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Zwei Tage später war im Bergmoosbacher Tagblatt zu lesen, dass der Geschäftsführer des Sägewerks Kubner das gestohlene Holz über eine Scheinfirma abgerechnet hatte, und das Geld zusätzlich zu seiner Gewinnbeteiligung eingesteckt hatte.
Herr Kubner selbst hatte von diesen Machenschaften nichts gewusst, musste sich aber gefallen lassen, dass man ihn für naiv hielt. Trotzdem erklärte sich seine Hausbank bereit, ihm mit einem Kredit wieder auf die Beine zu helfen, nachdem Resi Kubner erklärt hatte, dass sie von nun an die Mitarbeiter aussuchen würde. Da das Tagblatt Ingvar nicht vorverurteilt hatte, bekam es als einzige Zeitung der Gegend ein Exklusivinterview von ihm, in dem er schilderte, was ihm zugestoßen war.
Fabia blieb noch zwei Wochen in Bergmoosbach und traf sich jeden Tag mit Ingvar. Als Ingvar das Angebot eines Pharmaunternehmens erhielt, das Pilzvorkommen in den skandinavischen Wäldern zu erforschen, wollte er wissen, ob er sich diesen Forschungsauftrag mit einer Biologin teilen könnte. Als das Unternehmen einwilligte, schlug er Fabia vor, ihn zu begleiten. Sie willigte ein.
Sebastian Seefeld, der junge Landdoktor, konnte sich zwar an den munteren Anzeichen erwachenden Lebens freuen, aber sein Gesichtsausdruck blieb an diesem Morgen ernst. Seine Gedanken waren noch bei dem Besuch, zu dem er gegen Mitternacht gerufen worden war. Er hatte am Sterbebett eines älteren Mannes gesessen, und das Gespräch mit dessen Sohn beschäftigte ihn.
Als Sebastian zum Doktorhaus kam, traf er auf seinen Vater Benedikt, der im Garten taufrische Himbeeren für das Frühstück pflückte. Benedikts dichter, silbergrauer Haarschopf leuchtete im Sonnenschein, und das Lächeln in seinem markanten Gesicht drückte Zufriedenheit aus. Er wusste seine Praxis bei seinem Sohn in den besten Händen und genoss nun nach einem arbeitsreichen Leben seine freie Zeit.
»Guten Morgen, Vater. Hast du gut geschlafen?«, begrüßte Sebastian ihn. Er legte seinem Vater den Arm um die Schultern und drückte ihn kurz an sich.
»Nanu?« Benedikt schaute seinen Sohn leicht überrascht an. »Wofür war das denn?«, fragte er freundlich.
»Ach, nur so«, antwortete Sebastian. »Einfach weil du da bist.«
Die beiden Männer gingen in die Küche hinein, wo Traudel, die gute Seele des Doktorhauses, gerade die frischen Semmeln aus dem Ofen holte. »Ich komme gerade von Familie Berger, Franz ist in den frühen Morgenstunden gestorben«, sagte Sebastian.
»Das ist jetzt ziemlich schnell gegangen«, erwiderte Benedikt ernst.
Der alte Franz Berger war früher sein Patient gewesen, der sich von einem tragischen Unfall im Forst nie wieder ganz erholt hatte.
»Wie geht es Daniel? Der Tod seines Vaters ist ja nicht plötzlich und unvermutet eingetreten, aber es wird den Bub doch hart getroffen haben. Er und sein Vater haben sich immer gut verstanden«, sagte Traudel voller Mitgefühl.
»Daniel hält sich tapfer«, antwortete der junge Landdoktor, »aber seine Trauer ist groß. Ich wünsche ihm, dass sein Bruder Robert so bald wie möglich kommt und ihm zur Seite steht.«
Benedikt und Traudel warfen sich einen vielsagenden Blick zu. »Ich fürchte, das wird nicht einfach werden«, sagte Traudel mit einem leisen Seufzer. »Daniel und Robert sind sich nie so nahe gewesen, wie es unter Brüdern eigentlich üblich ist.«
»Ich habe schon so etwas vermutet«, erwiderte Sebastian mit einem nachdenklichen Stirnrunzeln. »Seitdem ich die Praxis übernommen habe und Franz Berger mein Patient gewesen ist, habe ich den älteren Sohn kein einziges Mal am Krankenbett seines Vaters gesehen.«
»Von Rautende weiß ich, wie sehr Franz das belastet hat. Wenn es nach Robert gegangen wäre, hätte gar kein Kontakt mehr bestanden. Es ist immer Daniel gewesen, der versucht hat, die Verbindung aufrecht zu halten«, erzählte Traudel.
Sie hatte einiges von ihrer Freundin erfahren, die seit Jahrzehnten als Haushälterin bei Familie Berger lebte und arbeitete. Was Traudel fürs Doktorhaus bedeutete, war Rautende auf dem alten Gutshof ›Silberwald‹. Auch sie hatte immer wieder vergeblich versucht, den älteren Sohn Robert zu einem Besuch zu überreden.
»Man kann den Menschen nicht ins Herz schauen. Wer weiß, was Robert Berger aus Bergmoosbach fortgetrieben hat«, sagte Sebastian nachdenklich.
Ehe Traudel oder Benedikt darauf antworten konnten, kam Emilia, die Teenagertochter des jungen Landdoktors, in die Küche gestürmt. »Guten Morgen, Familie, meine Güte, ich bin spät dran, wir schreiben in der ersten Stunde Französisch, sind das frische Himbeeren, superklasse, danke an den Pflücker«, sprudelte sie ohne Punkt und Komma hervor und setzte sich an den schönen, alten Küchentisch.
»Guten Morgen, Spatzl«, antwortete Sebastian lächelnd. »Jetzt hol einmal tief Luft und iss in Ruhe dein Müsli, zum Frühstücken hast du noch genügend Zeit.«
»Du hast ja keine Ahnung, was ich noch vor der Schule erledigen muss«, erwiderte Emilia mit blitzenden Augen.
»Na, dann erkläre es uns doch bitte«, erwiderte ihr Vater geduldig.
Langsam verflüchtigte sich die schwere Stimmung, die durch das ernste Gespräch der Erwachsenen entstanden war, und die Küche des Doktorhauses war wieder von freundlichen Stimmen und Lachen erfüllt.
Ganz anders war die Atmosphäre in der großen Wohnküche vom Gutshof ›Silberwald‹. Der riesige Raum hatte eine dunkle Balkendecke, alte Fliesen auf dem Fußboden und an den Wänden, und neben modernen Küchengeräten gab es die massiven, teils bunt bemalten Möbel eines vergangenen Jahrhunderts. Am blank geschrubbten Küchentisch mit den vielen Kerben und Gebrauchsspuren eines langen Lebens saß Daniel Berger und starrte in den Kaffeebecher, den Rautende vor ihn gestellt hatte.
Daniel war ein gutaussehender Mann Mitte Dreißig mit blonden Haaren und dunkelblauen Augen. Er war groß, breitschultrig und wirkte nicht schwerfällig, obwohl er in der letzten Zeit deutlich an Gewicht zugelegt hatte. Daniel hatte eine angesehene Tischlerei aufgebaut, die sich auf Altbausanierung spezialisierte. Er war ein ruhiger, fleißiger und zuverlässiger Mann, der sich in seiner geringen Freizeit in der Gemeinde engagierte und dort hochangesehen war.
Rautende kannte ihn und seinen zehn Jahre älteren Bruder Robert seit deren Geburt. Genau wie ihre Freundin Traudel im Doktorhaus war sie hier die treue Stütze der Familie und eine zuverlässige Vertraute. Rautende Göpping ging auf die Siebzig zu, und es war unvorstellbar für sie, nicht mehr für die Bergers zu arbeiten.
Heute sah man ihr zum ersten Mal das Alter an. Ihr dichtes, silbergraues Haar, das sie zu einer klassischen Flechtkrone aufgesteckt hatte, wirkte stumpf, ihr sonst so lebhaftes Gesicht war wie leblos und vom Weinen gerötet. Ihre Hände, denen man die jahrzehntelange Hausarbeit ansah, hatte sie auf Daniels gelegt, und so trösteten sich die beiden Menschen wortlos in den ersten, stillen Stunden, die dem Tod folgen.
Endlich strich sich Daniel über die brennenden Augen und sagte mit einem tiefen Seufzer: »Ich werde jetzt Robert anrufen.«
»Tu das, Bub«, antwortete Rautende leise. »Er wird schon kommen, der Robert, und dir zur Seite stehen.«
Daniel nickte, aber es wirkte nicht sehr überzeugt. Dankbar trank er den heißen, frischen Kaffee und raffte sich dann zu dem Telefonat auf, von dem er wünschte, er müsste es nicht führen.
Robert Berger war ein erfolgreicher Architekt und lebte seit über zwanzig Jahren im Tessin. Lukrative Aufträge führten in oft ins Ausland, und auch jetzt war er in seinem Tessiner Büro nicht zu erreichen. Robert hielt sich in Neuseeland auf.
Daniel konnte auf die Zeitverschiebung keine Rücksicht nehmen. Als er seinen Bruder erreichte, war der gerade auf einer Cocktailparty mit wichtigen Geschäftspartnern.
»Du erwartest von mir, dass ich um die halbe Welt fliege, um mit dir Abläufe zu besprechen, die du sehr gut allein organisieren kannst?«, fragte Robert