Dr. Danesch machte seine Pfeife aus, stand gelassen auf und schaute sich zufrieden das positive Ergebnis des unermüdlichen Kampfes an, den er drei Monate lang gegen Klumpen von Eiter und Blut in seiner rechten Niere geführt hatte. Der Doktor hatte ihm auf eigene Kosten Medikamente bei deutschen Pharmaunternehmen besorgt und sie ihm großherzig zur Verfügung gestellt. Er sagte freundlich: »Na, Bruder? Wie steht es mit deiner rechten Niere? Wie es aussieht, ganz gut …«
Das Gesicht des Revolutionswächters verfinsterte sich noch mehr. Seine Stirn, die Augenhöhlen sowie die Nasenspitze versanken noch tiefer im dichten Gebüsch seiner Haare und seines Bartes. Er brummte: »Meine Niere ist schon immer gesund gewesen …« und stieg lärmend hinter dem Doktor die Treppe hinauf.
Der Revolutionswächter log. Als er Dr. Danesch ins Schlafzimmer führte und ihn auf sein großes zerwühltes Doppelbett, das immer noch nach Schlaf roch, setzen ließ, fing er an, mit dem anderen Revolutionswächter zu flüstern. Dr. Danesch erzählte später seinem Freund, dass der Mann sehr stark nach Hammelinnereien und Zwiebel roch. Es schien so, als hätten sie auf dem Weg zu ihrem unheilvollen Auftrag ein Teehaus aufgesucht und ihre Bäuche mit Darm und Eingeweiden vom Hammel vollgestopft. Der Doktor wollte dem Revolutionswächter sagen, dass solch schwerverdauliches Zeug für seine kranke Niere schädlich sei, vergaß es aber. Denn seine Augen fielen plötzlich auf das dünne, rosafarbene Nachtkleid Mehris, das am Bett hing. Er stand sofort auf, machte aufgeregt das Bett zurecht und wandte sich wieder den Revolutionswächtern zu. Er begriff dann die Sinnlosigkeit seines Tuns, weil die Revolutionswächter die Nachtschränke aufgemacht hatten und mit ihren Gewehrläufen die bunten Schlüpfer, die kurzen und langen BHs und die blauen ärmellosen und langarmigen Unterkleider Mehris durchgewühlt und alles auf dem Boden ausgebreitet hatten. Verwundert fragte Dr. Danesch: »Was macht ihr denn? Was sucht ihr dort?«
Er sagte seinem Freund: »Mein Blut kochte. Diese elenden Kreaturen wühlten in der Unterwäsche Mehris, anstatt die Bücherregale zu durchsuchen.«
Ein dickleibiger Revolutionswächter, der röchelnd atmete, herrschte den Doktor an: »Was geht dich das an … Setz dich!«
Der ehemalige Kranke legte die Hand auf seinen Arm und flüsterte ihm etwas ins Ohr, dann brüllte er den Doktor an: »Wir suchen den Schmuck deiner Frau und deiner Kinder!«
Dr. Danesch schüttelte verwundert den Kopf, schlug sich auf die Oberschenkel und sagte lachend zu seinem Freund: »Stell dir das einmal vor! Was für Idioten! Sie suchten in den Schlüpfern und BHs meiner Frau nach Schmuck!«
Aber die Revolutionswächter durchsuchten nicht nur die Schränke und Kleider Mehris, sondern das ganze Zimmer. Sie berührten sehr genau alle Risse in der Wand, hängten alle Bilderrahmen ab und klopften die gesamte Wandfläche ab. Als sie ihre Hoffnung gänzlich aufgaben, stellten sie sich vor den Doktor hin und fragten: »Wo ist der Safe?«
Dr. Danesch, der an seiner leeren Pfeife kaute, stellte ihnen seinerseits die Frage: »Welcher Safe denn? Was für ein Safe?«
Der dicke Revolutionswächter trat einen Schritt näher, hielt Dr. Danesch den Lauf seines G-3-Gewehrs unter die Nase und sagte: »Spiel nicht den Dummen, du Schuft! Du weißt ganz genau welcher Safe. Sag es, sonst werde ich dich zusammenschlagen!«
Der Hadji erzählte später Mehri und Maral die Geschichte, die er von dem dicken Revolutionswächter selbst gehört hatte: »Was für ein Schwachsinn!«, sagte ich ihnen. »Ihr habt wohl auch nichts Besseres zu tun, als euch dauernd diese blöden westlichen Abenteuerfilme anzuschauen. Ein Arzt, der für das Volk – wie er es selbst glaubt – arbeitet, besitzt doch keinen Safe.«
Dr. Danesch hatte das gleiche gesagt, aber die Revolutionswächter hatten es nicht akzeptiert. Die Ausstrahlung der Akte, die sie in ihrer Einbildung von ihm angelegt hatten, war viel stärker als die unbestreitbare Wirklichkeit, die sie mit ihren eigenen Augen sahen. Der bärtige Revolutionswächter kannte jede Zeile jener noch ungeschriebenen Akte auswendig. Auf dem Weg sah er die ganze Zeit das Foto vor sich, das er vom Doktor an seinem mit Geldscheinen, Schmuck und Wertpapieren gefüllten Safe knipsen sollte. Er wollte den Zeitungsreportern, die ihn nach der Anhörung des Geständnisses umringen würden, eine heiße Schlagzeile vorschlagen: »Der Verfechter der Rechte des Volkes neben seinem aus dem Volk ausgesaugten Reichtum!« Vielleicht war dieser Untertitel etwas zu lang, aber man könnte ihn ja kürzen. Erst müsste der Safe gefunden werden … Wenn er erst den Safe gesehen hätte, würden ihm bestimmt bessere Titel einfallen. Die Wirklichkeit soll ja die wichtigste Quelle der Eingebung sein! Deshalb trat der Revolutionswächter vor und sagte: »Doktor, versuch nicht uns einzulullen! Wir sind doch keine Kinder! Es ist unmöglich, dass ein Arzt wie Sie mit diesem Pomp und dieser Pracht, dem Titel Facharzt für Nierenerkrankungen und Chirurgie aus Deutschland und einer Praxis, die ständig mit Kranken überfüllt ist, in seinem Haus nicht irgendwo so ein kleines Safechen eingebaut hat. Ich war ja selbst bei Ihnen und weiß, dass Sie, ehrlich gesagt, täglich abzüglich der Steuern mindestens zehn Riesen verdienen. Kommen Sie! Seien Sie doch ehrlich! Sagen Sie uns brav, wo Sie den Safe versteckt haben, bevor wir jeden einzelnen Ziegel dieses Hauses auseinandernehmen.«
Dr. Danesch wusste, dass der bärtige Revolutionswächter recht hatte und er trotzdem das Gegenteil beweisen musste. Denn wenn seine Lebensumstände sich auch von den nachvollziehbaren Hypothesen des Revolutionswächters nicht unterschieden, waren sie doch grundverschieden von deren logischen Folgerungen. Deshalb sprach er das stichhaltigste Argument aus, das ihm in jenem Augenblick einfiel: »Oh Gott, Herr Revolutionswächter! Auf der ganzen Erde habe ich nicht einmal ein Sparschwein, geschweige denn einen Safe.«
Der Gedanke, dass die Revolutionswächter ihm kein Wort glauben konnten, kümmerte ihn überhaupt nicht, und solange der dicke Revolutionswächter vor Wut im Gesicht nicht so rot wie gekochte rote Bete angelaufen war und ihn nicht am Hals gepackt und in Nedas Zimmer gestoßen hatte, lachte er vergnügt vor sich hin …
Dr. Danesch fand nie die Gelegenheit, seiner Frau und seinen Töchtern von dem vergeblichen und doch amüsanten Wortwechsel zu erzählen, der im Schlafzimmer zwischen ihm und den Revolutionswächtern stattgefunden hatte. Denn sofort nachdem er stolpernd in Nedas Zimmer zu Boden fiel, ereignete sich etwas Schreckliches, das ihn und die anderen Hausbewohner schaudern ließ. Der dicke Revolutionswächter, der unter der Last von Fett- und Fleischschichten bei jener zarten Frühlingsluft ununterbrochen schwitzte, war der alleinige Auslöser jenes Vorfalls. Selbst zum Schluss wusste niemand, warum das passiert war. Es waren die Abenteuerlust oder das Tolpatschige bei diesem Revolutionswächter, die aus ihm einen knabenhaften Mann gemacht hatten, der verrückt nach gefährlichen Unternehmungen, endlosen Aufholjagden und blutigen Schlägereien war. Er aber hatte eine andere Vorstellung davon, wie er seinen ersten Auftrag erledigen würde. Auf dem ganzen Weg, während er sich die letzten Anweisungen seines Kommandanten anhörte, sah er sich flink über die Mauer springen, hinter einem stämmigen Baum oder einer Steinsäule Deckung suchen. Oder er sah sich sogar ohne Deckung über den Gartenboden oder die Steinplatten robben. Er sah sich dem Ort näher kommen, wo sich die »Agenten« zusammengerottet hatten und mit einer Unmenge von Waffen, Munitionsgurten und Handgranaten auf ihn und seine Gruppe warteten. Er hatte mächtig gegen sich anzukämpfen, um der Anweisung seines Kommandanten folgend »den ersten provozierenden Schritt des Feindes abzuwarten und erst dann das Feuer zu eröffnen«. Dann könnte er auf das Ziel zurobbend, gedeckt durch das ununterbrochene Feuer seiner Gruppe, die Handgranate mit den Zähnen entsichern und in hohem Bogen über seinen Kopf auf den Feind werfen.
Danach würde die Operation komplizierter werden: im Wirrwarr nach der Detonation der Granate würde er in einem Sprung die Eingangstür des Gebäudes erreichen, dessen Lage er seit längerem von einem ihm zur Verfügung gestellten Foto kannte. In dieser Phase müsste er sich sowohl vor dem feindlichen als auch vor dem eigenen Feuerschützen. Bei einem kurzen Blick nach hinten würde er den grellen weißen Blitz eines Gewehrfeuers sehen, das den Kommandanten außer Gefecht setzte. Sein Herz drückte. Dieser Vorfall würde ihm zugleich die Gelegenheit eröffnen, durch Bewährung seines Könnens und seiner Fähigkeiten und den Erfolg bei seinem ersten Auftrag in den Rang eines Kommandanten aufzusteigen.