Tyra, die Märcheninsel. Karl Friedrich Kurz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl Friedrich Kurz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711518403
Скачать книгу
nur gleich dein Schandmaul und schweige still!“ schreit Ottny.

      „Was ist denn nur geschehen? Und wo willst du denn jetzt so augenblicklich hinfahren?“

      Ottny schwingt schon den Wassereimer in der Hand. Aber sie wendet sich noch einmal zurück: „Glaubst du vielleicht, ich hätte keine Augen im Kopfe?“ fragt sie. „Jetzt will ich zum Elv hinunter …“

      Fort ist Ottny.

      „Das war aber doch des Teufels!“ sagt der Hofbauer fassungslos zu sich selber. „Ist dir vielleicht schon so etwas begegnet?“

      Ottny ist fort. Und wenn Karen, die Witwe, zu jeder Stunde des Tages nach Belieben Wasser am Elv holen darf, warum sollte da die Bäuerin Ottny nicht auch hin und wieder etwas Wasser aus dem Elv schöpfen dürfen? Hier trifft es sich allerdings so, daß dort unten schon Jenny, die gesegnete Kindermutter, mit ihrem Eimer steht.

      „Ich gratuliere zu deinem neuen Kopftuch“, sagt Jenny mit ihrer überlauten Krähenstimme. Sie meint es wahrhaftig nicht böse. „Dieses ist, bessere mich, ein großartiges Tuch“, fügt sie hinzu. „Es glänzt wie Seide.“

      „Oh — weit entfernt!“ entgegnet Karen mit einem verlegenen Lächeln. „Es ist ja auch gar nicht mehr neu. Ich habe es nur nicht mehr tragen wollen, weil es das letzte Geschenk Thorgeirs war.“

      Dann kommt also Ottny herangebraust. Karen füllt schnell ihren Eimer und geht. Aber sie geht doch nicht schnell genug, als daß Ottny sie nicht hätte fragen können: „Dir muß also schon wieder Feuer ins Blut geschossen sein, daß du dich so mit allen Farben und Federn schmückst.“

      Karen gibt darauf natürlich gar keine Antwort; sie schleppt schwer an ihrem Eimer und muß jetzt noch mehr als zuvor auf ihren Weg achten.

      „Ahach — dieses alte Weibermensch!“ seufzt Ottny laut. „Paß nur gut auf, du, Jenny, und hüte deinen Jon. Denn Karen ist rein unmöglich zu solchen Zeiten. Wie sie hinter dem Mannsvolk her ist — nein, das kann man gar nicht sagen …“

      „Ist sie das wirklich, Liebe?“ lacht Jenny. „Ja, Gott verzeihe ihr! Meinen Jon mag sie immerhin anschauen — hihihi! Karen? Nein, aber was denkst du nur, meine Liebe?“

      „So? Als ob ich es nicht mit diesen meinen beiden leiblichen Augen gesehen häte — wie sie aus ihrer Hütte kroch und sich an Finn heranschlich … mit blutiger Fleischeslust und Verführung …“

      Jenny stellt ihren Eimer wieder ins Gras und setzt sich auf einen Stein.

      „Du himmlische Güte und Dreifaltigkeit!“ ruft Jenny.

      Man lebt natürlich einsam genug an diesem Strande von Tyremoen, und ein unschuldiger Schwatz erquickt das Herz und erfrischt die Seele.

      Dort nähert sich auch schon Ranveig von Höigaard, den Eimer am Arm. Sie hat gewittert, daß sich irgendeine Sache begeben will. Aber als die fleißige Frau, die sie stets ist, nähert sie sich strickend. Die stählernen Nadeln klirren und schießen scharfe Blitze in den blauen Morgen. Auch Ranveig setzt sich auf einen Stein. Alsdann wird die Witwe ein wenig gewaschen und gekämmt.

      Das geht so lange, bis Ranveig auffährt und sich ihrer Pflichten erinnert. „Tröste mich! Jetzt muß ich aber heim und meinen Mannsleuten das Essen richten.“

      Dann will Ranveig ihren Eimer füllen. Doch Ottny schiebt sie hastig zur Seite.

      „Warte ein Weilchen — ich will zuerst die Steine waschen.“

      „Was willst du?“ lacht Jenny schon wieder aufs neue. „Hihi … Nein, aber liebe Ottny, jetzt übertreibst du!“

      „Kann man denn nur wissen, welcher Art Seuche und Pestilenz diese Menschen mit sich herumführen? Ich will nichts gesagt haben — aber ich frage: erinnert ihr euch noch an den großen Dorsch, den Thorgeir kurz vor seinem Tode gefangen hat? Hatte der nicht auch solche rotbraunen Flecke auf der Haut?“

      Ottny wäscht die Steine, auf die sich Karen gestützt. Hierauf schöpfen die Weiber ihre Eimer voll und machen sich in Frieden auf zu ihren Kochöfen.

      Jenny und Ranveig haben denselben Weg und gehen nebeneinander her. Und Jenny sagt: „Ich glaube von dem allem kein einziges Wort. Aber ich glaube, diese Ottny muß von einem schlimmen Teufel besessen sein. — Und Finn, diese Windtüte! Finn und Fleischeslust — hast du vielleicht schon so etwas Tolles vernommen — hihihi!“

      Ranveig trägt in einer Hand den Eimer, in der anderen den Strickstrumpf und entgegnet ernst und düster aus ihrem frommen Gemüte heraus: „Vieles ist möglich in dieser verderbten Welt. Nur im Himmel oben wohnt die wahre Seligkeit.“

      Über einen solchen Spruch macht Jenny sich in ihrem tapferen Sinn keine unnötigen Gedanken.

      Sie bleibt stehen. „Was ich sagen wollte — es steht bei euch im Graben bei der Mauer eine Menge Weiberrocken; es sollte wohl nicht verboten sein, wenn ich ein wenig pflückte, zu Tee?“

      „So, zu Tee? — Der Herr bewahre uns vor Krankheit! Den Weiberrocken dachte ich aber für mich selber zu haben …“

      Nun ist Ranveig zu Hause.

      Friede und Stille liegt über der Natur. Der Elv klatscht an die Steine. Die Sonne scheint, und das Meer strömt nichts als pure Himmelsunschuld aus. In den paar grauen Häusern hat man einiges, worüber man Worte reden kann.

      Der Lehrer Klagg verzehrt sein Mahl einsam am großen Tisch in der Nordstube. In der Südstube trägt Ottny für Mann und Tochter das Essen auf. Ihre Nasenlöcher sind jetzt nicht mehr so weit. Der Bauer Finn hingegen fährt sich mit seiner großen, borstigen Hand über Gesicht und Bart und fragt Hjördis: „Wie steht es mit deinen Fellen? Ich habe mich also bestimmt, nächste Woche einmal nach Fagarö zu rudern. Da kannst du mitkommen … Ja, es ist nämlich wegen der Maschine …“

      „Wegen welcher Maschine?“ erkundigt sich Ottny sogleich.

      „Wegen der Mähmaschine“, sagt Finn in fabelhaftem Gleichmut. Und da hat es jetzt das hitzige Weib Ottny, für alle ihre überflüssigen Redensarten vom Morgen.

      „Jetzt glaube ich aber …! Mann, bist du denn ganz von Sinnen?“

      Oh, Finn sitzt aber da, in Sicherheit und Größe. Und er hat natürlich schon etwas vernommen von dem, was sich am Elv ereignete. Mit einem listigen Augenblinzeln wendet er sich abermals an seine Tochter: „Wir werden also miteinander die Maschine holen … Wir nehmen das Großboot. Monrad soll auch mit dabeisein.“

      „Ich — was sagst du? — Mir wird ganz übel!“ stöhnt Ottny. „Und womit willst du dann diese Maschine bezahlen?“

      Hier sitzt nun allerdings der Mann, der in passender Weise zu antworten weiß. „Was das anbetrifft, Weib, so könnte ich mir, wenn es mir im Sinn läge, auch gleich noch eine Rechmaschine dazukaufen“, sagt Finn, immer seiner Tochter pfiffig zublinzelnd, und schaut darauf zum Fenster hinaus.

      Die Menschen sind doch nicht so einfach, wie man gemeinhin glaubt. Da sieht man nun Finn, den Hofbauer, in neuem Lichte. Ganz gewiß ist der Geldbeutel in seiner Hosentasche nicht leer. Nein, es werden sich wohl mehrere Scheine darin finden, blaue und gelbe — ja, und vielleicht auch noch ein grüner. Welchen Wohlstand der Bauer aber täglich in seiner Hosentasche mit sich in der weiten Welt herumträgt, das weiß außer dem lieben Gott nur er selber; und er legt darüber keinem Rechenschaft ab.

      Und wenn man gleich allem völlig bis auf den Grund kommen möchte, so hängt dieses wohl damit zusammen, daß Finn der erste Mann am Strande von Tyremoen ist und sich unmöglich von einem lausigen Häuslerbub und einer Fiedel in den Hintergrund drängen läßt.

      Finn macht es als besonnener reifer Mann natürlich um vieles besser als der verwegene Ove. Er erfindet im richtigen Augenblicke die glorreiche Geschichte mit der Mähmaschine. Damit übertrumpft er sowohl Geige als Naturgenie.

      Finn kann sich jetzt im Hochsitz zurücklehnen und mit der Hand über Gesicht und Bart streichen; er kann sogar hochfahrend und kurz angebunden gegen die himmlischen