Tyra, die Märcheninsel. Karl Friedrich Kurz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl Friedrich Kurz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711518403
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Bogen aus seinem schwarzen Geigenkasten. Und er holt vier neue Saiten. Und auf diese Art und Weise mußte es natürlich schon gehen. Es geht jetzt sozusagen im Sturm.

      Auf einmal erklingt in der Kätnerhütte der erste Ton. Karen, die Witwe, hat hiermit Grund und Ursache genug, zu staunen und die Hände über ihrem Kopfe zusammenzuschlagen. Sie muß nun zwischen Stolz, Freude und Schreck laut herausrufen: „Nein, aber Lehrer Klagg! Wo denken Sie nur hin? … Nein, nein — dieses ist viel zuviel … Was tun Sie? Und was soll denn der Bub mit einem solchen Spielinstrument? Nein — Gott segne Sie für Ihr gutes Herz …“

      Oh, diese Karen ist so aufgerüttelt in ihrer einfältigen Seele und vollständig wirr im Kopfe. Sie mengt alle Worte und Gefühle hoffnungslos durcheinander und weiß gar nicht, wie sie ihre Dankbarkeit und Unterwürfigkeit bekunden soll.

      Eigentlich ist alles, was Karen sagt, doch nur leeres Geschwätz, auf das in dieser Stube niemand hört. Denn es sitzt nun der alte Lehrer auf dem Bett, und Monrad legt seine Fiedel unters Kinn. Monrad streicht mit dem Bogen zum ersten Male über die Saiten. Hier steht Monrad und spielt. Er spielt und läßt seine Knabenseele erklingen.

      Er hat nicht die Augen geschlossen. Er hält die Augen so weit offen, als starre er in eine tiefe Nachtfinsternis. Er muß wohl einen Himmel mit vielen großen Sternen sehen …

      Weil Karen mit ihrem Gerede nicht Ruhe geben will, hebt der Lehrer die Hand und winkt und gebietet ihr, zu schweigen.

      „Schau doch nur sein Gesicht an, gute Mutter Karen! Schau dir doch nur diese Augen an! — Seine Seele ist fern …“ flüstert der Lehrer Klagg.

      Darin mag der alte komische Mann recht haben.

      Monrad beugt den Kopf vor, sein Körper schwankt und flattert leise wie ein Baum im Sturmwind. Über ihm liegt etwas Fremdes und Fernes, etwas so völlig Neues und Unbegreifliches, daß Karen erschrickt und ängstlich die Stube verläßt.

      Es sind ja ganz gewiß verwunderliche Töne, die hier erklingen unter unkundigen Fingern. Das gleicht einem wilden Wirbel von Lauten, der brausend aus tiefer Quelle aufklingt. Monrad, der Knabe, wühlt entrückt in Geräuschen. Es ist ein Sturzbach von Stimmen, ein wirres Toben, ein Orkan.

      Auch den Lehrer packt ob solchem Ausbruch Bestürzung und eine seltsame Bangigkeit. Er starrt verwirrt auf dieses Häuslerkind, das da von einer unerhörten Gewalt erfaßt worden und nun in gott- und weltvergessener Einsamkeit steht. Monrad gibt sich dem Wunder völlig hin, wie nur ein Kind sich hingeben kann.

      Der Lehrer hat nun wohl begriffen, daß hier etwas Ungewöhnliches geschieht.

      Der Lehrer mag sich das eigentlich anders und ungefähr so vorgestellt haben, daß er diesem Knaben das Instrument erklären wird, wie es ihm einmal erklärt wurde, daß er ihm die ersten Griffe zeigen wird, wie man sie ihm gezeigt hat. Aber nein, hier gibt es zu dieser Stunde durchaus nichts zu unterrichten. Der Lehrer verliert sogleich jede Führung und Überlegenheit vor der Naturgewalt, die da vor seinen Augen so ungestüm losbricht. Diesen Sturm muß er vorüberbrausen lassen. Zögernd verläßt auch der Lehrer Klagg die Stube.

      Der Lehrer geht über die Wiese zum Strande hinunter, die Hände auf dem Rücken und den Kopf schwer von Unbegreiflichkeit und ernsten Gedanken.

      Monrad spielt indessen.

      Karen kommt wieder zurück und macht Feuer im Ofen. In irgendeiner Weise glaubt sie, es sei Festtag, und sie kocht Wasser und mahlt wahrhaftig ein paar Kaffeebohnen. Monrad spielt weiter.

      Der Himmel verliert allmählich seine Farbe. Am Fenster steht schon die weiße Frühlingsnacht. Monrad spielt immer noch. Karen muß ihm in den Arm fallen.

      „Aber jetzt, Bub!“ ruft Karen. „Gott bewahre meine arme Seele — hör endlich auf!“

      Ja, Karen muß ihm Geige und Bogen aus der Hand nehmen. Sie muß ihn auf den Schemel hinter dem Tische niederdrücken. Sie muß ihm immer wieder zurufen: „Iß, Bub! So iß doch — sieh, ich habe Kaffee gekocht. Und ich habe Waffeln gebacken … Du bist ja völlig krank — nein, Gott tröste mich!“

      Unter all diesem Gerufe und halbem Schelten kommt Monrad wieder zu sich selber zurück und greift mit erstauntem Lächeln und seufzend nach der Tasse. Ganz gewiß kehrt er von weither zurück. Er wird allmählich wieder zum stillen, blassen Häuslerbuben auf Tyremoen.

      Ein naturgenie

      Am folgenden Morgen geht Monrad in die Schule wie alle Tage, und es ist kein Unterschied zwischen ihm und den andern Kindern, höchstens daß sein Kittel vielleicht ein wenig älter und mehr geflickt ist. Der Lehrer Klagg macht aber immer noch großes Wesen mit dem elenden Häuslerbub. Das hätte der gute alte Mann durchaus nicht tun sollen; denn es gereichte allen beiden nur zum Schaden.

      Die Leute blickten diesen Monrad nun an. Was war eigentlich an ihm? Nichts. Er war nicht klüger, er war wohl auch nicht dümmer als andere. Er war schläfrig und ging herum und träumte mit offenen Augen …

      Jetzt zum Beispiel sitzt er da und starrt übers Meer hinaus; und er erschrickt heftig, wenn der Lehrer Klagg ihn anruft. Was soll vielleicht Großes dabei sein?

      „Wo hast du deine Gedanken, Knabe?“ muß nun der Lehrer Klagg schon wieder in einfältiger Neugier fragen. „Wo warst du eben?“

      „Ich?“ fragt Monrad verwundert und schämt sich.

      Alles rein zum Lachen. Es ist nichts Besonderes an ihm. Nur diese Fiedel …

      Die Leute von Tyremoen wundern sich immer mehr über den Lehrer und ärgern sich immer mehr über den Häuslerbub.

      Eine Fiedel? Haha, Was weiter? Ein paar Brettlein, ein paar Späne, ein paar Drähte darüber — hol’s der Teufel! Ist denn das vielleicht schon ein Grund, die Hände auf den Rücken zu legen und in tiefen Gedanken am Meeresstrande hin und her zu laufen?

      „Daß mir altem, unwürdigem Manne solches beschieden sein sollte!“ sagte der Lehrer in seiner unverbesserlichen Schwärmerei. Und er macht hundert Schritte, hebt den Kopf und ruft: „Wie bleibt doch das Leben unbegreiflich und wunderbar!“ Und er macht abermals hundert Schritte und fragt: „War denn der Fischer Thorgeir eine Künstlernatur? Der Fischer Thorgeir? Er hat in seinem Leben keine Saite berührt … Oder ist vielleicht Karen, die stille Witwe, heimlicherweise gottbegnadet? Ach, diese niedrige Frau! … Der Knabe aber ist ein Naturgenie!“ ruft der Lehrer laut.

      Das alles sagt und fragt und ruft Lehrer Klagg. Es sind erst wenige Tage verstrichen. Monrad lernte die ersten Griffe … Er lernte sie auf eine ganz besondere Weise.

      „Alles das, was wir anderen in jahrelanger Geduld erkämpfen müssen, das wird diesem Knaben geschenkt! Es ist ihm alles mitgegeben. Es liegt schon in ihm …“

      Ach, der alte Lehrer fällt schon fast auseinander vor Unbegreiflichkeit.

      Ove Höigaard geht in seinen kolossalen Seestiefeln herum und spuckt verächtlich braunen Tabaksaft aus. „Eine Fiedel?“ fragt auch er. Er fragt die Prinzessin. „Du kannst dich darauf verlassen, noch vor Weihnachten wird derjenige, der hier leiblich vor dir steht, auch eine Fiedel besitzen. Er wird sich — beim Hunde — eine Fiedel in schwarzem Kasten mit Handgriff und Schloß und Schlüssel und allem kaufen! Und dazu wird er gleich drei Bogen kaufen und soviel Saiten, als du nur an allen deinen Fingern zählen kannst …“

      Ja, und das ist also Ove.

      „Aber“, wendet Hjördis ein, „damit ist dann noch lange nicht abgemacht, daß du auch darauf spielen kannst …“

      „Ho — spielen? Hol mich der Teufel, Menschenskind! Warum und weshalb, frage ich, sollte derjenige, der sich eine echte, teuere und lackierte Fiedel mit zehn Strängen kaufen kann, nicht ebenso gut darauf spielen können wie ein erbärmlicher Häuslerknabe?“

      Hjördis ist immer noch zurückhaltend und läßt sich nicht mit ein paar Worten überzeugen. Sie schweigt und betrachtet den Himmel hinter Ove.

      „Glaubst du es vielleicht noch nicht?“ fragt Ove über eine hohe Schulter