»Nein, nicht doch, ganz und gar nicht. Dummerweise hat die Presse aber herausgefunden, dass Sie von uns bezahlt werden. Wir können es uns nicht leisten, in Verbindung mit so einer Sache gebracht zu werden. Wir leben von Spenden, und die würden natürlich sofort versiegen, sollte nur der Hauch des Verdachtes an uns hängenbleiben, dass wir uns mit den falschen Leuten abgeben.«
»Sie wollen die Zusammenarbeit mit mir beenden?«
»So leid es mir persönlich tut, aber wir haben keine Wahl.«
»Dann ist es eben so«, sagte Ingvar und beendete das Gespräch. Ihm war klar, dass jedes weitere Wort vergeblich gewesen wäre. Er würde Herrn Schindel nicht umstimmen. Solange die Polizei ihn verdächtigte, war er für das Unternehmen nicht mehr tragbar.
Ein paar Minuten später schob Fabia vorsichtig die Tür auf, um nachzusehen, ob er schon wach war und sie das Frühstück machen konnte.
»Was ist los?«, fragte sie erschrocken, als er mit der Bettdecke bis zum Kinn hochgezogen auf dem Sofa saß und ins Leere starrte.
»Mir wurde gerade gekündigt, weil ich den Namen meiner Auftraggeber beschmutze«, sagte er, ohne sie anzusehen.
»Sind die verrückt? Warum tun sie so etwas?«
»Weil sie nicht anders können.«
»Ingvar, das tut mir so leid«, sagte sie und setzte sich zu ihm.
»Jetzt wird das, was dieser Kommissar angenommen hat, Wirklichkeit. Ich gerate tatsächlich in finanzielle Schwierigkeiten, weil ich erst einmal keine Einnahmen haben werde.«
»Du findest einen neuen Auftrag.«
»Wohl kaum, solange dieser Verdacht nicht ausgeräumt ist. Das war es mit mir. Selbst wenn Sie mich nicht verurteilen, solange sie die wahren Schuldigen nicht finden, wird niemand mehr mit mir arbeiten wollen.«
»Es wird sich aufklären, Ingvar«, sagte sie leise, als sie die Verzweiflung in seinen Augen sah. »Weißt du was, wir ziehen uns an und machen einen Ausflug.«
»Nicht mal dazu tauge ich im Moment«, sagte er und schaute auf die Krücke, die auf dem Boden neben dem Sofa lag.
»Ein Ausflug bedeutet nicht, dass wir wandern gehen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ein Problem draußen unter freiem Himmel meistens an Gewicht verliert. So wie ein Goldfisch, der in einem Glas eingesperrt ist, viel Raum einnimmt und relativ groß wirkt, entlässt man ihn aber in einen See, wird er zu einer Winzigkeit im Universum.«
»Mein Problem wird sich aber nicht auflösen. Es sei denn, ich beschließe, wie ein Goldfisch im See zu leben.«
»Im Sommer wäre das durchaus möglich.«
»Im Winter wandere ich in den Süden.«
»Diese Lebensweise könnte dir interessante Sichtweisen auf die Natur eröffnen.«
»Möglich, vielleicht begegnet mir sogar eine Meerjungfrau, die mich für unschuldig hält.«
»Du brauchst keine Meerjungfrau, ich halte dich auch für unschuldig.«
»Du hast also keine Bedenken, dich mit mir zu zeigen?«
»Nein, die habe ich nicht. Und deshalb gehen wir jetzt auch nach draußen. Ich habe neulich ein wirklich hübsches Plätzchen entdeckt.«
»Also gut, machen wir einen Ausflug«, erklärte sich Ingvar einverstanden.
Eine halbe Stunde später stiegen sie mit den Sandwiches, die Fabia belegt hatte, und einer Thermoskanne Kaffee in ihr Auto und verließen den Mittnerhof. Zuerst fuhren sie durch Bergmoosbach, vorbei an dem historischen Marktplatz mit seinem glänzendem Kopfsteinpflaster und den hübsch restaurierten Häusern mit ihren Lüftlmalereien. Danach verließen sie das Dorf, fuhren ein Stück die Landstraße in Richtung München, bis Fabia in einen Weg einbog, der einen Berg hinaufführte. Nach einigen Serpentinen hatten sie den Wald hinter sich gelassen und gelangten an ein Hochplateau mit einem kleinen See.
»Wir sind da«, sagte sie und stellte den Wagen ab.
»Und jetzt? Doch eine Wanderung?«, fragte Ingvar.
»Aber nein, wir setzen uns an den See, lassen unsere Füße ins Wasser hängen und vergessen alles, was uns Sorgen macht.«
»Hast du vor, mich mit Autosuggestion zu beruhigen?«
»Wenn du es zulässt, könnte ich das tun.«
»Mal sehen, ob ich es schaffe, mich darauf einzulassen.« Das Misstrauen seiner Auftraggeber hatte ihn tief verletzt, und er war Fabia dankbar, dass sie sich so viel Mühe gab, ihn aufzumuntern. Er fragte sich, wie lange sie wohl noch zu ihm halten würde, wenn sich die Sache nicht restlos aufklärte.
Es dauerte eine Weile, bis er es auf seine Krücke gestützt ans Ufer des Gebirgssees geschafft hatte. Als er sich dann neben Fabia ans Ufer setzte, genau wie sie seine Schuhe auszog und die nackten Füße in das türkisfarbene Wasser hängte, empfand er es als Erfolgserlebnis, den Weg geschafft zu haben.
»Lass die trüben Gedanken einfach los«, sagte sie. »Du kannst deine Probleme im Moment nicht lösen, du musst dich nicht mit ihnen beschäftigen. Hier oben können sie dir nichts anhaben.«
Sie hatte recht, hier oben waren seine Probleme weit fort. Es war das gleiche Gefühl, das er empfand, wenn er in einem Flugzeug saß und es nach dem Start immer höher stieg. Die Sorgen blieben einfach auf dem Boden zurück. Die Berggipfel, die Hochwiese mit dem See, der strahlend blaue Himmel und die Bäume, die ihnen den Blick ins Tal an dieser Stelle versperrten, das war genau der richtige Ort, um sich eine Weile zu entspannen.
»Wieso tust du das alles für mich?«, fragte er Fabia und wandte sich ihr zu.
»Weil es sich richtig anfühlt.«
»Tust du es aus Mitleid?«
»Du brauchst kein Mitleid.«
»Nein?«
»Nein, du brauchst im Moment nur ein wenig Trost.«
»Dann tröste mich«, sagte er und sah in ihre Augen.
»Jetzt machst du mich verlegen«, entgegnete sie leise.
»Das war nicht meine Absicht.«
»Wie geht es weiter?«, fragte sie, als er seinen Arm um ihre Schultern legte.
»Leider habe ich keine Ahnung, wo ich in ein paar Wochen sein werde, was mit mir passieren wird, aber in diesem Moment möchte ich das, was ich für dich empfinde, einfach zulassen«, sagte er und dann küsste er sie.
»Du hast recht, lass uns den Augenblick leben, Ingvar. Es gibt nur uns und den Himmel über uns«, sagte sie, als sie sich wieder voneinander lösten. Sie schaute auf die Wasseroberfläche, betrachtete ihre Spiegelbilder umrahmt vom Blau des Himmels.
»Ich wünsche mir noch viele Augenblicke wie diese mit dir. Eine Ewigkeit voller Augenblicke.«
»Das wünsche ich mir auch«, antwortete sie und lehnte sich an seine Brust.
In diesem Moment fühlte sie sich unendlich geborgen und vollkommen glücklich.
*
Als sie am späten Nachmittag auf den Mittnerhof zurückkamen, war Miriam da. Sie und Sabine saßen bei einem Glas Orangensaft am Tisch auf der Wiese.
Miriam hatte Bastian auf dem Schoss, der mit den bunten Bausteinen spielte, die vor ihm auf dem Tisch lagen.
»Auf Sie habe ich gewartet«, wandte sich Miriam an Ingvar, als er aus dem Auto stieg. Sie stand auf, setzte Bastian auf Sabines Schoss, strich den Rock ihres brombeerfarbenen kurzärmligen Kleides glatt und ging auf ihn zu. »Wem haben Sie und Ihre Mittäter das Holz verkauft, das sie in unseren Wäldern gestohlen haben?«, wollte sie wissen.
»Miriam, was soll das? Du hast gesagt, du wolltest ihn nur fragen, ob er etwas gesehen