Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hermann Stehr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075831040
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war. Schwer atmend kam sie hin, ließ die Bürde zu Boden gleiten, setzte sich und senkte den Kopf, um die abgebrochene Gedankenreihe weiterzuspinnen.

      Da erinnerte sie sich, vor einem Heiligtume zu sein, drehte sich heftig um und sank vor dem Bilde in die Knie. Es war auf Leinwand gemalt und in einen schwarzen Rahmen gezwängt, der von zwei Eisenhaken an dem Stamme der einen Linde festgehalten wurde. Die dargestellte Szene war sehr einfach. In einer nur andeutungsweise gegebenen Landschaft, über der ein ultramarinblauer Himmel lag, kniete ein Bauer, die Hände im Gebet erhoben. Sein langschoßiger Rock war schwarz, sein Gesicht blaß. Dem unbekannten Maler war es gelungen, etwas von der dumpfen Bauernseele in seine Züge zu legen. Die Augen des Mannes richteten sich verzückt auf eine Muttergottes, die, links oben, im Himmel schwebte. Nicht weit von ihr, in gleicher Höhe mit der göttlichen Erscheinung hing ein Vogel in der Luft, den man für einen Hahn mit ausgerupftem Schwänze hätte halten müssen, wenn seine Raubfänge nicht gewesen waren. In diesen trug er ein schwarzes Etwas, aus dem eine Menge ockergelber Käschen fielen, deren erstes dicht über der Nase des bäuerlichen Beters angekommen war.

      Darunter stand die Erklärung:

      »Zu schwedischer Kriegszeit lebte ein Bauer, Georg Tiffe, welcher sein Vermögen, einige Dukaten, in einem hohlen Baume vergrub. Wie er sein Geld erheben will, war alles weg. Was tat er? Vor Angst fiel er auf seine Knie, gelobte der schmerzhaften Muttergottes, ihr Bildnis zu bekleiden, wo er sein Geld findet. Da er so betete, kam ein Rabe geflogen, brachte das Geld im Schnabel und ließ es bei dem Männlein fallen. Der Mann erhob das Geld und brachte den anderen Tag einen Dukaten dem Herrn Pfarrer, Hochwürden Wendelin Kasper zu Alt-Walsdorf, der dafür dies Bild stiftete. Alt-Walsdorf, den 2. März 1645. Geh, O Krist, nicht an diesem Bildt vorüber! Bete, Marie hat geholfen und wird auch dir helfen in allen Nöten.«

      Von ihrem Mutterglück ganz eingenommen, konnte sie zu keinem Gebet kommen. Als Ersatz betrachtete sie das bekannte Bild genauer als sonst und las die Erklärung dazu, langsam, Wort für Wort. Die Anrufung am Schluß sprach sie halblaut und fügte aus eigenem Herzen noch ein Stoßgebetlein hinzu: »Ach, du mei Gott eim Himmel, barmherzige Mutter ...«

      Trockenes Lachen, ganz in der Nähe, ließ sie abbrechen und erschreckt aufsehen.

      Schräg hinter der Bank saß ein Mann auf einem Stein, vom Gesträuch verborgen. Nun sie schwieg, bog er sich auch vor und schaute auf sie hin. »Klose?« sprach sie in sein verwildertes Gesicht und fühlte, wie sich ihr Herz in Erbarmung zusammenkrampfte.

      Der Schuster bewegte bestätigend den Kopf und rührte seine verschwimmenden Trinkeraugen nicht von ihr.

      »Ma sieht dich ja gar nich mehr, Guste?« fragte sie, setzte sich an das Ende der Lattenbank und rückte ihre Bürde heran.

      Er zog sich wieder hinter den Strauch zurück und ließ abermals dies trockene Hohnlachen erschallen.

      »Du!« rüttelte sie um Antwort.

      »Ich bin ja immer d'rheeme«, entgegnete er endlich gleichgültig.

      »Ach nee, ich denk', du läßt dich gar nich mehr bei deiner Mutter sehn.«

      »Ebens deswegen bin ich immer d'rheeme.«

      »Schuster, was redst du denn eig'ntlich!«

      Er erhob sich, trat entfernt vor sie hin, damit sie ihn betrachte, und sagte dann:

      »Nu, da bin ich d'rheeme, wo ich auch bin.«

      Sein Rock war zerrissen. Ein zerknüllter Hut saß auf staubgrauem Haar, das über den Kragen herabhing.

      Als er jetzt Maries Augen auf sich fühlte, ward er unsicher und ordnete sich die Halsbinde, die ein buntes Taschentuch war, und lachte wieder.

      »Warum hast du denn vorhin gelacht?« fragte Marie, weil ihr vor Mitleid nichts anderes einfiel.

      Klose trat hinzu, hob die Bürde auf die Bank, legte sie zwischen das junge Weib und sich und nahm am anderen Ende mit den Worten Platz:

      »Wenn d'rs nischt verschlägt und du bist nicht böse, da setz' ich mich a weng.«

      »Warum, ja, ja, immer setz dich, aber was ich fragen will, warum läßt du denn den Packs nich liegen?«

      Der Trinker starrte lange auf die Erde und sagte dann: »Heiliges Mädla – heiliges Mädla«, sah sie an, fuhr mit dem Kopf wieder herunter und wiederholte noch einmal »heiliges Mädla«.

      Danach richtete er sich auf und antwortete:

      »Kleen is groß und groß kleen. Ein gutes Herze hat keen Kopp; aber 's steckt doch schon in dei'm Auge! Ja, ja! – 's is zum Lachen! Nahmen wr an, 's reg'nt, oder dr Wind geht, oder ein Feuer kommt übers Haus, in a Busch, cetera pee.

      Nich wahr? – Gut. Du kniest hin und hebst die Hände ei die Höh'. Nach? Hahaha!«

      Er sah sie überlegen an, stand auf, trat hin und her und setzte sich endlich wieder. Mit einer wegwerfenden Handbewegung begann er von neuem:

      »Hahaha! Haben wir alls gemacht, noch mehr! Gleichsam mit'm Geneipe mittendruf zu: Gesungen, geschlagen, ausgefrorn, gehungert, bis de Haare a so viel wußten wie dr Kopp, hahaha! aber nich locker gelassen, immer druf, immer druf, mittenrein ...«

      Kopfschüttelnd brach er ab und griff mit den mageren Fingern verzweifelt ineinander und vollendete dumpf:

      »'s reg'nt weiter ... 's reg'nt weiter ... deswegen heeßt's wohl auch: dr Teufel is manchmal ein Ziegenbock! Je mehr dich wehrst, je mehr a stößt. Laßt mich zufriede!«

      Er spuckte aus, stützte sich auf die Knie und starrte zu Boden, als sei er ganz einsam.

      »Aber Guste, dr Herrgott, denk' och! ...«

      Klose rührte sich nicht; er sah aus, als sei er zu einem Ballen Verschrumpft. Die Arme herabhängend, handverschlungen, zwischen die Knie geklemmt; der Kopf in die Achseln gedrückt; der Rücken gekrümmt, wie ein krankhafter Auswuchs. Lange hörte Marie nichts als den keuchenden Atem, der Verwachsenen eigen ist.

      Dann kamen Worte, stier, als rühre ein dürres Stäbchen im Leeren.

      Er schien sie wieder ganz vergessen zu haben und nur mit seinem Schicksal zu reden, zog sich unter widerwilligen Lauten auseinander, saß eine Weile in steifer Starrheit und begann dann dumpf auf seine Fußspitzen zu reden, die er auf und nieder wippen ließ:

      »Aber 's is noch nich gut ... nee, nee! ich spür's... es läßt nich locker ...«

      Gramvoll richtete er sein Auge zum Himmel und redete Gott selber an:

      »Das is a Müller! Eh' nich 's letzte Stäubla raus is, läßt der nich locker. Siehst du, wer ich eigentlich bin?«

      Mit dieser Frage wandte er sich plötzlich wieder an Marie.

      Dem jungen Weibe traten die Tranen in die Augen, da sie in dies gepeinigte erdfahle Antlitz sah, und sie brachte kein Wort hervor.

      »Marie! Siehst du's nich?«

      Seine Stimme zitterte in Angst.

      »Ein guter Mensch bist du ...«, antwortete sie mitleidsvoll.

      Über den Trinker kam eine tiefe Erregung, er stand auf und atmete, als sollte er ersticken, schickte sich an, zu entlaufen, sah sie verstört an, kam zurück und sank stöhnend auf seinen Platz nieder.

      Das junge Weib glaubte, Klose sei plötzlich wahnsinnig geworden, wagte aber nicht, sich zu entfernen, weil sie fürchtete, daß er sie dann anfallen und ihr ein Leids antun könne.

      »Gell, er stößt dich, daß de hinschlägst?« stotterte der Unglückliche vor sich nieder.

      Marie aber fühlte, daß er sie frage.

      »Er treib' dich nachts aus'm Bette, schmeißt dir's Essen of a Hals?«

      Marie zuckte mit keiner Wimper.

      »Alls weeß ich, alles!« endete der Schuster, als er aufgesehen und keine Zustimmung in Maries Gesicht wahrgenommen hatte.

      »Haha,