Vergiftete Zeit. Fahimeh Farsaie. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fahimeh Farsaie
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783943941449
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entdeckte. Der Gedanke, dass sein schwacher Verstand und sein unsicherer Geist ihn in diesem lebenswichtigen Moment verließen, in dem es um die Erhaltung oder den Verlust seines Gewissens und Anstandes ging, stürzte ihn in Verzweiflung. Es kam ihm so vor, als betrüge ihn sein Gehirn, das ihn auf beschwerlichen Unwegen bei seinen Problemen begleitet hatte. Er legte seine Hand auf die Stirn und fragte sich beharrlich: »Was soll ich tun? Was soll ich tun?« und stockte für einen Moment. Er bekam aber keine Antwort, als ob sein Hirn sich weigerte, die Frage aufzunehmen.

      Er versuchte, die Gefährlichkeit seiner Situation mit der Anomalie einer kranken Niere zu vergleichen und einen Weg zu ihrer Heilung zu finden. Vor lauter Aufregung war er völlig verwirrt. Er sah den Revolutionswächter und kaute an seinen Schnurrbartspitzen. Er versuchte, noch aussichtsloser als zuvor, sein Hirn zu betätigen. Er holte sein Taschentuch heraus und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er atmete tief auf; steckte noch ein Stück Würfelzucker in den Mund und schrie sich schließlich an: »Mensch, tu doch was! Das Leben von Dutzenden von Menschen ist in Gefahr!«

      Plötzlich fing sein Hirn zu arbeiten an. Er hörte zunächst die dumpfe Detonation von Funken und fühlte dann, wie seine Schädelhöhle von einem matten Licht erhellt wurde. Er bereitete sich darauf vor, den Befehl seines Hirns – was dieser auch besagen mochte – auszuführen. Während er sah, dass Maral blass und zitternd mit dem Teetablett auf der Hand aus der Küche ging und der Revolutionswächter sich ihm neugierig und misstrauisch zuwandte, starrte er auf die verschwommenen, unklaren Bilder der Zahlen- und Buchstabenkombinationen, die in seinem Hirn Gestalt annahmen und allmählich deutlicher wurden. Zuerst glaubte er, sich zu irren, aber als er genauer hinschaute, sah er die Wahrheit in einer verblüffenden Prägnanz und Schärfe vor sich: ein leuchtendes Schild aus Hunderten von unsichtbaren, kleinen Lämpchen blinkte in seinen Gedanken. Auf dem Schild standen strahlend und hell die Formeln von zwei Alkohol-Verbindungen, die das chemische Gefüge des Wachses bildeten. Das Schild leuchtete für einige Sekunden in einem wellenartigen Licht auf, verschwand dann in der Dunkelheit, um Augenblicke später wieder zu erstrahlen.

      Als Dr. Danesch später seinem Zellengenossen von der Aufregung erzählte, die ihn in jenem Moment so gelähmt hatte, dass er sich schon ins Vorfeld eines kaum begonnenen Kampfes als Verlierer sah, lachte er schallend und sagte: »Stell dir mal vor! Bei Chemie-Prüfungen quälte ich mich, um die verhexten Formeln dieser verdammten Alkoholverbindungen auswendig zu lernen, und ich vergaß sie im entscheidenden Moment immer wieder. Ich habe sie mir sogar ein paarmal auf der Handfläche notiert. Es nutzte aber alles nichts, denn vor lauter Aufregung schwitzte ich bei der Prüfung und trocknete so oft die Hand an der Hose, dass von den Formeln nichts übrigblieb. Und dann ausgerechnet an diesem Tag, nach dreißig Jahren, zu einer Zeit, als ich weder das Wachs noch jene verflixten Alkohole, sondern etwas viel Wichtigeres und Existentielleres brauchte, spielte mir mein Hirn diesen Streich. Ich flehte es an, mir einen Ausweg aus jenem Dilemma zu zeigen, und es demonstrierte mir sein sinnloses Erinnerungsvermögen: beide Alkohol-Formeln, immer wieder … Vor Wut wäre ich beinahe erstickt!«

      Der Revolutionswächter betrachtete nach wie vor den goldenen Schlüsselanhänger. Er versuchte, seine Dummheit hinter einem Schleier aus Neugier und Misstrauen zu verstecken. Abgesehen von einem geschickt eingravierten Versteck in seiner Mitte wies der Schlüsselanhänger aus 18-Karat-Gold keine andere Besonderheit auf: ein Verschlussring, der durch eine kurze Kette mit einem Glasherz verbunden war. Die Bilder von Maral und Neda, verkleinert und farbig, lächelten warm und herzlich von beiden Seiten des Herzens und bewahrten jenes zwiebelschalenähnliche Papier friedlich in ihrer Mitte. Als der Revolutionswächter den Schlüsselbund und die Kette genau untersucht hatte, nahm er jenes runde, bebilderte Herz in seine kurzen, fleischigen Finger und starrte konzentriert darauf. Sein Blick war so scharf und durchdringend, dass der Doktor glaubte, er könnte im selben Augenblick die nach außen gewölbte Oberfläche des Herzens an der Stelle, wo die Augen Marals und Nedas abgebildet waren, durchbohren und die dünne Fläche der chiffrierten Namen und Telefonnummern erreichen. Diese bittere, verwirrende Vorstellung war für ihn so greifbar, dass er ein starkes Stechen in seinem Herzen und ein Brennen in seinen Augen fühlte. Er sah nun ein, dass sein Gehirn nichts zustande bringen konnte. Deshalb warf er aus Gewohnheit und ohne innere Überzeugung einen Blick zum Himmel und flehte: »Oh Gott, rette uns!« In seinen Gedanken blinkten noch die Lämpchen der Alkoholformeln.

      Maral stellte das Teetablett auf den Tisch, schaute auf die bebenden Nasenflügel ihres Vaters und sagte zu dem Revolutionswächter: »Bitte schön, trinken Sie bitte, solange er noch heiß ist!«

      Der Revolutionswächter antwortete nicht. Er sah aber den Doktor, der gierig noch einige Würfelzucker in den Mund nahm und den heißen Tee schlürfte. Er wandte sich um und starrte mit vor Erstaunen offenen Lippen wieder auf jenes konvexe Glasherz, als hätte er gerade das wichtigste Geheimnis des Seins entdeckt. Er spielte an dem Herz herum, wiegte es in seiner Hand, nahm es zwischen Daumen und Zeigefinger und beobachtete es verwundert. Das einzige, was ihn quälte, waren die lachenden Augen Marals und Nedas, die ihn unverwandt anschauten. Sie verhinderten, dass der Revolutionswächter gelassen und konzentriert das Geheimnis jenes Herzens herausfand. Sobald sein Blick die gläserne Oberfläche durchdrang und die Papieroberfläche erreichte, stoppten ihn ihre weißen Zähne, ihre marmorglatten Halspartien, ihr geschmeidiger, rosafarbener Teint und ihre durchdringenden Augen und führten ihn in eine übernatürliche Welt, vor der er sich sehr fürchtete. Eine Welt voller Liebe, Leidenschaft und Begierde, von deren grenzenlosem Himmel ununterbrochen der Regen der Sünde herunterströmte, der ihn bis auf das Knochenmark überschüttete. Die Tropfen dieses Regens schienen ihm gefährlicher als Pesterreger. Sie stürzten die menschliche Seele in Fieberwahn, Schüttelfrost und heftige, unerträgliche Kopfschmerzen. Am schlimmsten wäre dann die Einsamkeit, zu der man verdammt würde. Alle würden einen meiden, selbst die Muttermilch würde einem vergällt. Und in der anderen Welt würde man wie eine trockene Baumrinde dem glühenden Feuer der Scheiterhaufen der Hölle überlassen …

      Der Revolutionswächter biss in seine fleischigen, geschwollenen Lippen.

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