»Sie wollen sicher zu meinem Vater. Ich bin Emilia Seefeld, Markus Mittner«, stellte Emilia sich und ihren Freund vor. »Und das ist Nolan«, sagte sie, als der Berner Sennenhund ein leises »Wuff«, hören ließ. »Wissen Sie denn inzwischen, wie es zu dem Absturz kam?«, fragte Emilia.
»Mit Sicherheit weiß ich es nicht, und die Spuren an meinem Schirm sind auch nicht wirklich eindeutig, aber ich vermute, es war ein Vogel.«
»Falls es ein Vogel war, dann könnte er verletzt sein.«
»Ich denke nicht, dass sich das herausfinden lässt. Das Gebiet, in dem er sich aufhalten könnte, ist viel zu groß.«
»Wo genau war denn der Zusammenprall?« Emilia rief eine Karte von Bergmoosbach in ihrem Handy auf und reichte es Pascal.
»Ungefähr hier, über dem Waldstück unterhalb der Burg«, sagte Pascal und deutete auf die Stelle, an der sein Schirm ins Trudeln geriet.
»Danke.« Emilia markierte die Stelle und steckte ihr Telefon wieder ein. »Wir wollten ohnehin einen langen Spaziergang mit Nolan machen. Wir sehen mal dort nach, ob wir den Vogel sehen. Wenn er den Schirm aus dem Gleichgewicht bringen konnte, muss es ein größerer Vogel gewesen sein, der sich nicht so leicht übersehen lässt.«
»Ich halte es nicht für wahrscheinlich, dass du ihn finden wirst, falls es überhaupt ein Vogel war.«
»Versuchen Sie erst gar nicht, es ihr auszureden«, sagte Markus.
»Nein, das bringt nichts«, erklärte Emilia lachend. »Außerdem haben wir Nolan dabei, er sucht gern und ist dabei auch meistens erfolgreich. Falls wir eine Spur finden, die zur Ursache ihres Absturzes führt, melden wir uns.«
»Vielen Dank«, sagte Pascal und ging zur Praxis hinauf.
»Weißt du was, ich rufe Doro an, sie kann uns bei der Suche helfen«, erklärte Emilia und zog ihr Handy aus der Tasche ihrer Jeans, während sie und Markus zur Straße hinuntergingen.
»Gute Idee«, stimmte Markus ihr zu und auch Nolan ließ ein kurzes »Wuff«, hören, als er den Namen Doro hörte.
Gleich darauf betrat Pascal die Empfangsdiele der Praxis, einen hellen Raum mit Dielenboden und weißem Tresen, hinter dem eine ältere Frau in einem ordentlich gestärkten weißen Kittel stand. Sie hatte die Brille mit dem grünen Rahmen in ihr kurzes dunkles Haar geschoben und schaute auf den Computerbildschirm, der auf dem Tresen stand.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte Gerti Fechner, die langjährige Sprechstundenhilfe der Praxis Seefeld.
»Ich würde gern mit Doktor Seefeld sprechen, aber nicht über mich. Ich brauche seinen Rat. Es geht um eine junge Frau, die unter Panikattacken leidet«, sagte er, nachdem er sich mit einem Blick in das Wartezimmer davon überzeugt hatte, dass dort noch niemand saß.
»Und warum kommen Sie damit zu uns?«, fragte Gerti.
»Doktor Seefeld ist der jungen Dame schon begegnet, als ich vor ein paar Tagen in ihrem Garten gelandet bin.«
»Der Paraglider«, stellte Gerti fest und betrachtete ihn mit einem interessierten Lächeln.
»Hallo, Herr Malen, was kann ich für Sie tun?«, fragte Sebastian, der in Jeans und weißem Poloshirt in die Praxis kam.
»Es geht um Fenja Kirchner. Ich brauche dringend Ihren Rat.«
»Kommen Sie mit«, bat Sebastian ihn.
»Ach ja«, seufzte Gerti, als Pascal Sebastian ins Sprechzimmer folgte. Wenn ich noch jung wäre, dann würde ich mir jetzt auch einen großen Garten zulegen und auf das große Glück aus dem Himmel warten, dachte sie und wandte sich wieder ihrem Computerbildschirm zu.
Auch das Sprechzimmer war mit weißen Möbeln eingerichtet, bis auf die schöne alte Vitrine aus honigfarbenem Holz mit den historischen Medizinbüchern hinter den Glastüren, die Benedikt Seefeld im Laufe der Jahre gesammelt hatte. Sie sorgte für ein warmes Ambiente, in dem die Patienten sich wohlfühlten.
»Das war sogar eine ganz ausgezeichnete Idee«, versicherte Sebastian Pascal, nachdem er ihm von seinem Ausflug mit Fenja erzählt hatte. »Sie haben Frau Kirchner damit auf jeden Fall geholfen.«
»Ja, vielleicht, aber jetzt ist sie sauer auf mich, und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Ich will nicht, dass sie wieder zurückgeworfen wird«, sagte Pascal und erklärte Sebastian, warum er Fenja nicht gleich gesagt hatte, dass er über ihre Ängste Bescheid wusste.
»Gehen Sie zu ihr und sprechen Sie mit ihr. Sie haben Ihr Wissen über sie nicht missbraucht, sondern es genutzt, um ihr zu helfen.«
»Ich hoffe, dass sie das auch so sieht.«
»Sie wird es verstehen«, machte Sebastian ihm Mut. »Wie geht es Ihnen denn?«, wollte er wissen.
»Gut, manchmal ziehen meine Rippen noch ein bisschen, mehr spüre ich nicht mehr von dem Unfall.«
»Sie hatten großes Glück.«
»Ich weiß, sogar doppelt. Die Taxushecke war da, und ich bin Fenja begegnet.«
»Denken Sie nicht zu viel darüber nach, wie Sie mit ihrer Krankheit umgehen sollen. Handeln Sie nach Ihrem Gefühl.«
»Das mache ich, ich wollte nur sicher gehen, dass ich ihr nicht zu viel zugemutet habe.«
»Ich wünsche Ihnen viel Glück«, sagte Sebastian und begleitete ihn noch zur Tür.
»Vielen Dank, Doktor Seefeld«, verabschiedete sich Pascal und verließ die Praxis.
»Können wir dann anfangen?«, fragte Gerti, als Sebastian noch einen Augenblick in der Tür seines Sprechzimmers stehen blieb.
»Ja, können wir«, sagte er. Nach dem, was er gerade gehört hatte, hatte Doro ihre Nachbarin ganz offensichtlich richtig eingeschätzt. Und Anna hatte mit ihrer Ferndiagnose Agoraphobie vermutlich recht gehabt.
*
Fenja hatte in der Nacht kaum geschlafen und den ganzen Vormittag auch nichts an ihrem Schreibtisch zustande gebracht. Kendra hatte ihr gleich beim Frühstück noch einmal geschildert, wie wenig Verständnis Pascal für ihre Lage aufbrachte, und das hatte sie zuerst traurig gemacht. Inzwischen war sie nicht mehr traurig, sondern wütend.
Es kam ihr vor, als hätte Pascal sie aus einem Gefängnis befreit, in das er sie dann wieder zurückgestoßen hatte. Nein, das stimmt nicht, ich bin freiwillig zurückgegangen, dachte sie, als sie am Nachmittag auf der Terrasse im Garten saß, während Kendra auf ihrem Zimmer an einem Artikel arbeitete, wie sie sagte.
Fenja schaute dem Eichhörnchen nach, das durch den Garten flitzte und unter der Hecke verschwand. Sie stand auf, um nachzusehen, wo es wieder herauskam. Kurz darauf sah sie es den Stamm einer Birke hinaufklettern, die am Bachufer stand. So frei möchte ich auch wieder sein, einfach dorthin gehen, wohin ich möchte, dachte sie.
Und dann beschloss sie, zum Bach zu gehen, der nur ein paar Meter von ihrem Haus entfernt lag. Sie hatte gestern so viel Mut bewiesen, es musste etwas bewirkt haben.
*
Pascal hoffte inständig, dass Fenja ihm die Gelegenheit geben würde, ihr alles zu erklären. Er atmete noch einmal tief ein und aus, bevor er auf die Klingel an ihrer Haustür drückte. Kurz darauf öffnete nicht Fenja ihm die Tür, sondern Kendra. Sie hatte das Klingen gehört und war sofort nach unten gerannt, als sie Pascals Auto auf der Straße stehen sah.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte sie kühl.
»Ich möchte mit Fenja sprechen.«
»Ihr geht es nicht gut. Kommen Sie, wir gehen ein paar Schritte«, sagte sie und zog die Haustür leise hinter sich zu. Sie ging davon aus, dass Fenja ein Beruhigungsmittel genommen hatte und eingeschlafen war, weil sie nicht zur Tür kam. Glücklicherweise war es so, dann konnte sie jetzt dafür sorgen, Pascal