Tyra, die Märcheninsel. Karl Friedrich Kurz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl Friedrich Kurz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711518403
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Der Krämer Laurentzen war seinerseits auch nicht mißvergnügt. Er hatte zum Beispiel zwanzig Ör für das Kilo Heilbutt bezahlt. In der gleichen Nacht noch trug das Postschiff diesen Heilbutt südwärts. Und der Krämer wird zu seiner Zeit ungefähr eine Krone fürs Kilo erhalten. Das sind Porzente, mein Lieber!

      Aber alles, was recht ist — und alles kann doch nicht Gewinn sein. Mußte der Krämer Laurentzen denn nicht einen Schuppen bauen mit Doppelwänden und Sägmehl dazwischen? Und den Schuppen mit Eis füllen? Übrigens geht doch auch einiges drauf für Kisten und Briefporto und Fracht. Und so. Jedem das Seine …

      Der Krämer Laurentzen muß auch um sein Leben kämpfen. Jeder kämpft auf seine Weise. Vielen wird es sehr leicht gemacht, sie können das Bargeld nur aus der See schöpfen. Anderen wird es schwerer gemacht, sie müssen Kunst und Wissenschaft anwenden …

      So lebte also der Krämer Laurentzen. Und so lebte der Fischer Thorgeir. Und beide lebten in ihrer Art gar nicht so schlecht und wurden älter mit jedem Tag und reicher an Erfahrung und Lebensweisheit.

      Und dann sandte der Himmel einen grimmigen Südweststurm aus, genau zu der Stunde, als der Fischer Thorgeir vom Krämer auf Fagarö zurückruderte. Der Südweststurm fand das Boot des Fischers Thorgeir, erfaßte es, hob es wie nichts auf und warf es um. Thorgeir fiel daraus und versank im Wasser. Und da er nicht schwimmen konnte, konnte er das nahe Land nicht erreichen und klammerte sich am umgewälzten Boot fest. Er kletterte hinauf bis zum Kiel. Und da die Planken glatt waren, konnte er sich nicht daran festhalten. Darum stieß er sein großes Dolchmesser ganz oben beim Kiel ein, wie es vor ihm bei ähnlichen Gelegenheiten schon mancher machte. So konnte der Fischer Thorgeir sich über Wasser halten. Er konnte schreien und um Hilfe rufen und seine Not klagen. Oh, er konnte heulen und jammern, soviel in seinen Kräften lag. Aber das hörte niemand. Niemand konnte ihn sehen. Denn dieses ereignete sich in einer dunklen Nacht, die mit Zischen und Fauchen erfüllt war.

      Weil nun aber der Südwest immer schärfer übers Wasser hinsprang und vor überhändiger Wut brüllte, blies er den durchnäßten Fischer an und machte sein Gesicht starr und seine Hände klamm.

      Man kann nicht wissen, ob Thorgeir in dieser Nacht den Draug gesehen, den Draug, der wahrscheinlich auf einem gekenterten Boot an ihm vorbeisegelte, mit einem großen Tangbusch zwischen den Schultern anstatt dem Kopfe. Thorgeir mag in jenen Nachtstunden mancherlei gesehen und vernommen haben. Vielleicht ließ er in großer Angst sein Dolchmesser fahren. Vielleicht wurde er nur müde und wollte nicht länger auf einem hölzernen Roß mit scharfem Rücken reiten. Und so glitt er schließlich herunter …

      Solches ungefähr berichtete sein Messer.

      Nein, dieses ist alles in allem keine besondere Geschichte. Viele Frauen an der Küste könnten eine ähnliche erzählen.

      Dieser Art war also Thorgeir verschwunden und fortgekommen. Nicht einen einzigen Faden, nicht ein einziges Haar fand man mehr von ihm.

      Karen klopfte mit einem Stein das Dolchmesser aus dem Kiel und trug es nach Hause. Dort, in der schwarzverräucherten Holzwand, steckt es.

      Was soll man noch weiter darüber sagen?

      Handel, Landwirtschaft und Seefahrt — viele kommen hoch dabei, und einige fallen ab dabei und müssen liegenbleiben. Dieses Mal traf es Thorgeir. Dadurch wurde sein Weib zur Witwe, und vielen Fischen wurde das Leben verlängert …

      Nun erscheint aber der Hofbauer Finn vor der Kätnerhütte. Als dunkler Schatten gleitet er am Fensterlein vorbei. Er tritt durch die niedrige Tür und reibt sich die Brust.

      „Gott segne deine Arbeit, Karen!“ sagt er.

      So gesittet ist dieser Bauer Finn, daß er seinem Zorn nicht gleich alle Schleusen auf einmal öffnet.

      „Dank dafür, Finn“, sagt Karen.

      Ach, Karen weiß ja schon, daß es wichtige Umstände und Veranlassungen sein müssen, die den Bauern jetzt in ihre Stube führen.

      „Und was ist nun deine Meinung von dieser Sache?“ fragt der Bauer Finn und stellt das Schiff, das einmal ein rechtschaffener Holzschuh gewesen, auf den Tisch.

      Nein, Karen findet dafür keine Worte. Sie könnte ihre Gefühle möglicherweise in Töne fassen. Aber da sie nur in der Einsamkeit und für sich selber singt, bleibt ihr dieser Weg versperrt.

      „Das hat also Monrad gemacht! — Mein Weibervolk behauptet es.“

      Karen blickt den Bauern an. Ihr Blick ist nur eine Frage. Ihr Blick ist Angst und Flehen. Und dann senkt Karen das Haupt. Sie senkt ihr Haupt vor einem so geringen Ding wie diesem Holzschuh und bietet ohne Vorbehalt ihren Nacken dar, den Schlag zu empfangen.

      Aber dieser zornige Bauer Finn, der vor kurzem sein scharfes Weib mit der Birkenrute streichelte, verliert schon wieder allen Boden unter den Füßen, und die Welt beginnt ihm abermals in Feuchtigkeit zu schwimmen. Ob er nun gleich mit gewaltiger Muskelkraft den ungeheuren Priem zerkaut und männlich um sich her spuckt und Säfte vergeudet — er bleibt dennoch Kujon und Feigling! Oder vielleicht nicht? Wenn er doch jetzt solcherlei Worte fallen läßt:

      „Du sollst es nicht gar zu schwer nehmen, Karen, verstehst du! Aber ich wurde vorhin so rasend, daß ich beides, sowohl schwarz als rot, zu gleicher Zeit sah. Und es bleibt wirklich und wahrhaftig ein Himmelswunder, daß der Schlingel mir nicht in die Hände fiel. Sonst hätte leicht ein Unglück entstehen können. Denn du weißt doch, Karen, wie grauenhaft jähzornig ich in meinem Sinne bin. Das ist nun leider so ein Erbfehler von mir — Gott sei mir gnädig!“

      Hierauf wird der Bauer wieder gefaßt und handlungskräftig und verkündet als der erste Mann von Tyremoen: „Ja! Dieses ist also glücklich vorübergegangen. Und heute ist Sonntag, da soll nichts weiter unternommen werden in dieser Sache. Aber morgen wird Monrad unbedingt zu mir kommen und ein Stück Leder holen, und bis zum Abend muß der Schuh wieder geflickt sein — verstehst du! Das geht, meiner Seel, nicht anders.“

      Karen antwortet noch immer nicht. Ihr sitzen die Worte nicht so locker in der Kehle. Sie nickt nur. Auf einmal huscht ein kleines, ganz verwunderliches zartes Lächeln über ihr in Elendigkeit erstarrtes Gesicht; und sie reicht dem großen Bauer Finn ihre Hand. Und sie murmelt etwas dabei. Vielleicht dankt sie mit scheuen Worten für das gnädige Urteil, dankt mit sehr scheuen Worten, die sich verbergen wollen. Vielleicht sind es auch nur wieder diese leisen Töne …

      Der Bauer aber versteht es wohl. Er nickt mit dem bärtigen Gesicht und geht, einen scharfen Tabaksduft und eine deutliche Spur von Überlegenheit zurücklassend.

      Jetzt rinnt Finn Moens rotes Hemd wie eine Blutlache die Wiese hinunter. Karen, die Witwe, steht in all ihrer Ergriffenheit noch immer mitten in der Stube, beugt sich ein wenig vor und schaut mit schiefem Kopf am Geranienstock vorbei. Noch immer flattert ein rührendes kleines Lächeln über ihr Gesicht.

      Nach allen diesen Ereignissen wird es Mittagszeit. Monrad kommt heim und sieht den Holzschuh auf dem Tisch, und sagt nein, er habe es nicht getan.

      Karen hat wahrscheinlich dieses und nichts anderes erwartet. Sie entgegnet mit ihrer zerknitterten, zagenden Stimme: „Morgen früh mußt du bei Finn ein Stück Leder holen und den Schuh wieder flicken.“

      Dagegen hat Monrad nichts einzuwenden. Monrad mußte schon früh durch die Schule des Lebens gehen, und dabei wurde er vor der Zeit reif und reich an Erkenntnissen.

      Die steinaltermenschen

      Auf irgendeine geheimnisvolle Weise erfuhr der Staat, daß am Strande von Tyremoen eine Schar Kinder glücklich in voller Freiheit herumlief. Der Staat sandte den Lehrer Klagg aus, damit er ihnen die Geheimnisse der Schrift verrate und das Wunder der Zahlen und ihnen außerdem einige gute Beispiele vor Augen führe.

      Der Lehrer Klagg kam zweimal im Jahre nach Tyremoen und wohnte natürlich im Hause des Bauern Finn. In der Nordstube versammelte er alle Kinder, und sie mußten sich auf zwei Bänke um den Langtisch setzen. Es ging wahrlich gar nicht lange, so konnten sie auch schon lesen und fast ebensogut mit den Zahlen umgehen wie der Krämer Laurentzen auf Fagarö.

      Die