»Sie haben sich nie etwas anmerken lassen«, stellte Traudel erschüttert fest, nachdem sie alles gehört hatte.
»Zuerst müssen wir einen Weg finden, dass die Krankenkasse sie wieder aufnimmt. Das bedeutet, sie müssen die Beiträge, die sie versäumt haben, nachzahlen, und die aktuellen Kosten werden sie trotzdem privat tragen müssen«, sagte Sebastian.
»Hör zu, ich habe lange genug mit den Krankenkassen der Gegend zusammengearbeitet, und ich kenne auch einige Leute in der Geschäftsleitung der Klinik und der Rettungsleitstelle. Ich werde gleich morgen ein paar Anrufe machen«, versprach Benedikt seinem Sohn.
»Anton braucht doch Baumaterial für die anstehenden Reparaturen auf dem Hof. Wir könnten die örtlichen Handwerker fragen, ob sie etwas übrig haben«, schlug Anna vor.
»Papa hat einen guten Draht zum Sägewerk, er könnte da sicher einiges organisieren.« Emilia war unbemerkt von den anderen näher gekommen und hatte den letzten Teil der Unterhaltung gehört.
»Was soll das, Emilia?« Sebastian schaute seine Tochter an, die Anna unverblümt musterte.
»Wir könnten deinem Vater diesen Weg abnehmen. Was hältst du davon, wenn wir beide morgen im Sägewerk nachfragen? Ich bin Anna, ich freue mich, dich kennen zu lernen, Emilia«, sagte Anna und reichte dem Mädchen die Hand.
»Ich denke nicht, dass es Anton recht wäre, wenn ausgerechnet Miriam von seiner Misere erfährt«, gab Sebastian zu bedenken.
»Ich befürchte, sie weiß es bereits.« Anna hatte Miriams Blick bemerkt, als sie Sabines Krankenzimmer betreten hatte. Sie war sicher, dass sie gehört hatte, welche Sorgen die Mittners plagten.
»Die Holzers sind aber nicht gerade dafür bekannt, etwas zu verschenken«, sagte Traudel.
»Uns fällt da doch etwas ein, meinst du nicht, Emilia?«, wandte sich Anna wieder an das Mädchen.
»Ich könnte darüber nachdenken.«
»Wenn du morgen so gegen zwei Uhr Zeit hast, dann könntest du mich besuchen, und wir besprechen unser Vorgehen«, schlug Anna vor.
»Ich komme aber nicht ohne ihn.« Emilia schaute auf den kleinen Hund, der neben ihr im Gras hockte und Anna anstarrte.
»Du kannst Nolan gern mitbringen.«
Als der Welpe seinen Namen hörte, schoss er unter dem Tisch hindurch auf Anna zu und sprang fröhlich bellend um sie herum, bis sie sich zu ihm hinunterbeugte und ihn streichelte.
»Gut, ich werde da sein«, erklärte sich Emilia einverstanden.
»Du weißt, dass alles, was du hier über unsere Patienten hörst…«
»…nicht ausgeplaudert wird«, vervollständigte Emilia den Satz ihres Vaters. »Ich bitte dich, Papa, ich bin mein Leben lang schon die Tochter eines Arztes, du musst mich nicht an so etwas erinnern.«
»Du hast recht, das war überflüssig«, entgegnete Sebastian.
»Schon gut, Papa. Nolan, komm, hol das Stöckchen!«, rief sie und warf einen kleinen Stock auf die Wiese.
Der Welpe aber schaute Emilia nur an, noch hatte er offensichtlich keine Ahnung, was sie von ihm wollte.
»Da haben wir aber noch Arbeit vor uns«, seufzte sie, während sie wieder davonstob und der Hund ihr freudig folgte.
»Es ist doch in Ordnung, dass ich Emilia eingeladen habe, zu mir zu kommen?«, wollte Anna von Sebastian wissen.
»Es war eine hervorragende Idee.« Es hatte Sebastian beeindruckt, wie schnell sie den offensichtlichen Angriff seiner Tochter mit einem Friedensabkommen beendet hatte.
»Du bleibst doch zum Abendessen, Anna?«, fragte Traudel.
»Sehr gern«, sagte sie, als Benedikt ihr aufmunternd zulächelte.
Irgendwann lag Nolan erschöpft in seinem Korb, der im Wohnzimmer stand, und Emilia setzte sich zu den anderen auf die Terrasse. Bald darauf war es Zeit für das Abendessen, und Traudel verwöhnte sie mit Nudelsalat und Fleischpflanzel.
»Wieso schenkt ihr eurem Patenkind nicht etwas, was es jetzt dringend braucht?«, sagte Emilia, als ihr Vater und Anna sich während des Abendessens darüber unterhielten, was sie für Bastian tun könnten.
»An was hast du gedacht?«, fragte Sebastian.
»Ihr könntet Sabine Gutscheine für die Drogerie besorgen. Windeln, Babyklamotten, Babynahrung, da gibt es doch alles, was der Kleine braucht. Und Anna kann doch ungefähr abschätzen, was da so zusammen kommt.«
»Spatz, das ist eine großartige Idee«, sagte Sebastian und küsste seine Tochter auf die Wange.
»Das finde ich auch, genau das sollten wir tun.« Anna sah Emilia beeindruckt an.
»Mama hat immer gesagt, ich besitze einen Sinn für das Praktische.«
»Womit sie recht hatte«, stimmte Sebastian ihr zu.
Nach dem Abendessen gelang es Benedikt, die anderen zum gemeinsamen Kartenspiel zu überreden, was ihm große Freude bereitete.
»Zu fünft ist das Schafkopfspiel schon spannender als zu zweit«, sagte Traudel, als sie ein Spiel gewann und ihre dunklen Augen vor Aufregung leuchteten.
»Ich stimme dir zu, meine liebe Traudel, ich denke, wir sollten uns von nun an öfter zu einer solchen Runde treffen«, schlug Benedikt vor.
»Auch wenn ich jetzt mitmache, ihr könnt nicht davon ausgehen, dass ich immer dabei bin. Ihr seid nicht gerade meine Altersklasse«, erklärte Emilia selbstbewusst.
»Stimmt, deshalb kannst du auch noch einiges von uns lernen«, entgegnete Benedikt und kassierte den nächsten Stich.
»Opa, du machst uns noch alle fertig«, stöhnte Emilia.
Als Anna sich gegen zehn Uhr verabschiedete, waren alle in guter Stimmung und freuten sich auf den nächsten gemeinsamen Schafkopfabend. Sebastian begleitete Anna noch bis hinunter zur Straße, dort trennten sie sich mit einer freundschaftlichen Umarmung.
*
Sebastian schaute auf die Uhr, nachdem der letzte Patient am nächsten Vormittag gegangen war. Die Sprechstunde ging eigentlich nur bis zwölf, es war wieder kurz nach eins geworden. »Ja, bitte!«, rief er, als es an der Tür des Sprechzimmers klopfte.
»Geht noch einer?«, fragte Gerti, die zur Tür hereinschaute.
»Hast du schon jemals irgendjemanden nach Hause geschickt, der es bis ins Wartezimmer geschafft hat?«
»Ich glaube nicht«, antwortete Gerti sichtlich stolz.
»Wer ist es denn?«
»Anton Mittner.«
»Das ist eine gute Nachricht, auf ihn habe ich gewartet.«
»Na dann, Anton, komm her!«, rief Gerti und trat zur Seite, um Anton Platz zu machen.
»Grüß dich, Sebastian, Sabine hat gemeint, ich könnte vorbeikommen«, sagte Anton und schaute verlegen zu Boden. Er hatte wieder seinen guten Sonntagsanzug an, weil er sonst nichts Ordentliches mehr zum Anziehen besaß.
»Soll ich noch warten?«, fragte Gerti und ordnete eine Falte ihres Rockes.
»Nein, Anton und ich kommen allein zurecht.«
»Dann bis heute Nachmittag«, verabschiedete sie sich und schloss die Tür.
»Was kann ich für dich tun?«, fragte Sebastian.
»Es ist schon ein bisschen komisch.«
»Was ist komisch?«, fragte Sebastian, als Anton sich in dem Zimmer umsah, so als hätte er es zum ersten Mal betreten.
Er betrachtete die Vitrine aus gemasertem honigfarbenem