Der neue Landdoktor Staffel 9 – Arztroman. Tessa Hofreiter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tessa Hofreiter
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Landdoktor
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740980528
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zu bewältigen war.

      Fenja nahm sich vor, die Fahrt zu genießen. Sie lehnte sich in dem Sitz zurück und schaute aus dem Fenster. Die Straße aus dem Neubaugebiet führte an den roten Backsteingebäuden der Brauerei Schwartz entlang und stieß gegenüber der Apotheke auf die Durchgangsstraße in Richtung Mainingberg.

      »Hier ist also die Praxis Seefeld«, stellte sie fest, als sie am Ortsende von Bergmoosbach an dem Haus mit den lindgünen Fensterläden vorbeikamen, das auf einem sanft ansteigenden Hügel stand. Die Wiese vor dem Haus war auf der rechten Seite von einem Steingarten eingefasst und auf der linken Seite von einer Hecke, die die Wiese von der gepflasterten Einfahrt zur Praxis hinauf trennte.

      »Du warst noch nie hier?«, wunderte sich Pascal.

      »Nein, aber nachdem ich Doktor Seefeld kennengelernt habe, werde ich vielleicht demnächst einmal herkommen. Er hat auf mich den Eindruck gemacht, als läge ihm tatsächlich etwas am Wohle seiner Patienten. Er hat so gar nichts Arrogantes an sich.«

      »Deshalb ist er auch der beliebteste Arzt im ganzen Tal. Ich kenne einige Leute, die zu ihm gehen, sogar häufiger, als es notwendig wäre, wobei es sich in diesem Fall ausschließlich um Frauen handelt.«

      »Hoffnungen sollte sich aber keine machen. Er und Anna Bergmann, die Bergmoosbacher Hebamme, sind ein Paar. Ich sehe sie manchmal. Wir haben einige Schwangere in unserer Siedlung. Anna ist wunderschön und selbstbewusst und besitzt die gleiche mitfühlende Art im Umgang mit ihren Patientinnen wie Doktor Seefeld, habe ich gehört. Hin und wieder spreche ich mit den Nachbarn über den Gartenzaun hinweg«, sagte sie, als Pascal sie verwundert anschaute.

      »Das heißt, du hast dich weniger von dem Leben außerhalb deines Hauses abgekoppelt, als du glaubst.«

      »Du meinst, die Brücke ist noch nicht eingestürzt, ich muss sie nur reparieren?«

      »Ich denke, so ist es.«

      »Dann will ich das mal glauben«, sagte Fenja und sah wieder aus dem Fenster.

      Sie fuhren auf der Landstraße an Mainingberg vorbei in Richtung Garmisch, und sie hatte noch immer keine Ahnung, wo sie schließlich anhalten würden. Vielleicht gar nicht, vielleicht will er mir zuerst nur klar machen, dass ich ohne Angst in einem Auto herumfahren kann. Auch ihre Eltern hatten so einen Versuch schon unternommen, aber sie hatten immer ein Ziel eingeplant, an dem sie aussteigen sollte, was sie aber meistens nicht geschafft hatte. In den letzten Monaten hatte sie diese Ausflüge verweigert. Dass sie auf Pascals Vorschlag eingegangen war, bedeutete entweder, dass sie mutiger wurde oder dass sie sich an seiner Seite absolut sicher fühlte. Vielleicht von beidem etwas, dachte sie, als Pascal in einen schmalen Waldweg einbog.

      »Ich werde hier nicht aussteigen«, flüsterte sie, als sie kurz darauf das Ende des Waldweges erreichten und das Gelände des Sportflughafens vor ihnen lag. Sie spürte, wie sich alles in ihr zusammenkrampfte, als sie auf die Mechaniker, Piloten und Fluggäste schaute, die sie sich auf dem Gelände aufhielten.

      »Das ist in Ordnung. Dann bleiben wir hier sitzen und schauen nur zu«, sagte Pascal.

      »Danke.« Ihr Herzschlag beruhigte sich sofort wieder, als ihr klar wurde, dass er keine bestimmte Erwartung an sie stellte.

      Sie schaute auf die Motorflugzeuge und Segelflugzeuge, die auf der Wiese neben der Start- und Landebahn standen. Neben den kleinen Flugzeugen für zwei oder vier Personen parkten dort auch größere Maschinen. »Welche Flugzeuge darfst du fliegen?«, wollte sie wissen, als eine der größeren Maschinen über die Startbahn rollte, beschleunigte und wenig später vom Boden abhob.

      »Alle, die du hier siehst. Bist du schon einmal mit einem Segelflugzeug geflogen?«

      »Nein, bisher noch nicht.«

      »Vom Fluggefühl her ist es das Flugzeug, das dem Flugerlebnis mit einem Gleitschirm am nächsten kommt. Du existierst nur im Jetzt, frei von allen Sorgen.«

      »Das klingt verlockend.«

      »Du könntest es ausprobieren. Oder hast du Flugangst?«

      »Früher bin ich ohne nachzudenken in ein Flugzeug gestiegen, wie es heute wäre, weiß ich nicht.«

      »Was könnte im schlimmsten Fall passieren, wenn du dich entschließt, mit mir in ein Flugzeug zu steigen?«

      »Ich könnte einen Panikanfall bekommen und Todesängste entwickeln.«

      »Wenn du keine Flugangst hast, warum sollte das in einem Flugzeug, in dem außer uns niemand ist, passieren? Ein Segelflugzeug lässt sich außerdem fast überall landen. Auf einer Wiese auf einem Acker oder einer Hochalm. Wir könnten diesen Flug jederzeit beenden.«

      »Also gut«, sagte Fenja und setzte die Kopfhörer wieder auf.

      »Das heißt, du kommst mit?«

      »Ich will es auf jeden Fall versuchen.«

      »Du wirst es schaffen.« Er stieg aus, ging um das Auto herum und hielt ihr die Wagentür auf.

      Während sie über die Wiese liefen, schaltete sie die Musik in ihrem Handy an und schaute nur auf ihre Schritte. Pascal führte sie zu einem Motorsegler mit einer Glaskuppel, klappte das Plexiglasdach zur Seite und half ihr einzusteigen. Nachdem auch er eingestiegen war, sprach er mit dem Tower und erhielt auch sofort eine Starterlaubnis. Er klappte das Dach zu, sie schnallten sich an, dann rollten sie zur Startbahn. Fenja behielt die Kopfhörer auf und schaute nur nach vorn. Sie wollte nicht an ihrem Entschluss zweifeln, sie wollte es einfach geschehen lassen.

      *

      Zehn Minuten später waren sie in der Luft. Über ihnen der strahlend blaue Himmel, unter ihnen samtig grüne Hügel, glitzernde Seen und Tannenwälder. Fenja schaltete die Musik aus, nahm die Kopfhörer ab und schaute nach oben in das unendliche Blau des Himmels, während Pascal den Motor des Flugzeuges abstellte. Sie nahm die Glaskuppel nicht mehr als Trennung wahr, es schien, als schwebten sie vollkommen frei dem Horizont entgegen.

      »Diese Stille ist wundervoll«, flüsterte sie.

      »So als würde die Zeit still stehen«, sagte Pascal.

      »Ja, genauso fühlt es sich an.« Sie schaute zur Seite, blickte auf die Dörfer und verstreut liegenden Gehöfte, alles schien so weit weg zu sein, eine Spielzeuglandschaft, die nichts mit ihrem Leben zu tun hatte. Nichts war mehr wichtig, ihre Sorgen, ihre Ängste, sie hatte sie dort unten zurückgelassen.

      »Könnten wir über die Gipfel hinwegfliegen?«, wollte sie wissen, als sie auf die Berge schaute, die sich vor ihnen an den Himmel streckten.

      »Das hatte ich ohnehin vor«, sagte Pascal. Er schaltete den Motor des Flugzeuges wieder an und leitete den Steigflug ein. Sie gewannen schnell an Höhe und bald waren sie über den Gipfeln.

      Es dauerte nicht lange, und sie hatten die Zugspitze erreicht. Pascal stellte den Motor wieder ab und sie schwebten über das in der Sonne glitzernde Schneeplatt hinweg, blickten auf die Gipfel der Alpen, einem Meer von über 400 Bergen, das sich bis zum tiefblauen Horizont erstreckte und das sich vier Länder teilten: Deutschland, Österreich, die Schweiz und Italien. Von oben gesehen existierten keinen Grenzen, alles gehörte zusammen, der Himmel, die Berge und die Täler mit ihren Flüssen und Seen.

      »Ich empfinde nur noch Glück, vollkommenes Glück«, sagte Fenja. In diesem Moment konnte sie sich gar nicht mehr vorstellen, dass sie so lange so traurig und voller Angst war.

      Pascal hatte seine Kopfhörer, über die er den Funk mit den Flughafentowern mithörte, nicht ganz auf die Ohren gesetzt, damit er sich auch noch mit Fenja unterhalten konnte. Er schaute sie an und lächelte. »Es war mein Wunsch, dich glücklich zu machen«, sagte er. »Was hältst du von einem Abstecher nach Salzburg? Wir könnten dort zu Mittagessen.«

      »Ja, gern, fliegen wir nach Salzburg.« Fenja hatte das Gefühl, als wäre sie von all ihren Ängsten befreitet. Sie würde endlich wieder leben können.

      Sie glitten noch ein paar Minuten über die Berge hinweg, schauten auf Gipfel und Schluchten, bis Pascal schließlich den Motor wieder anschaltete und in einer