Die Worte des Windes. Mechthild Glaser. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mechthild Glaser
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783732014545
Скачать книгу
sie dann den Ostwind befehligen?«, erkundigte sich Aaron.

      Nein!

      Ich taumelte weiter nach hinten, fort von den beiden. Ich musste weg, nichts war mehr sicher. Wenn sie wussten, was ich war, dann wäre es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie erkannten, wen sie vor sich hatten. Oder?

      »Was?«, fragte Damian. »Das soll sie gewesen sein?«

      »Also, ich habe ihn gestern Nachmittag jedenfalls nicht herbeigerufen und du –«

      Damian schnaubte.

      »Entschuldigt, aber ich verstehe immer noch nicht …«, log ich mehr schlecht als recht. »Ach, vergesst es. Geht einfach ins Krankenhaus und lasst diese Wunde versorgen.« Ich wandte mich zum Gehen.

      »Warte!«, rief Aaron. »Bist du sicher, dass du heute Nacht nichts auf den Kopf bekommen hast? Ich meine, ich bin doch nicht blöd. Ich habe dich gestern gesehen und heute tauchst du schon wieder an einem Ort auf, an dem ein Anderer gewütet hat. Soll das etwa ein Zufall sein?«

      »Ich … nein … ich …«, stotterte ich, dann gab ich es auf. Statt zu antworten, stürzte ich einfach davon, vorbei an den Überresten der Tribünen und zurück in den Durchgang zwischen den Gebäuden. Das hier war viel zu viel. Und viel zu gefährlich. Was war nur in mich gefahren? Ich durfte nicht mit diesen Typen reden! Hexer! Meinesgleichen! Ich musste den Verstand verloren haben.

      »Wer bist du?«, versuchte es Aaron weiter, doch Damian redete bereits auf ihn ein. Ich bog um die Ecke der Sporthalle und seine Worte gingen im Dröhnen der Motorsägen unter, die sich nun auch hier ihren Weg durch das Dickicht zu fressen schienen. Das Geräusch schwoll mit jedem meiner Schritte weiter an, bis ich schließlich den Lehrerparkplatz erreichte und einen ganzen Haufen Feuerwehrmänner vor mir fand.

      Beinahe hätte ich ausgerechnet den Typen umgerannt, der mich bereits vor dem Haupteingang davongescheucht hatte. »Verdammt, ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt!«, schrie er mich nun an. »Mädchen, du musst von hier verschwinden!«

      »Ich weiß«, keuchte ich und lief schon im nächsten Moment die Straße hinunter, als ginge es um mein Leben.

      Leider standen die Chancen gut, dass es tatsächlich so war.

image

      5

      Tanzende Wellen

      Man sollte meinen, dass Fiona, Louisa und ich durchaus in der Lage wären, uns einen Vormittag lang allein zu beschäftigen. Wir waren schließlich keine Kinder mehr. Und wir starben sicher nicht gleich vor Langeweile, wenn mal die Schule ausfiel. In meiner Heimat am Meeresgrund hätten wir in unserem Alter als volljährige Erwachsene gegolten und nicht einmal mehr eine Schule besucht. Geschweige denn, dass man Hexen über zwölf Jahre überhaupt irgendwie pädagogisch betreut hätte. Warum auch, wir konnten doch längst auf uns selbst aufpassen.

      Die Menschen, die in vielem anders dachten als die Hexen, sahen das natürlich nicht so. Allen voran Andreas, der noch dazu Spaß daran hatte, uns zu Dingen zu zwingen, die wir nicht tun wollten.

      »Och, aber warum denn ausgerechnet Brettspiele?«, murrte Louisa gerade im Wohnzimmer, als ich die WG betrat. »Können wir nicht einfach auf unsere Zimmer gehen? Oder wenigstens einen Film gucken oder so? Ich hasse Mensch ärgere dich nicht.«

      »Dann fangt ihr eben mit einem Kartenspiel an.« Andreas warf ein Päckchen Spielkarten auf den niedrigen Couchtisch.

      Louisa und Fiona, die beide auf dem Sofa herumlümmelten, rührten sich nicht.

      »Los, ein paar Runden Mau-Mau! Das ist doch wohl nicht zu viel verlangt.«

      »Doch«, murmelte Fiona. Sie hielt ihr Handy in der Hand und die Augen fest auf das Display gerichtet.

      »Louisa, du mischst. Und jetzt keine Diskussion mehr. Ah, Robin, da bist du ja endlich! Setz dich.« Andreas deutete auf den Sessel ihm gegenüber.

      »Nein, danke«, brummte ich und wandte mich in Richtung meines Zimmers.

      »Das war keine Frage.«

      Ich seufzte. Donnerdrachen nahmen unsere Stadt auseinander und ein Hexer hatte erkannt, was ich war! Ich hatte wirklich keinen Nerv, ein dummes Spiel zu spielen.

      »Tut mir leid, aber ich habe im Moment andere Probleme«, sagte ich und verließ den Raum, während Andreas hinter mir hörbar nach Luft schnappte.

      »Ihr werdet jetzt, verdammt noch mal –«, begann er, doch ich ignorierte ihn.

      Zielstrebig durchquerte ich den Flur. Bereits auf dem Weg hierher hatte ich mit dem Gedanken gespielt, jetzt meinen Kram zusammenzupacken, mir Bo mitsamt Goldfischglas unter den Arm zu klemmen und dann schnurstracks zum Bahnhof zu gehen, um die Stadt zu verlassen. Es würde natürlich nicht leicht sein, sich eine komplett neue Identität zu erschwindeln. Vermutlich müsste ich zumindest wieder für eine Weile das Leben einer Obdachlosen führen. Zu einer wirklichen Entscheidung war ich daher noch nicht gekommen.

      Aber allein die Erinnerung daran, wie Aaron mich gemustert und mich auf den Ostwind angesprochen hatte … konnte ich es überhaupt riskieren hierzubleiben? Gab es noch eine Chance, das zu behalten, was ich mir aufgebaut hatte? Oder war es an der Zeit weiterzuziehen? Durfte ich einfach so weiterziehen, wenn derart grauenvolle Dinge wie Andere begannen, dem Meer zu entsteigen und die Menschen um mich herum zu bedrohen?

      In jedem Fall brauchte ich Ruhe, um alles gegeneinander abzuwägen. Ruhe und die Chance, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Und keine dämlichen Erziehungsmaßnahmen.

      Doch dann erreichte ich meine Tür und rüttelte schon im nächsten Moment vergeblich an der Klinke.

      »Andreas hat unsere Zimmer abgeschlossen!«, rief Louisa aus dem Wohnzimmer und nun war ich diejenige, die scharf die Luft einsog. Wie albern war das denn?

      Ich kehrte zu den anderen zurück. »Darf ich bitte in mein Zimmer?«, fragte ich genervt.

      »Sorry, aber gerade steht eine Gemeinschaftsaktivität auf dem Programm und die ist nun einmal verpflichtend.« Andreas lächelte eine Spur zu süffisant. »Es muss doch möglich sein, dass ihr euch mal für eine halbe Stunde miteinander beschäftigt anstatt mit euren Smartphones.«

      Ha, das musste gerade er sagen! Meine Hände ballten sich zu Fäusten. Ich schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch. »Ich habe nicht einmal ein Smartphone«, sagte ich schließlich leise. »Und außerdem möchte ich bitte, bitte einfach nur allein sein und eine Lösung für … etwas finden.«

      »Ach?« Andreas hob die Brauen. »Geht es um einen Jungen?«, fragte er. »Hast du Liebeskummer?« Er seufzte theatralisch.

      »Nein«, sagte ich, verdrehte die Augen und sank in den Sessel. Am liebsten wäre ich ins Bad gestürmt und hätte die Tür hinter mir zugeknallt. Etwas in mir drängte sogar immer noch danach, aus der Wohnung zu stürzen und so weit wegzulaufen, wie ich nur konnte. Zu meiner Rolle der Jugendlichen mit sozialen Problemen hätte so ein Verhalten durchaus gepasst …

      Dummerweise war es immer schlecht, die Nerven zu verlieren. Besonders wenn die Situation sowieso schon äußerste Vorsicht verlangte. Außerdem war ich nicht der Typ, der eine Szene machte, ich war vielmehr diejenige, die ihre Fähigkeit, unter dem Radar zu fliegen, mit den Jahren perfektioniert hatte. Nur so hatte ich mich an dieses Leben anpassen können, das so ganz und gar anders als alles war, das ich in meiner Kindheit kennengelernt hatte. Je mehr Ärger man machte, umso mehr Fragen begannen die Leute zu stellen …

      »Ich … na gut, ich …« Ich senkte die Lider und atmete aus. Verdammtes Wohngruppenleben! »Dann kümmere ich mich eben später darum«, gab ich schließlich klein bei, schnappte mir die Karten und fing an zu mischen.

      Erst etwa eine Stunde später erlöste uns Andreas endlich von den Qualen des Spiels. »Na, seht ihr,