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»Jetzt, da wir unter uns sind, erzähle doch mal, was wirklich vorgestern Nacht passiert ist«, forderte Miriam Sabine eindringlich auf.
»Was genau meinst du damit?«, fragte Sabine verunsichert.
»Irgendetwas ist doch schiefgelaufen. Du hättest Sebastian doch nicht gebraucht, wenn Anna die Situation im Griff gehabt hätte.«
»Anna hat nichts falsch gemacht«, wies Sabine Miriams Unterstellung entschieden zurück.
»So mag sich das für dich darstellen, aber denke noch einmal genau nach. Warum wurde aus einer einfachen Geburt ein Notfall?«
»Was soll diese Fragerei?«
»Wenn dich jemand falsch behandelt und du einen Schaden davonträgst, dann könntest du denjenigen auf Schadensersatz verklagen.« Eine kleine Geldspritze würde Sabine sicher nicht ausschlagen, nach dem, was sie beim Betreten ihres Zimmers zufällig mitbekommen hatte.
»Ich werde Anna nicht verklagen.«
»Seefeld könnte auch einen Fehler gemacht haben«, mischte sich Harald, der am Fußende des Bettes stand, in die Unterhaltung der beiden ein.
»Was erlaubst du dir? Doktor Seefelds Handeln steht außerhalb jeder Kritik. Nur durch sein Eingreifen geht es Mutter und Kind gut«, fuhr Miriam ihn zornig an.
»Sorry«, murmelte Harald und schaute zu Boden.
»Was ist hier los?«, fragte Anton, der das Zimmer betrat und sofort erkannte, dass Sabine in ein unangenehmes Gespräch verwickelt war.
»Miriam will mir einreden, dass Anna vorgestern einen Fehler gemacht hat und dass ich sie verklagen soll«, machte Sabine sich Luft.
»Miriam, die Besuchszeit ist für dich und deinen Begleiter zu Ende.« Anton, der in seinem Sonntagsanzug, einer hellen Hose und einer dunklen Trachtenjacke ganz verändert aussah, hielt die Tür auf und schwang seinen rechten Arm in Miriams Richtung und wieder zurück, so als wollte er sie hinausfegen.
»Es sieht so aus, als wüsstet ihr nicht, wer eure wahren Freunde sind«, stellte Miriam beleidigt fest.
»Glaube mir, dass wissen wir genau«, sagte Anton.
»Komm, wir sind hier unerwünscht.« Harald schien aus seiner Unterwürfigkeit erwacht und packte Miriam am Arm.
»Nicht so grob«, schimpfte sie, folgte ihm aber trotzdem.
»So, die wären wir los«, sagte Anton, und nachdem er seinen jüngsten Sohn liebevoll begrüßt hatte, setzte er sich zu Sabine ans Bett. »Wir kommen aus dieser Misere schon wieder heraus, mein Schatz«, versicherte er ihr, strich ihr das Haar aus der Stirn und küsste sie zärtlich.
»Auf Anna und Sebastian werde ich niemals etwas kommen lassen. Miriam will Anna doch nur etwas anhängen, um sie loszuwerden.«
»Warum loswerden?«, fragte Anton erstaunt.
»Du meine Güte, so blind kann aber auch nur ein Mann sein. Miriam hat diese gewissen Schwingungen zwischen Anna und Sebastian bemerkt, so wie sie jede Frau bemerkt, mein Schatz.«
»Du meinst, da ist etwas zwischen den beiden?«
»Das habe ich nicht gesagt, aber sie fühlen sich mit Sicherheit zueinander hingezogen, und das bedeutet für Miriam Alarmstufe Rot, weil sie doch plant, Sebastian für sich zu gewinnen.«
»Was du so alles weißt«, entgegnete Anton lächelnd und küsste Sabine zärtlich auf den Mund.
»Ja, ich weiß einiges, auch dass du dich dringend von Sebastian untersuchen lassen solltest. Ich habe ihm und Anna erzählt, wie es um uns steht.«
»Du hast es ihnen gesagt?« Anton wich von ihr zurück und sah sie vorwurfsvoll an. »Wir wollten es doch für uns behalten. Wie stehe ich denn jetzt da?«
»Wie ein Mann, der alles für seine Familie tut, aber zu stur ist, Hilfe anzunehmen. In dieser Hinsicht denkst du einfach zu viel nach. Hier, lies das.« Sabine gab ihm die Glückwunschkarte, die sie von Anna und Sebastian bekommen hatte.
»Die Indianer sagen: Urteile nicht darüber, ob etwas gut oder schlecht ist, ohne dein Herz befragt zu haben«, las Anton laut vor.
»Was sagt dir dein Herz, Anton? Kannst du Sebastian vertrauen?«
»Ich werde mit ihm reden«, versprach er und zauberte ein glückliches Lächeln auf das Gesicht seiner Sabine.
*
»Über diesen Besuch freue ich mich«, sagte Traudel und stupste Benedikt in die Seite.
Die beiden saßen auf der Terrasse und spielten Schafkopf, so wie sie es oft am Sonntagnachmittag taten. Traudel hatte die junge Frau gleich erkannt, die neben Sebastian im Auto saß, als er aus dem Krankenhaus zurückkam.
»Ich würde es sehr begrüßen, wenn die beiden die Zusammenarbeit, die Anna und ich bisher praktiziert haben, fortsetzen«, antwortete Benedikt.
»Dass sie es können, haben sie auf dem Mittnerhof bewiesen.«
»Anna ist eine bildhübsche junge Frau, nicht wahr?«
»Ja, Benedikt, das ist sie.«
»Ob der Junge es bemerkt?«
»Ich hoffe es, wir wollen uns doch nicht wünschen, dass er auf Dauer allein bleibt«, antwortete Traudel, während sie Benedikt von der Seite betrachtete.
Die Lachfältchen um seine Augen, das kräftige Kinn, die hellen freundlichen Augen, das silbergraue Haar, seine sportliche Erscheinung, die seine Kleidung, das elegante helle Polohemd und die dunkle Jeans noch unterstrich.
Traudel hätte ihn immerzu ansehen können, aber das schickte sich nicht. Sie waren nur gute Freunde, und das, wovon sie manchmal träumte, würde nie wahr werden. Keine Frau in Benedikts Leben hatte bisher den Vergleich mit Sebastians Mutter bestanden und keine hatte jemals wieder sein Herz erobern können.
»Wer ist das?!«, rief Emilia, die mit Nolan über die Wiese tobte.
»Das ist Anna«, antwortete Traudel, die aus ihren Gedanken aufschreckte.
»Die Hebamme?«
»Ja, Liebes.«
»Wird das jetzt zur Gewohnheit, dass er sie mitbringt?«
»Lerne sie doch erst einmal kennen.«
»Papa ist noch nicht so weit, um sich auf eine andere Frau einzulassen«, entgegnete Emilia trotzig.
»Muss er deshalb in Zukunft jeder Frau aus dem Weg gehen?«, fragte Traudel mit einem liebevollen Lächeln.
»Keine Ahnung«, murmelte Emilia und zuckte die Achseln.
Als Sebastian gleich darauf aus dem Auto stieg und ihr winkte, tat sie so, als habe sie es nicht bemerkt. »Komm, Nolan!«, rief sie und stob über die Wiese.
Der Welpe bellte kurz, und dann sauste er auf seinen kleinen Beinchen hinter Emilia her, dabei stolperte er ein paar Mal, was vielleicht an seinem leichten Hinken lag. Er kugelte ein Stück über den Rasen, sprang wieder auf und hechelte mit wehenden Ohren Emilia nach.
»Hallo, Doktor Seefeld, hallo, Traudel«, begrüßte Anna die beiden, als sie und Sebastian zu ihnen auf die Terrasse kamen.
»Schön, dich zu sehen, Anna«, sagte Traudel.
»Ich freue mich auch, Frau Bergmann. Wie geht es Sabine und dem Kind?«, erkundigte sich Benedikt und reichte Anna die Hand.
»Sie können in zwei Tagen nach Hause.«
»Wunderbar, dann geht es den beiden offensichtlich gut.«
»Körperlich schon«, sagte Sebastian.
»Das