendigkeiten an. Ich stimme der Auffassung bei, die Pflüger in seiner teleologischen Mechanik zum Ausdruck gebracht hat: „Die Ursache jeden Bedürfnisses eines lebendigen Wesens ist zugleich die Ursache der Befriedigung des Bedürfnisses“, wobei als Ursache des Bedürfnisses jeder veränderte Zustand der lebendigen Organismen, der im Interesse der Wohlfahrt des Individuums in einen anderen Zustand erfolgt, zu verstehen ist. Die Selbsthilfe erfolgt stets in irgendeinem Umfange, kann aber – wenn es sich z. B. um Gifte einschließlich der Krankheitsgifte handelt – aufhören, wenn deren chemisch-reaktive Kraft die vitale Energie, die Lebenskraft, am Orte der Giftwirkung oder allgemein ausschaltet. Auch die den Geweben innewohnende Reservekraft vermag nicht unter solchen Umständen einen Ausgleich eines abnormen körperlichen Vorganges herbeizuführen.

      Vielleicht wäre hier auch die geeignete Stelle auf eine Überlegung kurz hinzuweisen, die ich seit vielen Jahren zum [16] Gegenstand der Darlegung in meinen Vorlesungen gemacht habe. Man könnte nämlich daran denken, dass der Antrieb und die Verwirklichung von Ausgleichsvorgängen gegenüber gewissen körperfremden Einflüssen, die den menschlichen Organismus treffen, nach einem naturwissenschaftlichen Prinzip vor sich gehen, das unter dem Namen des Prinzips vom Widerstand gegen den Zwang oder des Prinzips vom kleinsten Zwang von d’Alembert, Gauss und später von Le Chatelier für chemische bzw. physikalische Vorgänge angegeben wurde. Es heißt: Jeder Zwang, der auf ein im Gleichgewicht befindliches System ausgeübt wird, ruft denjenigen Vorgang hervor, der den Erfolg des Zwanges zum Teil aufhebt (Widerstand der Rückwirkung gegen die Wirkung). Man kann auch sagen: Wird das Gleichgewicht in einem System durch einen äußeren Einfluss gestört, so entstehen Wirkungen, welche diesem Einflüsse entgegenarbeiten. Das Gleichgewicht wird in dem Sinne verschoben, dass der Zwang aufgebraucht wird. Systeme, die den angetanen Zwang nicht vermindern sondern vergrößern, sind nicht im stabilen sondern im labilen Gleichgewicht. Der menschliche Körper besitzt beide Arten. Die Folgerungen, die sich aus der Übertragung des genannten Prinzips auf chemisch-reaktive Vorgänge im menschlichen Körper, z. B. nach Einbringung von narkotischen Stoffen, ziehen lassen, im Einzelnen darzulegen ist hier nicht der Ort. Es mag genügen zu sagen, dass schon jetzt durch diese Betrachtungsweise die Vorstellungen über manche solcher reaktiven vitalen Erscheinungen erleichtert werden können.

      Innerhalb der beiden extremsten Möglichkeitsgrenzen der gesamten regulatorischen Kräfte des Gesamtorganismus oder