Tyra, die Märcheninsel. Karl Friedrich Kurz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl Friedrich Kurz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711518403
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blumige Gras, das ihr bis zu den Knien reicht.

      Hjördis — Gottvater! Wie ist ihr Nacken doch schon voll und süß … Hjördis — sie gleitet über die Blumenwiese wie ein Frühlingslied, wie eine lichte Frühlingswolke, die alles mögliche, sowohl Sturm wie Glückseligkeit, bergen kann …

      Ein verwirrter Häuslerbub steht außerhalb des hohen Steinwalls. Er hat in ein grelles Licht geschaut. Nun steht er geblendet da und mit hängenden Armen.

      Dabei hat er auch seines Herzens Geheimnis preisgegeben; ein Geheimnis, um das sich die unruhigen Träume von hundert Nächten rankten.

      Als Monrad zum erstenmal den Lehrer Klagg auf seiner Fiedel spielen hörte, sprang etwas auf in seinem verwunderlich heißen Knabenherzen. Es gab eine Wunde, aus der Sehnsucht floß — ein Strom von Sehnsucht. Ein blutiger Schrei. Jäh bekam dieses kleine unscheinbare Leben einen Sinn und ein hohes Ziel. Es bekam Wert und Inhalt. Es füllte sich mit Wünschen und drängte hinaus ins Grenzenlose. Ein simpler Häuslerbub konnte nicht anders und mußte erschauern und beben und schwingen und tönen. Er konnte nicht anders, weil er vielleicht selber nichts war als eine Saite — ein sehr zartes und zerbrechliches Instrument, das da unscheinbar in einem verborgenen Winkel lag und nur darauf wartete, bis die kundige Hand kam, bis der Augenblick kam, der es wachrief.

      Etwas völlig Unerklärliches geschah mit Monrad Thorgeirsen. Und er wußte nicht, was mit ihm geschehen war … Aber so mußte dieses unwissende Kind eine Fiedel bauen. So groß war das Verlangen, daß es den ungeübten Händen unglaubliche Kunstfertigkeit und unglaubliche Geduld verlieh.

      Die Fiedel ist fertig. Das Dach, der Boden, der Hals — in mühseliger Arbeit gesägt, geschnitzt, geschabt — mit Thorgeirs großem Fischmesser geschabt. Es bleibt nur noch übrig, die Teile zusammenzufügen …

      Da hatte also Hjördis die Brauen schon sehr hoch gewölbt und gefragt: „Wozu, Knabe, brauchst du eine Fiedel?“

      Das werden sie wohl nun alle fragen, so viele ihrer sind an diesem Strande und die Zunge rühren können.

      In den seligen Träumen von hundert Nächten zuckte und jubelte ein Knabenherz. Dann wurde es zu kalter Wirklichkeit zurückgerufen, eine kleine, braune Hand griff danach und umklammerte es. Gottvater — es war Hjördis selber, um derentwillen wohl die Fiedel gebaut wurde …

      Der Häuslerbub von Tyremoen dreht sich am hohen Steinwall um. Ganz langsam und hölzern dreht er sich, von oben her, als werde er gewendet, zuerst der Kopf, dann die Schultern … Er geht wieder den Weg zurück durchs lichtflimmernde Tal. Eilig geht er.

      Er muß wohl etwas vergessen haben, dort oben bei den Felsen von Nova. Bald hat er es gefunden — eine trockene Bergdistel, die bei einer kleinen Vertiefung im Moos liegt. Diese Vertiefung hat wahrscheinlich ein Märchenkind zurückgelassen. Ein kleines Nest. Nun legt sich der Häuslerbub hinein …

      Der Himmel ist immer noch blau und blank. Denn es ist Frühling auf der Märcheninsel, die wunderbare Zeit der hellen Nächte. Das Tal rauscht vom Flügelschlag seliger Vogelscharen, die eine uralte Sehnsucht übers weite Meer herauftrieb …

      Der Knabe dort unter den Felsen von Nova schlottert vor Kälte. Sein Herz ist in Eis gebettet. Er wimmert leise. Das alles ist wahrlich nicht zum Verwundern. Seine Wange ruht auf einem Kissen von Distelzweigen.

      Die fiedel

      Auch auf Tyra, der Märcheninsel, gibt es Schicksal.

      Die Menschen ziehen ihre Kreise durch Stille und Einsamkeit. Wellenringe fließen durcheinander. Manchmal strahlt der Himmel und ist zum Bersten voll von milder Verheißung und Tiefe. Manchmal ziehen Wolken über den dunklen Horizont herauf und blasen aus vollen Backen und zeigen sich feindlich gesinnt allem Leben und bekunden nichts als Verachtung für das Werk von Menschenhänden. Und wenn Sturm und Mond zusammen helfen, kann die Flut des Meeres hochsteigen. Sie schnellt heran mit weißen Zähnen. Wenn sie irgendwo ein vergessenes Boot am Strande trifft, stürzt sie sich gleich darauf und zerbeißt und zerhackt es.

      Der Hofbauer Finn kommt den kleinen Weg heraufgeschritten, in guter Laune, in ganz ausgezeichnetem Humor. Er trifft seinen Nachbar Jon.

      „Bittrer Tod!“ sagt Jon, „wie du nur heute daherkommst, Finn! Und wie du die Rauchwolken um deinen Kopf herumblasen kannst — der reine Königsrauch …“

      Finn tut geheimnisvoll, blinzelt übers Meer hinaus, das nicht übel schäumt und zischt.

      „Es ist ja völlig toll geworden über Nacht“, sagt Jon. „Wer hätte das gestern denken können.“

      Der Hofbauer Finn schmunzelt wie einer, der etwas weiß und stapft zum Haus empor. Auf der Steintreppe steht der Lehrer Klagg und betrachtet sich ebenfalls dieses rein unvernünftige Wutwetter. Nun kann Finn seine Freude nicht länger zurückhalten.

      „Jawohl, guter Lehrer“, prahlt er, „gestern hat ein Mann glatt seine fünfzig Kronen verdient …“

      Der Lehrer hebt vor Staunen die Brauen.

      „Oder, was meinst du?“ fragt Finn. „Wenn ich nämlich mein Boot gestern abend nicht höher hinaufgezogen hätte, könnte ich heute die Späne in einem Korb sammeln.“

      Sicherlich — man kann auf ganz verschiedene Art Geld verdienen und Glück haben. Der eine muß dem Glück nachjagen, dem andern kommt es mehrere Schritte entgegen. Vielen wird es sogar im Schlafe geschenkt.

      Monrad aber, der Häuslerbub, erscheint in der Schule mit einem verbundenen Kopf. Man kann deutlich hinter dem Wolltuch erkennen, wie dick geschwollen seine Wange ist.

      „Was soll das bedeuten?“ fragt Lehrer Klagg.

      Es sei nichts, sagt Monrad; es sei nur der Zahn.

      Als es ans Schreiben geht, kann Hjördis keine Feder halten.

      „Was soll denn das bedeuten?“ fragt der Lehrer. Sein von unendlichem Lächeln zerknittertes Gesicht zieht sich in die Länge, und sein Mund wird sehr klein.

      Es soll nichts weiter bedeuten. Hjördis hat nur geschwollene Hände mit braunroten Flecken darin. Hjördis fiel doch gestern im Stortal, und sie fiel wahrhaftig auf eine Distel.

      Der Lehrer sieht sich diese Hände an. Dann mischt er eine gute Salbe von Katzenfett und Hundefett und Holzteer.

      Hjördis sitzt nun mit verbundenen Händen da. Sie kann nicht schreiben. Aber sie kann sehr gut dasitzen und den Häuslerbub Monrad betrachten. Und sie kann sich ihre Gedanken machen. Sie wundert sich darüber, warum Monrad ihr heute gar nicht in die Augen zu schauen wagt und warum er zurückweicht, wenn ihr Fuß ihn unter dem großen Tische sucht.

      Hjördis sitzt wahrlich mit den reinen Kummerfurchen auf der Stirn da. Das Leben beginnt auch dieser kleinen verwöhnten Prinzessin einige Rätsel aufzugeben. Mit einem Male schaut sie den Lehrer Klagg an und sagt: „Es ist wahr — Monrad hat eine Fiedel gebaut …“

      Hjördis weiß vielleicht im Augenblicke selber nicht, was sie da sagt und warum sie es sagt. Sie kann doch gar nicht wissen, daß sie damit ein Vertrauen bricht und schnöde ein Geheimnis preisgibt. Aber jetzt ist es heraus, und die Kinder lachen.

      „Was, in aller Welt?“ fragt Lehrer Klagg.

      Jawohl, eine Fiedel.

      „Hol gleich das Zeug einmal her!“ befiehlt der Lehrer.

      „Sie ist noch nicht fertig …“ wehrt Monrad sich verängstet. Ganz verzweifelt und vernichtet von dem jähen Überfall.

      „Hol sie, sag’ ich!“ befiehlt der Lehrer.

      Und da bekommt man also dieses Instrument zu sehen. Dach, Boden, Hals — die ziemlich rohen Teile einer Geige.

      „Hast du je so etwas erlebt!“ ruft der Lehrer und hält die Teile zusammen. „Junge, das hast du wahrlich nicht übel gemacht … Nein, da schau nur einer her …“

      Nun dachte sich vielleicht diese kapriziöse Prinzessin Hjördis von Tyremoen nichts weiter