»Noch sind die Ermittlungen nicht abgeschlossen. Vielen Dank, Frau Wering«, sagte Herr Schnipper und legte auf.
»Ingvar«, flüsterte Fabia, als sie aus dem geöffneten Fenster schaute und sah, wie Ingvar in das Taxi stieg, das bereits auf den Hof gefahren war.
»Was ist passiert?«, fragte Sabine, die am Brunnen stand, Wasser in Bastians Sandeimerchen füllte und die Tränen in Fabias Augen sah.
»Er glaubt, dass er mir schadet. Ich konnte es ihm nicht ausreden.«
»Falls Sie reden möchten, ich bin da.«
»Vielleicht komme ich später darauf zurück, danke, Frau Mittner, aber jetzt muss ich ein bisschen allein sein.« Sie schloss das Fenster, setzte sich auf das Sofa, auf dem Ingvar in der Nacht zuvor geschlafen hatte, und schloss die Augen. Irgendetwas musste es doch geben, was sie tun konnten, um Ingvar zu helfen.
*
»Ziemlich viel los hier«, stellte der Taxifahrer fest, als er vor dem Haus anhielt, in dem Ingvar wohnte. Noch immer lauerten einige Reporter dort auf seine Rückkehr. Sie lehnten an ihren Autos und beobachteten den Hauseingang.
»Ich werde ihre Erwartungen nicht erfüllen«, sagte Ingvar. Er bezahlte den Taxifahrer, stieg aus und ging zur Haustür, ohne nach rechts und links zu schauen.
»Herr Wering, wer sind Ihre Komplizen? Sind Sie der Kopf der Bande?«, hörte er die Reporter fragen, die ihm folgten.
Er antwortete nicht und ignorierte die Mikrophone, die sie ihm vor das Gesicht hielten. Er schloss die Haustür auf, hielt seine Verfolger mit der Krücke auf Abstand und warf die Tür hinter sich zu. Vorsichtig, um seinen verletzten Fuß nicht zu stark zu belasten, stieg er die Treppen nach oben.
In seiner Wohnung schloss er alle Fensterläden und stellte die Klingel und die Telefone ab. Danach ging er ins Schlafzimmer und legte sich auf sein Bett. Er wollte nichts mehr hören, nichts mehr sehen. Er wollte einfach nur eine Weile seine Ruhe haben. Dass nun auch Fabia von diesem Verdacht betroffen war, tat ihm unendlich leid.
*
»Geht es Ihnen besser?«, fragte Sabine, als Fabia gegen Abend aus ihrem Appartement kam und zu ihrem Auto ging.
»Ich dachte, ich spreche noch mal mit Doktor Seefeld. Er war auch an der Unfallstelle. Vielleicht ist ihm etwas aufgefallen, was Ingvar weiterhelfen könnte. Ich habe gerade mit Frau Bruckner gesprochen. Sie meinte, ich soll einfach vorbeikommen. Hat Frau Holzer sich denn inzwischen ein bisschen beruhigt?«
»In der halben Stunde, die sie vorhin noch hier war, hat sie das Thema Holzdiebstahl nicht mehr erwähnt. Sie hat nicht einmal reagiert, als Herr Wering den Hof verlassen hat.«
»Ich wünschte, sie würde ihn nicht einfach vorverurteilen.«
»Was das betrifft, da könnte Sebastian auf jeden Fall etwas tun. Er könnte Miriams Verfolgungseifer bremsen. Da er Ingvar auch für unschuldig hält, wird ihm das sicher gelingen.«
»Frau Holzer hat auf mich nicht den Eindruck gemacht, als würde sie sich von jemandem etwas sagen lassen.«
»Das ist auch recht schwer, aber Sebastian und Miriam haben eine ganz spezielle Beziehung. Wenn es jemandem gelingt, sie zu beeinflussen, dann ihm.«
»Sie meinen, ich sollte ihn darauf ansprechen?«
»Erzählen Sie ihm einfach, wie sie Ingvar angegangen ist, dann wird er reagieren.«
»Gut, das mache ich, danke für den Rat.«
»Sehr gern«, sagte Sabine.
»Bis dann, Fabia!«, riefen Senta und Benjamin, die Bastian in einem Leiterwagen durch den Hof zogen.
»Bis dann!«, antwortete Fabia und winkte den Kindern.
Traudel hatte Sebastian Fabias Besuch angekündigt. Er erwartete sie auf der Terrasse. Traudel brachte ihnen beiden einen Cappuccino und ließ sie wieder allein.
»Ich mache mir Sorgen um Ingvar. Er glaubt, dass er schuld daran sei, dass nun auch Gerüchte über mich kursieren. Und vorhin war Frau Holzer auf dem Mittnerhof und hat ihm deutlich erklärt, dass sie ihn für einen der Täter hält«, sagte Fabia und erzählte Sebastian, was inzwischen alles passiert war. »Ich dachte, vielleicht ist Ihnen etwas an der Unfallstelle aufgefallen, was irgendwie weiterhelfen könnte.«
»Ich habe schon einige Male darüber nachgedacht, aber leider ist mir nichts aufgefallen«, bedauerte Sebastian, dass er ihr nicht helfen konnte. »Aber ich werde mit Miriam Holzer sprechen. Sie sollte sich ein bisschen zurückhalten.«
»Frau Mittner meinte vorhin schon, dass Sie das sicher tun würden, wenn Sie von ihrem Angriff hören.«
»Sabine kennt mich eben recht gut«, antwortete Sebastian lächelnd.
»Hallo, zusammen«, sagte Emilia, die mit Nolan von einem Spaziergang zurückkam und über die Wiese vor dem Haus von der Straße heraufkam. »Wo ist denn Herr Wering?«, fragte sie und schaute Fabia an.
»Er will im Moment niemanden sehen.«
»Warum nicht?«
»Weil er meint, dass er mir schadet. Es gibt jetzt auch Gerüchte, dass ich zu der Bande gehöre, und Frau Holzer ist ihn heute auf dem Mittnerhof ziemlich hart angegangen«, klärte Fabia das Mädchen auf.
»Dann sollten wir doch gleich mit ihr darüber reden. Sie steht unten auf der Straße und quatscht mit Anna«, sagte Emilia. »Ich sag ihr, dass du sie sprechen willst, Papa«, erklärte Emilia. Ehe Sebastian etwas erwidern konnte, sauste sie den Hang hinunter und verschwand hinter den Bäumen, die ihnen den Blick auf einen Teil der Straße versperrten.
»Sie kommt gleich wieder«, beruhigte Sebastian Nolan, der Emilia aufgeregt nachschaute, sich aber nicht entschließen konnte, ihr zu folgen.
Mit einem tiefen »Wuff« legte er sich neben Sebastians Stuhl auf den Boden, behielt aber die Straße im Blick.
»Ich wollte nicht Ihre ganze Familie mit meinen Sorgen beschäftigen«, sagte Fabia.
»Es ist in Ordnung, dass Sie hergekommen sind. Emilia ist ohnehin der Meinung, dass die Seefelds mit einem Helfersyndrom, wie sie es nennt, auf die Welt kommen und dass wir deshalb nur glücklich sind, wenn wir anderen Menschen helfen dürfen.«
»Ist es wirklich so?«
»Ja, irgendwie schon«, antwortete Sebastian schmunzelnd.
Gleich darauf kam Emilia über die Wiese zurück zur Terrasse, und Anna schob begleitet von Miriam ihr pinkfarbenes Fahrrad den Weg zum Hof hinauf.
»Emilia meinte, du willst mit mir sprechen«, sagte Miriam, als sie und Anna kurz darauf die Terrasse betraten.
»Setz dich, Miri«, bat er sie.
»Ich sehe mal nach Traudel«, sagte Anna.
»Hast du heute noch Hausbesuche?«, fragte Sebastian.
»Nein, ich werde mich heute nicht mehr aus diesem Haus fortbewegen«, antwortete sie lächelnd und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange, bevor sie in die Küche zu Traudel ging.
Sie würde gern mit Anna tauschen, dachte Fabia, als Miriam zu Boden schaute, so als wollte sie nicht sehen, wie nahe Anna und Sebastian sich standen.
»Du solltest dich mit deinen Anschuldigungen zurückhalten, Miri. Ich bin absolut nicht der Meinung, dass Herr Wering zu den Holzdieben gehört«, sagte Sebastian, als Miriam wieder aufschaute.
»Was macht dich so sicher?«, fragte sie und setzte sich auf den Stuhl neben ihn.
»Ich traue es ihm nicht zu. Davon abgesehen, jemanden ohne Beweise einfach zu beschuldigen, das geht gar nicht, Miri.«
»Es gibt Beweise. Die Filme auf seiner Internetseite.«
»Zeigen sie, wie er das Holz stiehlt?«