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      »Ich rufe einen Krankenwagen«, sagte ich und kramte mein Handy hervor. Es war eines dieser uralten Teile, die man aufklappen und mit echten Tasten bedienen musste. Und ich brauchte immer noch erschreckend lange, um es zu benutzen. Die moderne Technik der Menschen war für mich nämlich fast genauso schlimm wie ihr leerer Himmel. Einfach komplett unverständlich. Ich starrte auf das Display und versuchte, mich daran zu erinnern, wie man das Mistding entsperrte.

      »Nein«, meinte derweil der Kleine. »Danke, ich kümmere mich schon um ihn. Er … kann Krankenhäuser nicht leiden.«

      »Aber die Wunde sollte unbedingt versorgt werden«, murmelte ich, den Blick immer noch auf das Handy in meiner Hand gerichtet. Musste man erst die Raute drücken oder …? Auch ich bezweifelte zwar, dass man in einem Menschenkrankenhaus wusste, wie man den Biss eines Donnerdrachen behandelte, aber offiziell hatte ich ja keine Ahnung, was diese beiden Jungen waren, geschweige denn, welche Art von Bestie sie angegriffen hatte. Und vielleicht war ja doch einer der Ärzte eingeweiht und konnte irgendwie gefrorenen Meerschaum organisieren?

      Jedenfalls hatte ich mich bereits viel zu weit vorgewagt, indem ich überhaupt nur mit dem Kleinen redete. Unter allen Umständen musste er mich weiterhin für ein gewöhnliches Menschenmädchen halten und Menschen riefen eben Krankenwagen.

      »Bitte.« Der junge Hexer legte eine schmutzige Hand auf meinen Arm. »Ich kriege das jetzt allein hin, versprochen.«

      Ich musterte ihn einen Moment lang. In seinem Blick lag definitiv ein Anflug von Panik, doch er biss sich mit aller Kraft auf die Unterlippe, um sie vor mir zu verbergen. Mir fiel auf, dass da eine kleine Lücke zwischen seinen Vorderzähnen war, durch die er erleichtert die Luft ausstieß, als ich das Handy zuklappte und wieder einsteckte.

      »Geht ihr eigentlich auf unsere Schule?«, fragte ich, weiter die Unwissende mimend. »Was ist denn überhaupt passiert?«

      »Wir sind nur zum … also eigentlich, um …« Er räusperte sich. »Wir sind zu Besuch in der Stadt und waren die ganze Nacht über im Regen unterwegs«, erklärte der Hexer, während er begann, seinen reglosen Freund von Holzsplittern zu befreien. »Zufällig haben wir hier ein paar, äh, Bekannte getroffen und dann wurden wir leider von diesem, äh, Anderen, äh, ich meine natürlich von diesem krassen Unwetter überrumpelt.«

      Ich nickte. Offenbar war er noch nicht häufig an der Oberfläche gewesen und es nicht gewohnt, sich unauffällig in der Menschenwelt zu bewegen. Ich zog mein Sweatshirt über den Kopf und reichte es ihm. »Versuch, die Wunde damit abzubinden, wir müssen den Blutverlust eindämmen«, sagte ich. »Und außerdem soll die Seeklinik, das ist das Krankenhaus in der Nähe des alten Leuchtturms, sehr gut sein. Vielleicht überlegst du es dir ja.«

      Beim Wort »Leuchtturm« hatte sich der Ausdruck im Gesicht des Kleinen verändert. Neue Hoffnung flammte auf einmal in seinen runden braunen Augen auf. »Dann werde ich Aaron dorthin bringen. Hab Dank für deine Hilfe, Menschenmädchen.«

      Ich zuckte mit den Achseln und tat so, als hätte ich das »Menschenmädchen« nicht registriert. »Gern geschehen. Aber darf ich fragen, mit was für Bekannten man sich mitten in der Nacht ausgerechnet an unserer Schule trifft?«

      »Och, n…nur ein paar …«

      Aaron stöhnte auf. Seine Lider flatterten und die Hand seines gesunden Arms zuckte, als wollte er nach einer unsichtbaren Blitzklinge greifen. »Die Drachen«, wisperte er heiser.

      Der kleine Hexer räusperte sich.

      Doch Aaron fuhr fort: »Damian, hilf mir, beeil dich. Wir müssen die Drachen davon abhal–«

      »Oh, super. Er kommt zu sich«, sagte der Junge eine Spur zu laut. »Wir, äh, kriegen das dann ab jetzt wirklich ohne dich hin.« Er schob sich vor seinen Freund, um mir die Sicht zu versperren.

      Auf der einen Seite wäre es bestimmt klug gewesen, schleunigst zu verschwinden. Bevor ich mich noch verplapperte oder einer der beiden sich womöglich an die verräterische Prinzessin mit dem spitzen Gesicht erinnerte … Aber andererseits hielten sie mich für ein normales Menschenmädchen, nicht wahr? Da würde es doch sicher nicht schaden, nur noch einen Moment zu bleiben und ein paar unschuldige Fragen zu stellen. Diese Typen hatten die Biester bekämpft und … in die Flucht geschlagen? Sie mussten einfach mehr über diese ganze Sache wissen!

      »Also hat euch der Sturm ganz plötzlich überrascht oder –«, begann ich.

      »Es war ein Hinterhalt«, nuschelte der gut aussehende Hüne und hustete. »Eigentlich sind wir Sturmjäger. Wir waren auf dem Weg in die Tiefe, um knapp einhundert Blitzklingen auszuliefern. Aber dann entdeckten wir gestern mitten in der Stadt dieses Rudel Donnerdr–«

      »Herrje, er redet wirres Zeug«, unterbrach Damian ihn. »Wahrscheinlich hat ihn der Betonklotz auch noch am Kopf getroffen.«

      Aaron linste benommen an den Beinen des Kleinen vorbei und es sah beinahe so aus, als zwinkerte er mir zu. »Oh, hallo! Wir kennen uns doch, oder?«

      »Nein«, sagte ich. »Und das ist außerdem der älteste Spruch der Welt.«

      Er schloss die Augen und lächelte schwach. »Hast recht, auf meiner Prioritätenliste sollte wohl gerade anderes stehen. Zum Beispiel, dass ich ohne Meerschaum bald verbluten werde. Oder zumindest die Frage, wer diese Drachenköder am Strand –«

      »Drachenköder?«, entfuhr es mir, während Damian gleichzeitig »Aaron!« rief und seinem Freund schockiert einen Stoß in die Seite verpasste. »Sie ist ein Mensch!«

      Drachenköder. Mir wurde schwindelig. Ich hatte davon gehört. Natürlich. Unsere Vorfahren hatten sie einst verwendet, um die Rudel auf die See hinauszulocken. Doch nun hatte jemand es andersherum gemacht und die Bestien auf eine Stadt losgelassen? Wer würde denn so etwas Schreckliches tun? Warum? Und wenn ich mich richtig erinnerte, brauchte man für die Herstellung eines solchen Köders mehr als nur ein einziges Blutopfer …

      Aaron versuchte, sich hochzustemmen. »Verdammt, findest du nicht, dass ich schon angeschlagen genug bin?«, blaffte er Damian an und rieb sich den rechten Rippenbogen.

      »Halt einfach die Klappe, Mann! Sie ist keine von uns und –«

      »Nicht?«

      »Äh, also, ich habe echt keine Ahnung, wovon du da sprichst«, beeilte ich mich zu sagen. »Außerdem muss ich los, mein, na ja, mein Bus kommt gleich.«

      Ich wollte mich zum Gehen wenden, doch etwas an Aarons Ausdruck hielt mich davon ab. War das etwa Belustigung, die da über seine Züge flackerte? Wenn er grinste, wurde sein Gesicht leicht asymmetrisch, weniger perfekt, aber auch offener. Er bekam da so ein charmantes Grübchen auf der linken Wange und … Ich schüttelte den Kopf, um diesen unsinnigen Gedanken zu vertreiben.

      »Nun ja.« Er räusperte sich. »Wäre ich gerade nicht halb tot, hätte ich mir definitiv einen besseren Spruch für dich einfallen lassen«, sagte er und presste meinen Pullover mit seiner gesunden Hand fester auf die Wunde. Für einen Moment schien er Mühe zu haben, bei Bewusstsein zu bleiben, dann fing er sich jedoch wieder. »Aber mal im Ernst, wir sind uns wirklich schon begegnet, stimmt’s?«, fuhr er flach atmend fort. Das Grinsen war verschwunden.

      Intuitiv machte ich einen Schritt rückwärts. »Tut mir leid, du musst mich wohl verwechseln«, murmelte ich und biss mir auf die Lippe.

      Verdammt, verdammt, verdammt!

      Wie konnte es sein, dass ich viereinhalb Jahre lang die perfekte Tarnung aufrechterhielt und nun innerhalb von zwei Tagen plötzlich alles zunichtemachte? Na gut, ich hatte bei der Wahl meines Verstecks nicht damit rechnen können, dass Stürme dieser Art jemals das Festland heimsuchen würden, allerdings –

      »Gestern in der Unterführung, das warst doch du an der Treppe!« Aaron runzelte die Stirn. »Wieso bist du abgehauen? Wir hätten deine Hilfe gut gebrauchen können. Das Vieh hatte, wie du hier siehst, noch ein paar Freunde dabei, die gar nicht erfreut –«

      »SIE IST KEINE HEXE!«, brüllte Damian und sah so aus, als hätte er