Der neue Landdoktor Staffel 9 – Arztroman. Tessa Hofreiter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tessa Hofreiter
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Landdoktor
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740980528
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das wollte sie für sich ausprobieren: Frieden mit ihrer Angst schließen.

      *

      Am nächsten Morgen war Fenja davon überzeugt, dass Pascals Besuch ihr gutgetan hatte. Er warf sie nicht zurück, wie Kendra befürchtete. Im Gegenteil, sie hatte das Gefühl, dass ihr Wunsch, sich mit ihm zu treffen, größer war als ihre Angst davor, das Haus zu verlassen. Selbst wenn es nicht gleich klappen würde, sie würde es schaffen. Sie musste nur den Mut besitzen, ehrlich zu ihm zu sein.

      »Leider wirst du daran scheitern, meine Liebe«, sagte sie, als sie im Badezimmer vor dem Spiegel stand und ihr Haar bürstete. Die meisten ihrer früheren Freunde hatten sich zurückgezogen, nachdem sie ihnen erklärt hatte, wie sie sich fühlte. Wie hätten sie auch Kontakt mit ihr halten können, wenn sie jede Einladung ablehnte und immer nur darauf hoffte, dass sie zu ihr kamen? Auch Pascal würde sich schnell zurückziehen, weil der Umgang mit ihr einfach zu kompliziert war. So sehr sie auch daran glauben wollte, dass ihre Begegnung mit ihm ihre Fahrkarte zurück in ein normales Leben sein konnte, so sehr fürchtete sie sich davor, dass er ihr nicht genug Zeit lassen würde, um das herauszufinden.

      Aber noch wollte sie die Hoffnung nicht ganz aufgeben. Vielleicht geschah ein Wunder und sie würde schon morgen in der Lage sein, das Haus zu verlassen. Oder vielleicht sogar schon heute, dachte sie. Um für diese Wendung in ihrem Leben gerüstet zu sein, tuschte sie ihre Wimpern, legte Lidschatten auf und benutzte einen hellen Lippenstift. Sie ging ins Schlafzimmer, zog den Kleiderschrank auf und tauschte die Jeans und das weite T-Shirt gegen eine schwarze Leinenhose und eine sandfarbene Bluse mit kurzen Ärmeln. Sie nahm sich fest vor, irgendwann im Laufe des Tages das Haus zu verlassen, um wenigstens ein paar Schritte in Richtung Dorf zu laufen.

      Als es um kurz nach neun an der Tür läutete, ging sie davon aus, dass es ein Paketbote war. Sie hatte vor ein paar Tagen Büromaterial bestellt. Sie überzeugte sich davon, dass sie die Textdatei mit den Glückskekssprüchen gesichert hatte und ging zur Tür.

      »Haben Sie gestern etwas vergessen?«, fragte sie erstaunt, als nicht der Paketbote, sondern Pascal vor der Tür stand.

      »Ja, schon, ich hatte vergessen, Ihnen zu sagen, dass ich heute zum Frühstück vorbeikomme«, sagte er lächelnd und drückte ihr eine Tüte mit noch warmen Brötchen in die Hand.

      »Danke, kommen Sie herein«, bat sie und trat zur Seite, um ihm Platz zu machen.

      »Ich hoffe, Sie haben noch nicht gefrühstückt.«

      »Nein, wenn ich allein bin, begnüge ich mich meistens mit einer Tasse Kaffee. Kendra ist ja zur Zeit in München.«

      »Aber Sie haben nichts gegen ein Frühstück einzuwenden.«

      »Nein, habe ich nicht. Dann will ich mal sehen, was ich Ihnen zu den Brötchen anbieten kann. Gehen wir in die Küche«, sagte sie.

      Fenja zog die Gardinen in der Küche beiseite und öffnete die Flügeltüren zum Garten. Das hereinströmende Sonnenlicht wärmte den Raum, nicht mehr so stark wie noch vor einigen Tagen, aber es war angenehm genug, um die Türen eine Weile geöffnet zu lassen.

      Nachdem sie Kaffeepulver in den Filter der Kaffeekanne gefüllt hatte, schaltete sie den Wasserkocher ein, stellte zwei Gedecke auf den Tisch, und Pascal füllte die knusprigen Brötchen in das Körbchen, das sie ihm reichte. Danach übernahm er die Zubereitung des Kaffees, und sie kümmerte sich um den Belag für die Brötchen: Marmelade, Honig, Butter und Käse.

      »Falls Sie heute wieder den ganzen Tag arbeiten müssen, könnte ich am Nachmittag mit Kuchen vorbeikommen, um Ihnen eine Pause zu verschaffen«, schlug er vor, als sie ein paar Minuten später zusammen am Küchentisch saßen.

      »Ich kann das nie so genau bestimmen, wie lange ich arbeite. Es kommt darauf an, wie schnell mir etwas einfällt.«

      »Was machen Sie, falls Ihnen nichts einfällt? Gehen Sie spazieren oder joggen, um den Kopf freizubekommen?«

      »Weder noch, ich lege mich aufs Sofa oder gehe in den Garten. Nur in den Garten, nicht weiter.« Sie wollte, dass er nachfragte, was dieses ›nicht weiter‹ bedeutete. In diesem Moment war sie bereit für die Wahrheit.

      »Was bedeutet nicht weiter?«, fragte er auch behutsam nach.

      »Ich leide an Agoraphobie«, sagte sie und erzählte ihm von ihren Panik­attacken und der Angst, das Haus zu verlassen. »Ich führe zur Zeit ein recht langweiliges Leben, das weiß ich«, sagte sie, nachdem er ihr aufmerksam zugehört hatte, sie aber nur nachdenklich anschaute und schwieg.

      »Vertraust du mir, Fenja? Verzeihung, vertrauen Sie mir?«, verbesserte er sich und hielt ihren Blick fest.

      »Wir können ruhig beim Du bleiben, und ja, ich vertraue dir«, sagte sie. Sein Blick verriet ihr alles, was sie wissen musste. Da war keine Spur von Verachtung oder Mitleid, das niemals wirklich weiterhalf, weil es nur zum Bedauern taugte, aber keine Lösung anbot. Nein, es war Mitgefühl. Er schien wirklich zu verstehen, was in ihr vorging.

      »Komm mit mir, ich möchte dir etwas zeigen«, sagte er.

      »Wohin?«

      »Lass dich überraschen.«

      »Muss ich das Haus verlassen?«

      »Ja, musst du.«

      »Aber ich habe dir doch gerade gesagt, dass…«

      »Nein, nicht darüber nachdenken, was nicht geht«, unterbrach er sie und legte seine Hand auf ihre. »Hast du deine Lieblingsmusik auf deinem Handy gespeichert?«

      »Ja, habe ich.«

      »Gut, dann setz dir Kopfhörer auf und lass dich von der Musik ablenken.«

      »Das funktioniert nicht.«

      »Doch, es funktioniert. Du bist nicht allein, du musst dich um nichts kümmern, höre nur auf deine Musik. Falls es nicht klappt, dann lassen wir es und versuchen es ein anderes Mal«, versicherte er ihr.

      »Aber du hast gar nichts dazu gesagt, was ich dir gerade erzählt habe.«

      »Weil ich eine Idee habe, wie ich dir vielleicht helfen könnte. Ich denke, ich weiß, wie du diese Ängste wenigstens für eine Weile loswerden könntest.«

      »Ich hole mein Handy.« Er wusste jetzt über sie Bescheid, er bot ihr Hilfe an und sie würde sie annehmen, weil sie nicht wollte, dass er gleich wieder aus ihrem Leben verschwand.

      »Sieh auf den Boden und schau deinen Füßen zu, wie sie sich Schritt für Schritt vorwärts bewegen. Mehr musst du nicht tun«, sagte er, als sie wenig später zur Haustür gingen.

      »Okay, versuchen wir es.« Sie schloss die Tür ab und setzte den Kopfhörer auf, dessen Kabel sie unter der Bluse hindurchgezogen hatte, damit es sie nicht behinderte. Danach schaltete sie die Musik ein und steckte das Handy in ihre Hosentasche.

      Fenja machte genau das, was er ihr gesagt hatte. Sie sah auf den Boden und achtete nur auf ihre Schritte. Pascal hielt ihr das Tor zur Straße auf, und sie ging einfach weiter. Als es hinter ihr zufiel, was sie trotz ihrer Kopfhörer wahrnahm, zuckte sie zusammen, ließ sich aber von dieser Schrecksekunde nicht gleich verunsichern. Pascals Auto stand direkt vor dem Tor, und als er die Beifahrertür aufhielt, stieg sie ein. Ich schaffe das, machte sie sich erneut Mut. Sie entspannte sich auch sofort, als Pascal sich hinter das Steuer setzte und den Motor anließ. Jetzt war das Auto ihr sicherer Raum, den sie nur mit Pascal teilte, der ihr mehr Verständnis entgegenbrachte als die meisten ihrer ehemaligen Freunde.

      »Du kannst sie auch gern auflassen«, sagte er, als sie die Kopfhörer abnahm.

      »Schon in Ordnung, ich brauche sie gerade nicht.«

      »Sobald du dich unwohl fühlst, setzt du sie wieder auf.«

      »Mir geht es gut«, versicherte sie ihm.

      »Das wäre dann wohl ein gelungener Auftakt für unser Vorhaben«, sagte er und streifte sie mit seinem Blick.

      »Stimmt, obwohl ich noch immer nicht weiß, was wir vorhaben.« Da sie nun einmal beschlossen