Gegen Mittag erreichten sie Salzburg. Fenja schaute auf die Stadt, die sich in einem Tal am Rande der Alpen umgeben von ihren Stadtbergen ausbreitete. Sie konnte die Kirchtürme der Altstadt erkennen und die Brücken über die Salzach, die zu den großen Alpenflüssen zählte und mitten durch die Stadt floss. Sie ließ diese Eindrücke einfach nur auf sich wirken.
Zehn Minuten später waren sie gelandet, und Pascal stellte das Flugzeug auf den ihnen zugewiesenen Platz am Rande der Startbahn ab. Fenja ließ ihre Ängste, die sich gleich darauf beim Verlassen des Flugzeuges meldeten, nicht zu. Sie würde sich diesen Tag mit Pascal nicht verderben lassen. Als er vorschlug, mit einem Taxi in die Stadt zu fahren, willigte sie ein. Noch immer erschien ihr alles wie ein Traum. In einem Traum war sie sicher, ihr konnte nichts passieren.
*
Sie stiegen am Ufer der Salzach aus dem Taxi und spazierten über eine Brücke zur Altstadt hinüber. Fenja blieb in der Mitte Brücke stehen und schaute über das Geländer hinweg auf den Fluss.
»Alles in Ordnung?«, fragte Pascal.
»Ja, ich denke, es ist alles in Ordnung«, antwortete sie lächelnd.
Es war ein wundervoller Tag, die Sonne schien, der Himmel war strahlend blau, die Salzach schillerte in den schönsten Blau- und Türkistönen und neben ihr stand ein Mann, in den sie sich verliebt hatte und der ihr das Gefühl absoluter Sicherheit gab. Mehr konnte sie sich von einem Tag nicht wünschen.
Nachdem sie den Fluss überquert hatten, waren sie in der Altstadt. Sie liefen durch die Getreidegasse mit ihren malerischen Häusern, die noch die alten schmiedeeisernen oder vergoldeten Zunftschilder trugen. Pascal nahm Fenja an die Hand, als sie kurz stehen blieb und auf die Touristen schaute, die sich durch die Gasse drängten. Die meisten auf der Suche nach dem Haus mit der Nummer 9, Mozarts Geburtshaus.
»Wollen wir umkehren?«, fragte er sie leise.
»Nein, wir gehen noch ein Stück.« Fenja war fest entschlossen, auch diesen Teil der Herausforderung anzunehmen.
Sie liefen durch die verträumten Gassen, betrachteten die gepflegten Häuser aus vergangenen Jahrhunderten und sahen auch einander immer wieder an. Als sie den Marktplatz der Altstadt erreichten, blieb Fenja vor dem 400 Jahre alten Brunnen stehen und betrachtete das Spiralgitter, ein filigranes Drahtgeflecht, das seinen Rand einfasste.
»Die klaren Linien moderner Bauwerke würden den Menschen, die zur Zeit des Brunnenbaus lebten, nicht gefallen. Sie mochten es verspielt und romantisch. Ich wünschte, wir könnten für einen Augenblick in der Zeit zurückreisen und uns ansehen, wie es vor 400 Jahren hier an dieser Stelle aussah«, sagte Fenja.
»Ungefähr um diese Zeit erhielt die Altstadt ihr heutiges Aussehen. Wir würden vermutlich auf einer Baustelle landen.«
»Was sicher interessant wäre.«
»Schon, aber das 17. Jahrhundert war eine Hochzeit des Hexenwahns. Würdest du in deiner modernen Kleidung dort auftauchen, könnten sie dich nicht in ihr Weltbild einordnen.«
»Was Menschen nicht verstehen, erscheint als Bedrohung. Wir bleiben lieber hier.«
»Eine weise Entscheidung«, antwortete Pascal lachend. »Was hältst du davon, wenn wir dort drüben zu Mittag essen?« Er deutete auf das Restaurant, das nur ein paar Schritte vom Brunnen entfernt war. Der Eingang war von einem dunkelblauen Baldachin überdacht und draußen vor dem großen Rundbogenfenster standen Tische aus dunklem Holz, auf denen weinrote Stoffservietten lagen, und Stühle mit weinroten Kissen. Zwei Tische waren noch frei, und sie wählten den direkt neben dem Eingang. Fenja setzte sich mit dem Rücken zu den anderen Tischen, so fühlte sie sich von den anderen Gästen nicht beobachtet.
Sie tranken Zitronenlimonade, aßen gebackene Käsenockerl und danach ein Heidelbeereis. Pascal erzählte ihr von seinem Traum, eine eigene Flugschule zu eröffnen, und sie sprach darüber, wieder eine richtige Journalistin sein zu können.
»Bevor du nach Bergmoosbach gezogen bist, was ist da passiert?«, fragte er sie und sah sie an.
»Du denkst, meine Ängste haben etwas mit meiner Arbeit zu tun?«
»Du wärst nicht die erste Journalistin, die wegen einer Story oder ihrer Vorgehensweise während einer Recherche angefeindet wird.«
»Du hast recht, es gab einen Vorfall, der mich noch immer belastet. Ob dieses Ereignis allein schuld an meinem Zustand ist, kann ich nicht sagen, aber es hat mich schon sehr belastet«, sagte sie und erzählte ihm von Richter Tanngruber und ihrer Rolle in dieser Geschichte.
»Ich kann mich erinnern, dass ich irgendwann einen kurzen Artikel darüber gelesen habe, aber ohne diese Fotos, und dein Name wurde auch nicht erwähnt. Es hieß nur, dass eine Journalistin diesen Richter wieder in die Alkoholsucht getrieben hätte.«
»Jetzt kennst du diese Journalistin«, sagte Fenja und senkte den Blick.
»Hast du niemals herausgefunden, wer dir das angetan hat?«
»Nein, die Boulevardzeitung, die den Artikel veröffentlicht hatte, wollte ihren Informanten natürlich nicht nennen, was ich auch verstehen kann. Tanngruber hat überall gute Freunde, ich hätte es vermutlich ohnehin nicht geschafft, dass die Öffentlichkeit meine Geschichte glaubt.«
»Es tut mir leid, was dir zugestoßen ist.«
»Ich muss lernen zu akzeptieren, dass ich mich nicht reinwaschen kann. Diese Geschichte wird für immer an mir kleben. Deshalb werde ich vermutlich auch nie wieder als Journalistin arbeiten können, keine Zeitung wird sich jemals wieder darauf einlassen, etwas von mir zu veröffentlichen.«
»Du könntest Bücher schreiben.«
»Ja, vielleicht werde ich das irgendwann versuchen. Vorausgesetzt, ich stoße auf eine interessante Geschichte.«
»Wie wäre es mit einem Roman, der damit beginnt, dass eine junge Frau einen Mann in ihrem Garten findet, der aus dem Himmel gefallen ist?«
»Klingt nach Sciencefiction.«
»Ein bisschen.«
»Obwohl, es wäre schon möglich«, sagte sie, als die Sonne in diesem Moment auf die Tische vor dem Restaurant fiel und Pascals grünbraunen Augen nur noch grün schimmerten.
»Was wäre möglich?«
»Dass ein Außerirdischer in meinen Garten gefallen ist. Du hast mir gerade das Gefühl gegeben, dass du keine Zweifel an meiner Version der Geschichte hegst. Das ist ungewöhnlich, vielleicht sogar außerirdisch ungewöhnlich.«
»Ich denke, wen jemand ungewöhnlich ist, dann du. Für dich hat die Wahrheit noch eine Bedeutung, du hast für sie gekämpft.«
»Mein Einsatz war nicht so hoch. Es gibt andere, die haben um den Preis der Wahrheit richtig viel verloren, auch in der jüngsten Vergangenheit.«
»Du wurdest ausgebremst, bevor du größere Dinge vollbringen konntest.«
»Ich habe mich selbst ausgebremst.«
»Du wirst zurückfinden.«
»Vielleicht«, seufzte sie und tauchte ihren Löffel in das Heidelbeereis, das vor ihr stand.
»Du schaffst es, davon bin ich überzeugt«, sagte Pascal und betrachtete sie mit einem zärtlichen Blick. Obwohl sich Fenja gerade so machtlos fühlte, sah er in ihr eine starke Persönlichkeit, die diese Krise überwinden würde.
»Ich möchte noch eine Schachtel Mozartkugeln kaufen. Ich werde jeden Tag eine essen und mich an diesen Ausflug erinnern«, sagte Fenja, nachdem sie das Restaurant verlassen hatten.
»Dann lass uns in eine Konditorei gehen.« Pascal nahm sie wieder liebevoll an die Hand und begleitete sie in die Konditorei gegenüber dem Restaurant, einen hübschen kleinen Laden mit knarrendem Holzdielen, schwarzen Lackregalen und