»Ja, die kennen wir«, antwortete Anna.
»Und ist es nicht komisch, dass es danach kaum noch Bilder von ihr gibt? Und kein einziges, auf dem man ihre Schwangerschaft sieht?«
»Das kann viele Gründe haben, die wir nicht kennen«, warf Anna ein.
Emilia ließ sich nicht entmutigen. »Oder sie hat sie alle gelöscht, weil sie nicht zu ihrem Plan passen.« Sie zog ihren Laptop aus dem Schulrucksack und zeigte der Hebamme, was sie nach langer Suche gefunden hatte: Fotos von Fiona und einem anderen Mann namens Oliver Kant bei einer Party. Die beiden lachten, tanzten, knutschten miteinander. »Und jetzt guck dir das Datum an. Diese Party, auf der Fiona offensichtlich einen anderen Mann kennengelernt hat, war am sechsten Januar, genau eine Woche nach Silvester. Könnte es nicht sein, dass der andere Mann, dieser Oliver Kant, der Vater des Babys ist?«
»Möglich wäre es schon«, räumte Anna unbehaglich ein. »Aber wie will man das wissen? Dafür reichen diese paar Schmusebilder nicht aus.«
»Natürlich nicht, aber könnte man ihn nicht anrufen und nach seiner Beziehung zu Fiona fragen?«
»Emilia! Wie stellst du dir das denn vor! Ich bin Fionas betreuende Hebamme. Wenn ich mir so etwas erlaube, könnte es mich meinen Job kosten!«
»Du kannst das natürlich nicht tun, aber was ist mit Caro? Es sind schließlich ihr Leben und ihre Beziehung zu Felix, die sich durch Fiona so verändert haben. Vielleicht hilft es ihr, wenn sie mal mit diesem Oliver Kant redet?«
»Emilia, das wird nicht so einfach sein«, dämpfte Anna den Schwung des jungen Mädchens. »Aber ich muss zugeben, es ist vielleicht eine Spur in Fionas altes Leben, vom dem sie wirklich bemerkenswert wenig erzählt. Ich werde mit Caro über deine Entdeckung reden. Sie entscheidet dann, ob sie Kontakt zu ihm aufnehmen will oder nicht.«
Emilia atmete auf. »Wenigstens etwas, was ich tun konnte! Caro tut mir echt leid und Felix irgendwie auch. Ich finde es voll in Ordnung, dass er sich um sein Kind kümmern will, aber muss Fiona sich deshalb gleich wie eine Königin aufführen?«
»Wie eine sehr liebe und sanfte Königin, die immer alles bekommt, was sie will …«, antwortete Anna nachdenklich. Ihr Blick fiel auf Emilia, die zufrieden ihr Eis löffelte, und sie musste schmunzeln. »Dein Vater meinte zu dir, dass du zu viele Krimis liest? Recht hat er!«
»Die mit den Verschwörungstheorien mag ich am liebsten«, grinste Emilia und schleckte ganz unschuldig ihren Löffel ab.
*
Wie sich dann bei Caros Anruf herausstellte, war Oliver Kant, ein Bankberater aus München, ein freundlicher, ruhiger Mann, der zu einem Gespräch bereit war. Caro erzählte von Fionas plötzlichem Auftauchen in Bergmoosbach und ihrer Art, mit der sie sich Zutritt zum Kapitänshaus und zu Felix’ Leben verschafft hatte.
»Ja, das passt zu Fiona«, bestätigte Oliver mit einer gewissen Härte in der Stimme. »Sie streut einem mit ihrer Sanftheit Sand in die Augen. Zu spät erst bemerkt man, wie knallhart sie ihre Ziele verfolgt hat, das ist alles wunderbar in Süße und scheinbare Hilflosigkeit verpackt.«
»Du hast sie sehr gut beschrieben«, antwortete Caro bitter. »Genauso hat sie Felix an seine Verantwortung gegenüber dem Kind erinnert.«
Oliver schnappte hörbar nach Luft. »Moment! Was war das eben mit einem Kind?«
»Fiona ist schwanger und sie sagt, das Baby ist von Felix.«
»Aber sie kann nicht schwanger sein, sie hat doch abgetrieben!«, rief Oliver völlig verwirrt.
»Wie bitte? Nein, Fiona ist im achten Monat schwanger.«
»Das ist unmöglich!« Olivers Stimme überschlug sich fast vor Aufregung. Die ganze Geschichte sprudelte aus ihm heraus: dass Fiona schwanger von ihm gewesen war, das Kind nicht haben wollte, dass sie sehr deswegen gestritten hatten, dass sie dennoch eine Abtreibung vornehmen ließ und dass sie sich deswegen getrennt hatten. »Und wie es scheint, hat sie gelogen! Sie hat das Kind nicht abgetrieben. Es wird bald auf die Welt kommen, und sie will es dem vermögenden Felix unterschieben.«
»Stopp! Über Felix’ Finanzen habe ich nichts gesagt, woher weißt du denn davon?«
»Die skurrile Geschichte von der großen Erbschaft, die ein Papagei gemacht hat, war eine kleine Zeitungsnotiz wert, und bald stand es auch mit Felix’ Namen im Internet. So wird auch Fiona davon erfahren und ihre Pläne gemacht haben.«
»Was für eine Gemeinheit!«, ächzte Caro.
»In der ganzen Angelegenheit ist das letzte Wort noch nicht gesprochen!« Oliver klang ernst und sehr entschieden. »Am Wochenende bin ich bei euch in Bergmoosbach, und dann stellen wir Fiona zur Rede!«
Caro schüttelte ungläubig den Kopf, nachdem sie das Telefonat beendet hatte.
»Das ist unglaublich! Wie kann Fiona nur so durchtrieben und hinterhältig sein!«
»Und dabei wirkt sie so nett und lieb, niemand hätte ihr doch etwas so Niederträchtiges zugetraut«, stimmte Anna ihrer Freundin zu.
»So kann man sich von Sanftmut täuschen lassen!«, antwortete Caro bitter. Dann verstummte sie, und plötzlich wurden ihre Augen rund und riesengroß vor Erstaunen. »Magdalena!«, flüsterte sie. »Magdalena hat es mir gesagt, ganz kurz vor ihrem Tod! Sie hat gesagt, dass die falsche Unschuld kommt, und dass ich mich vor der Macht der Sanften hüten soll! Es war gar kein Zeichen von Demenz, es war eine Warnung!«
»Wer weiß, was sie damals gesehen hat?«, sagte Anna ernst. »Man hat immer von Magdalena Albers behauptet, sie habe das Zweite Gesicht.«
Caro blieb lange Zeit in Gedanken versunken, dann sagte sie leise: »Weißt du, was? Ich finde das nicht unheimlich. Ich fühle mich eher so, als ob sie mich beschützt. Und ich brauche jetzt allen Beistand, der möglich ist.«
»Den hast du!«, versprach Anna von Herzen. »Deine Freunde stehen zu dir, und wer weiß? Vielleicht auch Magdalena Albers, wo immer sie jetzt auch sein mag.«
In Caros Augen kehrte etwas von ihrer früheren Lebensfreude und ihrem Kampfgeist zurück. »Zum ersten Mal seit langem habe ich wieder das Gefühl, es kann doch noch alles gut werden.«
*
Oliver Kant war ein gut aussehender Mann mit dunklen Haaren und braunen Augen. Er hatte im Hotel ein Zimmer genommen und traf sich mit Caro und Anna im Biergarten, um weitere Einzelheiten zu erzählen. Der Mann wirkte betroffen, aber ruhig. Seine sympathische Ausstrahlung machte es für Caro leichter, mit diesem Fremden über sehr Persönliches zu reden, und umgekehrt schien es ihm ebenso zu gehen. Caro hatte sich mit Felix verabredet und auch gesagt, dass sie Besuch mitbringen würde, ohne aber dessen Namen zu nennen. Fiona sollte auf keinen Fall vorgewarnt sein!
Die Begrüßung zwischen Felix und Caro war eine Mischung aus erwartungsvoller Freude, Traurigkeit und Unsicherheit. Es war so schmerzhaft vertraut, die Umarmung des anderen zu spüren, und gleichzeitig fühlte es sich seltsam an. Oliver stellte sich Felix vor, und dann gingen die drei hinaus in den Garten.
Fiona saß im Schatten eines Nussbaumes und blätterte in einer Zeitschrift, als sie die Schritte auf dem Kiesweg hörte. Sie schaute auf, und das Magazin glitt aus ihren Händen. »Oliver! Was tust du denn hier?«, fragte sie völlig überrascht.
»Dich besuchen, Fiona. Wie es aussieht, haben wir eine Menge zu besprechen!« Er wies auf ihren runden Bauch.
»Was? Wieso? Was hast du denn mit meinem Baby zu tun?«, fragte sie nervös. Ihr Blick huschte zwischen den beiden Männern hin und her, und sie streckte hilfesuchend ihre Hand aus. »Felix, setzt dich doch bitte zu mir, ich brauche dich. Oliver klingt so geheimnisvoll, er macht mir Angst!«
Felix legte demonstrativ seinen Arm um Caros Schultern. Er spürte die Spannung, die in der Luft lag. »Willst du mir nicht erzählen, wer Oliver ist? Du scheinst ihn ja gut zu kennen«, sagte er kühl, ohne einen Schritt von Caros Seite zu weichen.