»Sollten Sie es sich anders überlegen, sagen Sie mir Bescheid.«
»Danke, Frau Mittner. Ich hoffe, Sie glauben mir, dass ich nichts mit diesen Leuten zu tun habe.«
»Ich verlasse mich in solchen Dingen am liebsten auf mein Gefühl, und das sagt mir, dass Sie zu Unrecht verdächtigt werden.«
»Davon bin ich auch überzeugt. Ich würde es aber trotzdem für das Beste halten, wenn Ingvar sich erst einmal im Hintergrund hält, bis sich die Lage beruhigt hat«, sagte Fabia.
»Ich kann Ihnen unser zweites Appartement zur Verfügung stellen. Es ist erst in der kommenden Woche wieder vermietet«, wandte sich Sabine an Ingvar.
»Ich danke Ihnen, aber vielleicht beruhigt sich die Lage bis heute Abend, und ich kann nach Hause.«
»Dann machen wir es doch so. Sobald es dunkel ist, fahren wir zu dir und sehen nach, was dort los ist. Sollte das Haus noch belagert werden, kommst du mit zu mir und übernachtest auf dem Schlafsofa. Morgen sehen wir dann weiter. Das wäre doch für Sie in Ordnung, Frau Mittner?«, wollte Fabia von Sabine wissen.
»Aber ja, natürlich. Machen Sie es so.«
»Saft haben!«, rief Bastian und schwenkte mit der einen Hand sein Fläschchen, während er mit der anderen an seinem blauen Hütchen zerrte, das unter dem Kinn zugebunden war und ihn offensichtlich störte.
»Entschuldigen Sie mich kurz, ich muss erst einmal etwas Wichtiges erledigen«, sagte Sabine lächelnd, als sie Bastian aus dem Sandkasten hob und an seiner Windel roch.
»Schon in Ordnung, wir gehen zu mir. Ingvar sollte sich ein bisschen hinlegen«, erklärte Fabia, als sie sah, dass Ingvar nicht so richtig wusste, wie er sich hinsetzen sollte, um seine Rippen zu entlasten.
»Alles klar, wenn Sie etwas brauchen, melden Sie sich«, entgegnete Sabine und ging mit Bastian ins Haus.
»Ich habe auch ein paar PC-Spiele dabei. Wir können meinen Computer an den Flachbildschirm in meinem Appartement anschließen. Das Bild ist zwar nicht so groß wie bei dir, aber Spaß könnten wir auch haben«, sagte Fabia.
»Ich bin dabei«, antwortete Ingvar lächelnd.
*
Sie blieben den ganzen Tag in Fabias Appartement, um nicht Gefahr zu laufen, dass doch noch jemand herausfand, wo Ingvar sich aufhielt. Der Postbote, Spaziergänger, Leute aus dem Dorf, die auf einen kurzen Plausch vorbeikamen, Freunde von Markus. Tagsüber war auf dem Mittnerhof immer etwas los.
Zum Mittagessen machten sie sich belegte Sandwiches, und am Nachmittag brachte Sabine ihnen zwei Stück Marmorkuchen und erzählte ihnen von den Gerüchten, die sie von Gunhild Blissing gehört hatte, die auf einen kurzen Besuch auf dem Hof war.
»Offensichtlich hält man Sie inzwischen für den Kopf der Bande«, sagte Sabine. »Einige Zeitungen haben bereits in ihren Online-Ausgaben dieses Märchen verbreitet.«
»Stimmt«, stellte Fabia gleich darauf fest, als sie Ingvars Name in eine Suchmaschine eingab und gleich mehrere Artikel mit der Überschrift ›Der Naturforscher und seine Diebesbande‹, auftauchten.
»Du solltest dir das mit dem Bergmoosbacher Tagblatt doch überlegen«, schlug Fabia vor.
»Ich werde das morgen entscheiden. Vielleicht bin ich morgen schon das Oberhaupt der Holzmafia oder so etwas in der Richtung. Dem kann ich dann auch gleich widersprechen. Obwohl das wahrscheinlich niemand hören will. Der Naturforscher als Holzdieb ist einfach viel zu spannend.«
»Aber es ist nicht wahr.«
»Wen interessiert das schon«, seufzte Ingvar und lehnte sich in dem Sofa zurück.
»Uns«, antworteten Sabine und Fabia gleichzeitig.
»Wir sind auch interessiert!«, riefen Senta und Benjamin, die auf dem Hof Fangen spielten und das Gespräch durch die offen stehende Tür mitangehört hatten.
»Na also, du stehst ganz und gar nicht allein da«, versicherte ihm Fabia, die neben ihm saß, und streichelte ihm tröstend über den Rücken.
»Warten wir ab, wie es ausgeht.«
»Es wird gut ausgehen«, sagte Fabia, was Sabine bestätigte, bevor sie die beiden wieder allein ließ.
Als es dunkel war, fuhren Fabia und Ingvar nach Mainingberg. Auf den ersten Blick sah alles ruhig aus. Erst als sie vor Ingvars Haus anhielten und Ingvar aus dem Auto stieg, flogen plötzlich die Türen mehrerer geparkter Autos auf und Reporter mit gezückten Mikrophonen stiegen aus.
»Das wird nichts«, sagte Ingvar und stieg schnell wieder zu Fabia ins Auto. »Fahren wir, bevor sie noch auf die Idee kommen, uns zu folgen.«
»Sie haben sich wirklich an dir festgebissen«, stellte Fabia fest, während sie das Auto wendete und in die nächste Seitenstraße einbog, um den Reportern, die auch in ihre Autos sprangen, zu entkommen.
»Naturforschung ist positiv besetzt, Holzdiebstahl negativ, beides in einer Person zu vereinigen, bedeutet, dass etwas Unerwartetes passiert ist. Jetzt wollen alle wissen, warum ich etwas getan habe, was niemand von mir erwartet hat.«
»Zu dumm für sie, dass dieses Konstrukt wie eine Seifenblase zerplatzen wird.«
»Hoffentlich, und bitte recht bald. Bieg dort in den Feldweg ein«, bat Ingvar, als Fabia in die nächste Seitenstraße abbiegen wollte, um auf Umwegen nach Bergmoosbach zurück zu fahren.
»Kennst du dich dort aus?«
»Der Weg führt direkt zum Mittnerhof. Als ich hierher gezogen bin, habe ich neben meinen Wanderungen auch einige Fahrradtouren unternommen.«
»Das war eine gute Entscheidung«, sagte Fabia, als ihr klar wurde, dass der hochstehende Weizen auf den Feldern ihnen genügend Schutz bot, um von ihren Verfolgern nicht gesehen zu werden.
Zehn Minuten später waren sie wieder auf dem Mittnerhof.
Da die Kinder um diese Zeit schon schliefen, schlossen sie leise die Autotüren und gingen in Fabias Appartement.
Sie machten sich überbackene Toasts zum Abendessen und sahen sich einen Film an. Danach bezog Fabia Ingvars Bett mit der Bettwäsche, die Sabine am Nachmittag schon gebracht hatte.
»Im Bad liegen eingepackte neue Zahnbürsten. Nimm dir eine. Morgen Abend können wir einen weiteren Versuch starten, ob du dir wenigstens ein paar Sachen aus deiner Wohnung holen kannst.«
»Danke für alles, Fabia.«
»Alles gut, ich husche noch mal kurz ins Bad und gehe dann schlafen. Ich wünsche dir eine gute Nacht.«
»Ich wünsche dir auch eine gute Nacht.« Hoffentlich sieht der Tag morgen besser aus als der heute, dachte er und wunderte sich erneut, wie schnell jemand durch falsche Annahmen unter Verdacht geraten konnte.
*
Ingvar wurde am nächsten Morgen vom Läuten seines Telefons geweckt. Er brauchte einen Moment, bis ihm klar wurde, wo er war. Noch verschlafen angelte er nach dem Handy, das auf dem Sofatisch lag. Auf dem Display leuchtete die Nummer des Umweltunternehmens auf, das seine aktuelle Forschung finanzierte.
»Wering«, meldete er sich.
»Hallo, Herr Wering, Schindel hier«, hörte er den Mann sagen, der für seine Arbeit zuständig war.
»Was kann ich für Sie tun, Herr Schindel?«
»Nun, es ist so. Wissen Sie, also wir haben da etwas gehört«, druckste Herr Schindel herum, weil er ganz offensichtlich keine guten Nachrichten zu verkünden hatte. »Wir glauben natürlich nicht, dass Sie etwas mit diesen Holzdiebstählen zu tun haben.«
»Was ich auch nicht habe.«
»Ja, natürlich nicht.