»Nolan, alles gut«, sagte Traudel, die aus dem Haus kam und dem Hund beruhigend über den Kopf streichelte.
»Sollte er nicht angeleint sein? Immerhin haben Sie hier regen Publikumsverkehr«, äußerte Kommissar Brenner seinen Missmut über den Hund.
»Er tut dem Publikum nichts, er lässt nur keine Fremden auf unser Grundstück, was auch die Aufgabe eines Familienhundes ist«, entgegnete Traudel selbstbewusst.
»Und wer sind Sie?«
»Traudel Bruckner, ich wohne hier. Und wer sind Sie?«
»Kommissar Brenner von der Soko-Holzdiebstahl aus Garmisch«, stellte sich der Kommissar vor und sah die rundliche Frau in dem moosgrünen Dirndl aufmerksam an.
»Soko-Holzdiebstahl, das ist interessant«, stellte Therese Kornhuber fest, die unbemerkt von Sebastian ins Sprechzimmer gekommen war und sich neben ihm aus dem Fenster lehnte.
»Was kann ich für Sie tun, Frau Kornhuber?«, fragte Sebastian und drängte sie sanft zur Seite, damit er das Fenster schließen konnte.
*
Die Terrasse vor der Küche war mit dunkelgrauen Natursteinen gepflastert und von bunt blühenden Blumenbeeten und duftendem Sommerflieder umgeben. Die beiden Beamten saßen mit Ingvar und Fabia an dem runden Tisch. Herr Schnipper hatte seinen Laptop aufgeklappt, um sich Notizen zu machen.
»Warum bin ich verdächtig?«, fragte Ingvar, als Kommissar Brenner ihn eine Weile schweigend musterte.
»Wir gehen davon aus, dass Sie mit den Holzdieben zusammen arbeiten, die seit Wochen ihr Unwesen im Allgäu treiben«, sagte der Kommissar.
»Wie bitte kommen Sie darauf?« Ingvar konnte nicht fassen, was der Mann ihm da unterstellte.
»Wir haben uns Ihre Internetseite angesehen und konnten feststellen, dass Sie sich stets kurz vor einem der erfolgreichen Diebstähle in dem entsprechenden Gebiet aufgehalten haben.«
»Zufall.«
»Wir hatten bisher insgesamt 23 Diebstähle, und Sie waren stets zwei Tage zuvor an jedem dieser Orte. Das ist kein Zufall, Herr Wering.«
»Ich habe aber nichts mit diesen Diebstählen zu tun«, verteidigte sich Ingvar.
»Für frisch geschlagenes Holz werden zur Zeit ordentliche Preise bezahlt. Und Sie können Geld gerade dringend gebrauchen. Habe ich recht?«
»Wie kommen Sie darauf?« Ingvar spürte, wie seine Hände feucht wurden. Irgendetwas Furchtbares braute sich gerade um ihn herum zusammen.
»Wir haben Ihre Konten überprüft. Dazu sind wir bei einem begründeten Verdacht berechtigt. Ihre beiden Girokonten sind überzogen und Sie haben Ihre Sparverträge gekündigt. Sie stehen finanziell schwer unter Druck, junger Mann«, behauptete Kommissar Brenner und beobachtete Ingvar.
»Die Konten sind bald wieder ausgeglichen. Ich habe einen langfristigen Forschungsauftrag angenommen.«
»Das behaupten Sie. Es ist doch offensichtlich, dass Sie große Ausgaben haben. Haben Sie Ihr Geld verspielt? Leisten Sie sich Luxusreisen oder dicke Autos? Sie haben den größten Teil des Geldes bar abgehoben, was bedeutet, dass Sie darauf bedacht waren, dass niemand den Geldfluss verfolgen kann.«
»Das ist eine Unterstellung. Sie wissen gar nichts.«
»Dann klären Sie mich auf.«
»Nein, das werde ich nicht tun.«
»Verstehe. Verdächtiger verweigert die Auskunft, haben Sie das, Schnipper?«
»Ja, Chef«, sagte Herr Schnipper und schob seine Brille wieder hoch, die ihm auf die Nasenspitze gerutscht war.
»Werden Sie mich jetzt verhaften?«, fragte Ingvar und sah Kommissar Brenner an.
»Noch nicht, aber bei dieser Beweiskette wird es nicht mehr lange dauern, bis wir Sie der Mittäterschaft überführen.«
»Und Sie haben den Verdächtigen nach dem sogenannten Unfall gefunden?«, wandte sich der Kommissar an Fabia.
»Was heißt sogenannter Unfall? Er wurde von einem Baumstamm getroffen, und der Unfallverursacher hat ihn einfach zurückgelassen. Er hätte dort draußen sein Leben verlieren können.« Fabia hatte das Gefühl, Ingvar verteidigen zu müssen.
»Halten Sie sich bitte an die Fakten, Frau Regner. Haben Sie den Unfall gesehen? Haben Sie den Mann gesehen, der den Verdächtigen zurückgelassen hat?«, hakte Kommissar Brenner nach.
»Nein, das habe ich nicht. Ich habe Herrn Werings Hilferufe gehört. Der Baumstamm lag auf ihm, er konnte sich nicht selbst befreien und mir ist es auch nicht gelungen. Ich habe dann Doktor Seefeld angerufen.«
»Warum nicht die Feuerwehr, um den Mann zu befreien?«
»Weil Herr Wering plötzlich keine Luft bekam und dringend medizinische Hilfe brauchte.«
»Wenn Sie davon ausgehen, dass ich mit diesen Dieben zusammenarbeite, warum hätten sie mich dann dort zurücklassen sollen?«, wollte Ingvar von Kommissar Brenner wissen.
»Vielleicht waren Sie zu anspruchsvoll in Bezug auf Ihre Beteiligung, und sie wollten Ihnen eine Lehre erteilen. Solche Dinge passieren ständig.«
»Ich sagen Ihnen noch einmal, ich habe mit diesen Diebstählen nichts zu tun.«
»Nun gut, dann lassen wir das alles erst einmal so stehen. Wir melden uns wieder. Seien Sie versichert, wir werden herausfinden, wie tief Sie in diesem Sumpf stecken«, wandte der Kommissar sich an Ingvar.
»Auf Wiedersehen, entschuldigen Sie die Störung«, sagte Herr Schnipper, klappte seinen Laptop zu und folgte dem Kommissar.
»Schnipper, Sie machen mich noch wahnsinnig. Wieso entschuldigen Sie sich bei den Leuten? Das war keine Störung, das war ein notwendiges Verhör«, herrschte Kommissar Brenner seinen Assistenten an, als sie in ihr Auto stiegen, das sie im Hof geparkt hatten.
»Ja, schon, aber trotzdem kann man sich doch höflich verabschieden.«
»Sie verwechseln Höflichkeit mit Freundlichkeit. Wir sind nicht freundlich, wir sind bestimmt.«
»Ja, Chef«, sagte Herr Schnipper und schloss die Beifahrertür.
»Die sind von der Kripo in Garmisch, von der Soko-Holzdiebstahl. Die haben den jungen Mann gesucht, der den Unfall im Bergmoosbacher Forst hatte«, erzählte Therese Kornhuber, die mit Gunhild Blissing, der Kassenwartin des Landfrauenvereins, auf der Bank unter der Ulme saß.
»Geh, dann denken sie wohl, er hat was damit zu tun?«, fragte Gunhild.
»So wie sie ihn angegangen sind, ist das wohl so«, mutmaßte Therese.
»Ob die im Dorf schon wissen, dass sie einen Verdächtigen haben, der mit dem Holzdiebstahl in unserem Forst was zu tun hat?«
»Finden wir es heraus. Ich muss eh in die Apotheke, ein Medikament gegen meine Gastritis holen.«
»Ich muss auch in die Apotheke, eine Salbe für meinen Herzallerliebsten holen. Er leidet mal wieder an Rückenschmerzen«, sagte Gunhild.
»Also dann, hören wir uns um. Vielleicht weiß noch jemand was, was dazu beiträgt, den Mann schneller zu überführen.«
»Gehen wir.« Gunhild hakte sich bei Therese unter und dann marschierten sie mit wehenden Dirndlröcken zur Straße hinunter.
*
»Ich habe einen Tee gemacht, der wird uns alle ein bissel beruhigen«, sagte Traudel, die zusammen mit Nolan in der Küche gewartet hatte, bis die Beamten aus Garmisch wieder gegangen waren. Sie stellte eine Kanne Tee, drei Tassen und einen Teller mit Keksen auf den Tisch.
»Wuff«, machte Nolan, hockte sich neben Ingvars Stuhl und sah ihn mit seinen dunklen Knopfaugen an.