Tyra, die Märcheninsel. Karl Friedrich Kurz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl Friedrich Kurz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711518403
Скачать книгу

      Tyra, die Märcheninsel

      Karl Friedrich Kurz

      45.-49. Tausend

      Tyra, die Märcheninsel

      © 1935 Karl Friedrich Kurz

      Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

      All rights reserved

      ISBN: 9788711518403

      1. Ebook-Auflage, 2016

      Format: EPUB 3.0

      SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

      Die birkenrute

      Der Hofbauer Finn Moen hat sein altes Boot auf die Felsen gezogen und umgekehrt. Es ist eine gesegnete Wärme in der Luft; ein hoher Himmel. Vom Meer herein fächelt eine leichte Brise — der weiche freundliche Windhauch, den man Havgul nennt und der seit undenklichen Zeiten ein sicheres Zeichen für ständiges Wetter gewesen. Und da liegt nun das Boot mit seinen langen Planken — nicht anders als ein großer toter Fisch.

      Der Felsen ist glatt und rein wie ein Teller. Es muß wirklich eine Freude sein, ein altes hinfälliges Boot auf diesen Felsen zu ziehen. Hier kann es trocknen.

      Der Bauer kommt mit einem großen, schmierigen Topf daher und mit einem langschäftigen schwarzen Pinsel; er macht ein prasselndes gelbes Feuerchen mit trockenen Wacholderzweigen und Treibholz; und streicht die verwitterten, vielfach mit Nägeln und Kupferplättchen geflickten Planken mit Teer an …

      Das alles stimmt friedlich und froh. Die Luft ist mit Teergeruch und feinen Rauchschleiern erfüllt, und das Leben scheint leicht und munter zu fließen; ähnlich wie der Elv, der hinter dem blanken Felsen hervorplätschert und sich dann auf einmal, gleichsam in jähem Erstaunen, im großen Meer spurlos verliert …

      Dann wird es Sonntag. —

      Ein wirklicher Feiertag voller Güte. Das Meer dehnt sich glatt, von seiner eigenen Schönheit gesättigt, und der Himmel strömt nichts als blaues Wohlwollen aus. Der Hofbauer Finn Moen sitzt in ungeheuer rotem Wollhemd in seiner Stube, hinter dem Fenster, freut sich über die Feiertagsruhe und die himmlische Sanftmut und singt mit tiefer, wallender Stimme Psalmen und andere geistliche Lieder. Er hält mit seinen beiden großen Händen das Kirchenbuch, und seine Seele ist angefüllt mit Glaube und Dankbarkeit.

      Es stört den Bauer zuerst nicht sonderlich, daß Ottny beim großen gußeisernen Ofen ewas mehr Lärm macht als nötig und durch außerordentlich laute Seufzer bekundet, daß ihr Herz nicht ganz im Einklang steht mit den Vorgängen des Lebens.

      Ottny kocht Grütze. Ach, es ist keine Feiertagsgrütze aus weißem Weizenmehl oder Grieß, kein Leckerbissen. Es ist nur graue Hafergrütze, kein Genuß — nichts als Nahrung.

      Der Hafer wuchs draußen auf dem kleinen Acker und wurde in der kleinen Mühle hinten am Elv gemahlen. Herrgott, und die Mühle steht ja dort und lehnt sich schief und jämmerlich schwach gegen die hohe Birke… Als diese Mühle erbaut wurde, war die Birke ein schlankes Bäumchen, das niemand beachtete. Mit den Jahren wurde sie aber zu einem starken Baum, der allmählich die eine Bohlenwand hob und zur Seite stieß. Jetzt klammert die winzige Mühle sich in Todesangst an dem dicken, vermoosten Stamme fest.

      Wie sollte man nur erwarten, daß diese Andeutung einer Mühle irgendwie gutes Mehl mahlen könnte! Aber sie mahlt. Wenn man ihr das Wasser übers Rad laufen läßt, ächzt und stöhnt sie zuerst verzweifelt, und hernach rasselt sie ganz gewaltig und dreht wahrhaftig immer noch den schweren Stein. Manchmal wird sie förmlich wild und gefährlich vor Altersschwäche. Und wenn man sie dann im Zaum hält und bändigt, gibt es reichlich Sand im Mehl.

      Sand im Mehl? Oh, das hat sicherlich noch keinem Menschen von Tyremoen geschadet. Diese Menschen kamen zur Welt, wuchsen auf und starben — die Mühle hat einen guten Anteil an ihrem Leben; aber nie an ihrem Tode …

      Ottny kann sich nicht länger bezähmen.

      „Ich wundere mich nur“, beginnt sie, „was du mit Karen am Hammer unternehmen willst …“

      Der Bauer Finn weiß doch selber, daß das im Grunde eine verdammt eklige Angelegenheit ist. Er klappt das Gesangbuch zu, nimmt die Brille ab und putzt die Gläser zwischen bloßem Daumen und Zeigefinger. Dann legt er das Buch auf den Schrank im Stubenwinkel und die Brille aufs Buch. Er hält sich das eine Nasenloch zu und bläst mächtig durchs andere gegen den Ofen hin. Das macht er alles nur aus innerer Unsicherheit, nur um Zeit zu gewinnen; er hat doch gar nicht die Absicht, sein Weib Ottny damit zu ärgern.

      „Was sollte ich denn unternehmen?“ fragt er. „Ich werde gar nichts unternehmen.“

      Ottny ist hingegen nicht das Weib, das nur mit dem Pfannendeckel rasselt und hernach dem Schicksal und dem Hofbauern freien Lauf läßt. Nein, das Weib Ottny ist jetzt wütend über diesen Bauern Finn, der in seinem roten Wollhemd hinter dem Fenster sitzt und Psalter singt und sich eine jede Fliege über die Nase wandern läßt.

      „Karen hat ihren Pachtschilling auch gestern nicht gebracht“, sagt Ottny, schaut den Ofen mit ihren kleinen dunklen Augen grimmig an und schnauft.

      „Wie hätte sie ihn denn bringen sollen?“ fragt der Bauer vom Fenster her. „Wenn sie doch im Winter ihre Kuh verlor und überhaupt nichts als Unglück erleben mußte …“

      Die Bäuerin Ottny redet weiter den Ofen an und behauptet: „Karen hat noch eine Kuh … Und sie hat den Pachtschilling auch letztes Jahr nicht gebracht. Und sie wird ihn, soviel ich von der Sache verstehen kann, nie mehr bringen.“

      „Nimm es nur mit Ruhe und Geistesgegenwart, meine gute Frau! Letztes Jahr.? Da kam doch Thorgeir weg … Hat Karen denn nicht schon ohnedies Schlimmes genug zu tragen?“

      „Und Monrad? Da geht nun dieser Schlingel herum und tut nichts Nützliches … ein fauler Laban … ein Faultier …“

      „Monrad ist ja kaum elf Jahre alt, und nicht stark — der Herr im Himmel allein mag wissen, wovon dieser Junge soweit emporgewachsen ist …“

      Hierauf feuert Ottny ihre große Kanone los.

      „Wovon sie leben, fragst du? He? … Hast du, Finn, ihnen vielleicht nicht selber einen Sack Mehl ins Haus getragen? … Du bist mir ein Bauer! Ich kann dir nur noch das eine sagen: unsere Hjördis, unser eigenes, leibliches Kind, wird einmal von diesem Hof vertrieben werden — durch deine Verschwendung und Leichtfertigkeit.“

      „Bist du verstört? — Nein, jetzt übertreibst du. Es war übrigens nur ein halber Sack — es war wohl nicht einmal völlig ein halber Sack … eine Handvoll Mehl … Wir sind doch Christenmenschen, Weib! Und wir sollen keine Untiere sein. Dürfen wir denn unsere Nachbarn verhungern lassen?“

      Damit hört dieser Streit natürlich noch lange nicht auf. Im Gegenteil, das wäre ja erst ein verheißender Anfang. Ottny ist im Laufe der Zeit alt und scharf geworden; und sie war schon als Jungfrau nicht mild, sondern hielt vor allem auf ihre eigene Sache.

      Die Leute sagten: Ottny? Sie ist zu trocken … ein Dürrfisch durch und durch! Darum kann sie auch keine Kinder kriegen … Vor lauter Geiz …

      Dieses Gerede ging jahrelang am Strande von Tyremoen. Aber schließlich bekam Ottny doch noch ein Kind. Ein einziges nur; aber ein hübsches, fröhliches Kind, Hjördis. Dieses Töchterlein ist jetzt zehn Jahre alt und schon so vollkommen, daß es den häuslichen Sinn der Mutter offen verspottet und in allen Teilen lieber zum Vater hält.

      Aber vielleicht ist Ottny doch nicht gar so schlimm, wie die Leute glauben. Sie ist vielleicht nur etwas zu durchsichtig in ihrem Wesen und macht nicht viel Aufwand mit unnützer Tugend.

      Der Hofbauer Finn Moen denkt nun bei sich selber: Was hilft es denn, seine Seele mit Andacht und Feierlichkeit zu erlaben und Gottvater dankbar zu sein für das schöne warme Wetter und die Hafergrütze und alles das übrige? Da rumort nun dieses scharfe Weib am Ofen herum und reizt mich auf zu Zorn und Sünde …

      Und