Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman. Tessa Hofreiter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tessa Hofreiter
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Landdoktor
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740980672
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es ist wunderschön hier!«, sagte Sophia. Ihre leichte Unsicherheit verflog angesichts der natürlichen Herzlichkeit, mit der sie im Doktorhaus aufgenommen wurde. Zunächst hatte sie sich unsicher gefühlt, weil sie inmitten dieser ihr fremden Familie wohnen würde. Sie war ein Mensch, der einen gewissen Abstand zu anderen brauchte. Die unkomplizierte Fröhlichkeit, die innerhalb dieser Familie herrschte, war ihr im Laufe ihres Lebens verloren gegangen. Von unten drangen das Bellen des Hundes, Emilias helle Stimme, die tiefe ihres Großvaters und Klaviermusik zu ihr herauf. Plötzlich fühlte sie sich in ihre Kindheit versetzt, in das toskanische Dorf, in dem sie aufgewachsen war, und unwillkürlich musste sie lächeln. Was war das für ein Zauber, der über diesem Haus und seinen Bewohnern lag? Anstatt sich von dem Leben, das hier pulsierte, angestrengt und überreizt zu fühlen, war sie voller Vorfreude auf den Abend. Beschwingt lief Sophia die Treppe des ehemaligen Bauernhauses hinab und betrat das gemütliche Wohnzimmer, an das ein wunderschöner Wintergarten angebaut worden war.

      »Da habe ich gerade noch rechtzeitig den Heimweg geschafft!«, stellte Emilia fest, griff nach einem Apfel und ließ sich mit einem hörbaren Plumps in das Korbsofa mit den hellen Leinenkissen fallen. »Jetzt gießt es wie aus Eimern.«

      Ein kurzes, aber heftiges Gewitter hatte sich entladen und war in einen starken, gleichmäßig strömenden Regen übergegangen. Das Wasser lief über das Glasdach des Wintergartens und rann an seinen Seiten herab, was die Gemütlichkeit in seinem Inneren nur noch unterstrich.

      »Sie wohnen sehr schön hier«, sagte Sophia über die Kerzenflammen hinweg zu ihren Gastgebern. »Alt und Modern harmonisch kombiniert, damit haben Sie eine wundervolle Atmosphäre geschaffen. Und auch die Gemälde, die im Haus hängen, sind etwas ganz Besonderes.«

      »Ja«, lächelte Sebastian, »das sind sie.«

      Die italienische Künstlerin stand auf und schlenderte zu einem Landschaftsbild hinüber, das im Eingangsbereich der Wohnstube hing. Es war großformatig und in sanft leuchtenden Farben gemalt, eine grüne Landschaft mit See und nebelhaft verschwommenen Bergen im Hintergrund. Auf den ersten Blick hätte man es für die Umgebung hier halten können, aber beim genauen Hinschauen erkannte man eine größere, rauere Landschaft, die eine andere Klarheit und Kälte in sich barg als das Allgäu. Konzentriert begutachtete Sophia das Bild. »Man könnte meinen, es wäre ein Grayson«, murmelte sie halb zu sich selbst.

      »Es ist ein Grayson!«, bestätigte Sebastian.

      Überrascht schaute Sophia ihn an, dann leuchtete ihr Gesicht auf. ­»Natürlich!«, rief sie freudig. »Der Stil ist unverkennbar. Und wie ich vorhin gesehen habe, hängen noch mehr Bilder dieser Künstlerin in Ihrem Haus?«

      Sebastian nickte und wechselte einen kurzen Blick mit seiner Tochter, dem Sophia aber keine Beachtung schenkte. »Ja, wir lieben Helens Bilder«, sagte er sanft und fügte erklärend hinzu, »Helen Grayson-Seefeld … ist meine Frau.«

      Auch dieses winzige Zögern in Sebastians Worten entging der jungen Frau. »Helen Grayson ist Ihre Frau?«, wiederholte sie begeistert. »Das ist fantastisch! Ich freue mich darauf, sie kennenzulernen. Wo ist sie, ist sie im Moment verreist?«

      Erst jetzt wurde sie sich des betretenen Schweigens im Raum bewusst.

      Sebastian räusperte sich. »Meine Frau ist gestorben«, sagte er leise.

      »Nein!« Entsetzt schlug Sophia die Hand vor den Mund. »Ich …, es tut mir so leid! Bitte entschuldigen Sie meine Taktlosigkeit, das ist …, ich weiß nicht, wie ich das wiedergutmachen kann!«

      »Sie sind nicht taktlos«, antwortete Emilia und blinzelte ihre Tränen weg. Ihr gelang ein kleines, ehrliches Lächeln. »Sie haben nicht gewusst, dass Mama tot ist?«

      Sophia schüttelte sprachlos den Kopf. Ihr immer noch entsetzter Blick wanderte von einem Gesicht zum anderen, aber sie sah keine schockierte Ablehnung, sondern Ernst und Freundlichkeit.

      »Helen hätte sich gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen«, sagte Sebastian.

      »Ja, und sie hätte Sie bestimmt stundenlang mit in ihr Atelier genommen, und sie beide hätten geklönt und gefachsimpelt«, fügte Emilia hinzu. Ihre grauen Augen glänzten. »Es ist toll, dass jetzt wieder eine Malerin im Haus ist.«

      Sophia schluckte. »Jetzt ist mir auch klar, wieso du dich für Kunst interessierst und so viel Verständnis für das alte Wandgemälde hast.« Sie suchte Sebastians Blick, der freundlich auf ihrem Gesicht ruhte. Alles ist gut!, sagte dieser Blick. »Malst und zeichnest du auch gern?«, wagte sie sich behutsam weiter vor. Wenn ihr nur nicht wieder so ein entsetzliches Fehler passierte!

      Emilia kicherte unbeschwert. »Ja, das tue ich, aber von Mamas Talent habe ich leider so gar nichts geerbt.«

      »Jetzt untertreibst du aber, Emilia!«, sagte Traudel prompt. Emilia war ihr Herzenskind, ihr Augenstern, und sie konnte sehr gut malen! »Jedes deiner Bilder ist schön!«

      »Traudel, du bist süß!«, rief Emilia und warf ihrer Ersatzmutter und –großmutter die Arme um den Hals. »Das sagst du immer.«

      »Weil’s die Wahrheit ist!«, antwortete die ältere Frau entschieden, und die leise Melancholie, die noch im Raum schwebte, löste sich in freundlichem Gelächter und liebevoller Neckerei wegen Traudels kritikloser Bewunderung auf.

      Es wurde kein langer Abend, den die Familie gemeinsam mit ihrem Gast verbrachte, denn morgen wartete auf alle ein neuer Arbeitstag. Als Sophia in ihrem Zimmer ihre Sachen zusammensuchte, fühlte sie sich wie vorhin seltsam geborgen durch die leisen Stimmen und Schritte, die gedämpft durch die alten Holzdecken klangen. Ihr Gästezimmer lag an einer Abzweigung des Flurs, und auf dem Weg in das dazugehörige Bad blieb sie vor einer großen, schön gerahmten Fotografie stehen. Es war ein Hochzeitsbild von Helen und Sebastian, eine Momentaufnahme während des Tanzes. Sophia sah die Liebe und tiefe Verbundenheit des Paares, und wieder überrollte sie eine Welle heißer Scham wegen ihrer Taktlosigkeit vorhin. Sie wusste nichts von Helen Graysons Ehe und Tod, und obwohl Sebastian freundlich reagiert hatte, hallte ihre grausame Bemerkung immer noch in ihr nach. ›Ist sie verreist?‹ Wie hatte sie das nur fragen können!

      Ein leises Geräusch in ihrem Rücken, wie das Öffnen und Schließen einer Schublade, ließ sie sich umdrehen. Sophia stand vor einer halb geöffneten Tür, durch die Licht in den Flur fiel. Sie sah Sebastian Seefeld an einem Schreibtisch sitzen, vor sich ein aufgeschlagenes Buch, zu dem er sich handschriftliche Notizen machte. Sophia sah, dass er zum Lesen eine Brille trug, ein Modell mit modernem, dunklem Rahmen, das sehr gut zu seinen markanten Gesichtszügen passte. Einem ersten Impuls folgend, wollte sie anklopfen und sich noch einmal für ihre unbedachte Bemerkung entschuldigen. Sie musterte seinen konzentrierten Gesichtsausdruck, die Andeutung einer steilen Falte zwischen den Augenbrauen, die fließenden Bewegungen, mit denen er schrieb. Unsicher fragte sich die junge Frau, ob sie wirklich in diesen Raum, der offensichtlich sein eigenes Wohn- und Schlafzimmer war, eintreten sollte. Würde sie ihn stören? Vielleicht machte sie mit einer weiteren Entschuldigung nur alles noch schlimmer? Wahrscheinlich wäre es doch das Beste, sie ließe es auf sich beruhen. Sehr leise zog Sophia sich zurück und verschwand in dem kleinen Badezimmer, das für die Gäste eingerichtet worden war.

      Kurze Zeit später klappte Doktor Seefeld sein Buch zu, nahm die Brille ab und rieb über seine müden Augen. In Gedanken ging er den morgigen Tag durch, der für ihn mit mehreren Nachsorgeterminen bei operierten Patienten begann. Grimmig schüttelte er den Kopf. Er wusste, dass die Krankenhäuser aus Kostengründen die Menschen immer früher entließen, und das machte ihn wütend. Ändern konnte er daran nichts. Mit einem Seufzer schob er den medizinischen Wälzer zur Seite und legte einen englischen Krimi auf sein Bett. Dann lief er noch rasch nach unten, um sich eine Flasche Mineralwasser zu holen.

      In dem Raum, in dem sie vorhin gesessen hatten, schwebte noch ein Hauch von Sophias Parfum in der Luft. Bergamotte und Lavendel, sommerwarme Zypressen und Kreidefarben. Fruchtig und herb zugleich. Er musste an das denken, was Emilia über das Parfum der italienischen Malerin gesagt hatte. Es stimmte nicht, es war nicht der gleiche Duft, den Helen getragen hatte. Dieser war ein wenig dunkler, auf eine andere Art weiblich und sehr angenehm.

      *

      Morgensonne