Die Worte des Windes. Mechthild Glaser. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mechthild Glaser
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783732014545
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wie die Zähne eines Donnerdrachen.

      Ich schluckte und tat noch einen Schritt nach hinten.

      Ein Köder. Die Hexer hatten also nicht gelogen. Jemand versuchte tatsächlich, die Anderen mit Absicht an Land zu locken!

      Es war Wahnsinn.

      So etwas hatte es in der Geschichte der Wetterhexen noch nie zuvor gegeben! Wer würde gegen das oberste Gesetz unseres Volkes verstoßen und vorsätzlich Menschen in Gefahr bringen?

      Wer wagte es, sieben mal sieben Opfer … Blutmagie war verboten, sie war dunkel und gefährlich. Mit ihrer Hilfe konnten starke Zauber gewoben werden, denn sie verstärkte die angeborenen Kräfte einer Hexe. Allerdings nur, wenn man bereit war, eine entsprechende Anzahl an Meeresbewohnern zu töten. Je mehr und je größere Wesen es waren, umso mächtiger die Beschwörung.

      Ich fröstelte nun so sehr, dass ich zu zittern begann, während der Köder noch immer vor mir im Sand prangte, eine unaussprechliche Abscheulichkeit, hässlich und böse.

      Er musste zerstört werden. Umgehend.

      Nein!

      Ich seufzte. Das ging nicht. Auf keinen Fall konnte ich schon wieder eine Ausnahme machen und meine Magie benutzen. Verdammt, ich durfte nicht so dumm sein! Es musste eine andere Lösung geben und solange sich kein Mensch in akuter Lebensgefahr befand, konnte ich danach suchen. Ich würde in Ruhe darüber nachdenken und früher oder später … Ja, mir würde schon etwas anderes einfallen!

      Ich presste die Kiefer aufeinander, kehrte dem Drachenköder den Rücken und wäre einen Herzschlag später beinahe mit Aaron zusammengestoßen.

      »Huch, du hast es aber eilig«, sagte er.

      Während ich versuchte, mein Gleichgewicht wiederzufinden, wanderte sein Blick langsam an mir auf und ab.

      »Wie …?«, stammelte ich schließlich und starrte ihn ebenfalls an.

      Er hatte seine Kleidung gewechselt, statt des zerrissenen Hemdes trug er nun einen Wollpullover. Die Hose hatte er mittlerweile gegen eine helle Jeans eingetauscht und sein Haar glänzte, als wäre es frisch gewaschen. Nur die Stiefel an seinen Füßen waren immer noch schmutzig und mit Salz verkrustet, als wäre er damit bereits viele, viele Male durch die Brandung gestapft.

      »Hi«, sagte Damian, der hinter ihm stand. Auch er war sauber und ordentlich gekleidet.

      Als wäre überhaupt nichts geschehen …

      »Hallo, äh …« Ich wandte mich wieder an Aaron. »W…was ist mit deiner Verletzung?«, fragte ich und deutete auf die Stelle, wo sich die Bisswunde unter seinem Ärmel verbergen musste.

      Er zuckte mit den Achseln. »Geheilt natürlich.«

      Mein Mund klappte auf und wieder zu. »Aber wie kann das sein?«

      Es war keine drei Stunden her, dass ich die beiden auf dem Sportplatz zurückgelassen hatte. Wie waren die Hexer so rasch an den nötigen Meerschaum gekommen? Selbst wenn sie im alten Leuchtturm gleich an den richtigen Händler geraten und sich mit ihm einig geworden wären … es hätte mindestens eine Nacht gedauert, den gefrorenen Schaum aus dem Nordatlantik herbeizuschaffen.

      »Wenn man gute Beziehungen hat, geht so manches schneller als gewöhnlich«, war Aarons kryptische Erklärung. »Danke, dass du Damian heute früh geholfen hast.« Er spähte über meine Schulter und zuckte im gleichen Augenblick kaum merklich zusammen. »Ah, ich sehe, du bist auf einen weiteren Köder gestoßen.«

      »Tut mir leid, ich weiß wirklich nicht, was –«, begann ich, doch er fiel mir ins Wort.

      »Aber du hast gar nichts dagegen unternommen …« Er kniff die Augen zusammen und musterte mich erneut, gründlicher jetzt. Seine Brauen schoben sich hoch. »Wolltest du ihn etwa einfach liegen lassen?« Vorhin hatte bei meinem Anblick noch der Anflug eines Lächelns in seinem Mundwinkel gehangen, doch nun war es plötzlich wie fortgewischt. »Oder hast du ihn gerade dort ausgelegt? Tust du deshalb so, als wärst du keine von uns?«, fragte Aaron scharf. »Ist das deine Masche?«

      »Nein!«, rief ich und schüttelte den Kopf. »So etwas würde ich niemals machen! Und ich habe keine Masche.«

      Wie unverschämt war dieser Typ eigentlich?

      »Hm …« Er verschränkte die Arme vor der Brust. In seinen honigfarbenen Augen blitzte es, unmöglich zu sagen, ob vor Argwohn oder Neugierde. »Nun, wer bist du dann, mysteriöse Hexe, die immer zufällig gerade dort auftaucht, wo ein paar ganz und gar vom Pfad abgekommene Donnerdrachen ihr Unwesen treiben?«

      Verdammt! Röte schoss mir ins Gesicht. »Ich … ich«, stotterte ich und spürte im selben Moment, wie die See, die meine Knöchel noch immer umspielte, mir neue Kraft gab. »Mein Name ist Roberta«, log ich schließlich und senkte den Blick. »Aber alle nennen mich Robin. Ich stamme aus dem Ostmeer. Vor ein paar Jahren zerstörte eines der Unwetter dort die Kuppel über unserem Dorf. Mein gesamter Clan kam dabei ums Leben, nur ich wurde an Land gespült und von den Menschen gefunden. Sie nahmen mich bei sich auf und seitdem tue ich so, als wäre ich eine von ihnen, weil …« Ich sah ihm in die Augen. »Na ja, weil alle, die mir etwas bedeutet haben, tot sind und ich nach dieser schrecklichen Nacht nichts mehr mit den Wettern oder der Welt der Hexen zu tun haben will«, presste ich hervor. Ich musste mich nicht einmal anstrengen, ein trauriges Gesicht aufzusetzen, obwohl ich mir das alles gerade aus den Fingern gesogen hatte. Meine Familie war schließlich wie tot für mich.

      Und ich für sie.

      »Oh«, machte Damian. »Das … tut mir leid. Meine Eltern sind auch gestorben.«

      »Ja«, sagte Aaron, seine Lippen bildeten eine schmale Linie. »Trotzdem lockst du deshalb noch lange keine Donnerdrachen an Land, oder, Damian?«

      Ich funkelte ihn an, jegliche Traurigkeit schlug augenblicklich in Zorn um. »Wie kannst du es wagen, mir so etwas zu unterstellen?«

      »Nun, zuerst treffen wir dich in dieser Unterführung inmitten eines Anderen. Dann tauchst du am nächsten Morgen genau dort auf, wo mehrere Donnerdrachen versucht haben, uns umzubringen. Und jetzt erwischen wir dich hier mit einem Köder.« Aaron schüttelte den Kopf. »Robin, Robin, was denkst du denn, wie das für uns aussieht?«

      »Also, erstens habe ich gestern gegen den Anderen gekämpft, und zwar um mein Leben, falls es dir nicht aufgefallen ist.« Ich richtete mich zu meiner vollen Größe auf. »Zweitens wart ihr heute Morgen an meiner Schule und ich war bloß auf dem Weg zum Unterricht. Und drittens habe ich diesen Köder gerade nur zufällig gefunden und war noch am Überlegen, wie ich ihn unschädlich mache.«

      »Ganz schön viele Zufälle«, brummte Aaron.

      »Tja.« Inzwischen ging der Kerl mir wirklich auf die Nerven. »Dann glaubt mir eben nicht. Allerdings finde ich es viel komischer, dass ihr beiden innerhalb von nicht einmal 24 Stunden ganze drei Mal in meiner Nähe auftaucht«, ging ich nun meinerseits in die Offensive.

      »Wir handeln im Auftrag Ihrer Majestät der Tiefe«, sagte Aaron, als wäre allein das Erklärung genug. »Wir jagen Blitzklingen für die Königin und du weißt sicher, aus welcher Art von Stürmen die besten und schärfsten Waffen geschmiedet werden können. Aber natürlich wundern wir uns auch, warum die Biester plötzlich an Land kommen. Deshalb suchen wir die Küste nach Ködern ab und zerstören sie.«

      »Toll«, zischte ich und unterdrückte ein Schaudern. Ihre Majestät der Tiefe, meine Mutter höchstpersönlich! Verdammt! Ich versuchte, mich möglichst lässig zum Gehen zu wenden. »Wenn das so ist, dann macht doch am besten gleich hier weiter. Viel Spaß!«

      Ich wollte die Hexer stehen lassen, doch dieses Mal hatten sie offenbar mit einem Fluchtversuch meinerseits gerechnet. Noch ehe ich mich an ihnen vorbeischieben konnte, hatte Damian mich gepackt und verdrehte mir derart die Arme auf den Rücken, dass es wehtat. Er war zwar kleiner als ich, aber eindeutig kräftiger.

      »Lass mich sofort los!« Ich wand mich hin und her, versuchte vergeblich, mich zu befreien.