Die Worte des Windes. Mechthild Glaser. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mechthild Glaser
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783732014545
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den fauligen Gestank.

      Ich fuhr herum.

      Und da sah ich, wie sie am anderen Ende der Unterführung auftauchten: meinesgleichen!

      Es waren zwei Jungen, Hexer, der eine wohl noch nicht lange volljährig. Er war höchstens dreizehn Jahre alt, hatte ein schmales Gesicht und bleiche Haut, wie man sie nun einmal bekommt, wenn man sein Leben viele Kilometer unterhalb der Wasseroberfläche verbringt. Der Kleine sprang nun in die Höhe, hielt in jeder Hand einen glühenden Blitz und hieb damit nach den Drachennüstern.

      Währenddessen zog der zweite, deutlich größere Hexer seine Klinge aus dem gallertigen Rumpf und stach gleich darauf erneut zu. Dieses Mal traf er das zuckende Herz. Noch einmal bäumte der Donnerdrache sich auf. Er stieß einen weiteren Schrei aus, Muschelsplitter stoben in alle Richtungen und eine letzte Welle fischigen Atems breitete sich aus.

      Dann erloschen die Lichter im Inneren seines Rumpfes. Der Nebel sank zu Boden und versickerte irgendwo unter unseren Füßen.

      Der Drache war tot, der andere Sturm besiegt.

      Und der Hexer entfernte die Blitzklinge sorgfältig, wischte sie mit einem Lappen ab und verstaute sie mit geübten Bewegungen wieder in dem Holster auf seinem Rücken. Er tat das hier offenbar nicht zum ersten Mal, dabei konnte er kaum älter als ich sein. Ich schätzte ihn auf achtzehn oder neunzehn, allerhöchstens zwanzig. Er wirkte durchtrainiert und überragte seinen jungen Begleiter um mehrere Köpfe. Das Haar fiel ihm in dunklen Wellen in die Stirn, als wäre es genauso schwer zu bändigen wie mein eigenes, und seine Stiefel hatten eindeutig schon bessere Zeiten gesehen.

      Außerdem zitterten seine kräftigen Hände nun doch ein wenig, als er dem Kleinen die Blitze abnahm und sie ebenfalls einpackte.

      »Ich hab dir gesagt, du sollst oben warten! Das hier ist noch zu gefährlich für dich«, schalt er den Jungen.

      Doch der zuckte bloß mit den Achseln. »Du brauchtest Hilfe, oder?«

      »Nein«, sagte der Hüne. »Und das weißt du genau. Du bist noch nicht so weit, Damian. Als dein Lehrmeister –«

      »Was wollte das Biest überhaupt hier?«, unterbrach der Kleine ihn und sprach mir damit aus der Seele.

      Drachen kommen nicht an Land. Niemals. Und ich – verdammt, war ich denn von allen Geistern der See verlassen? Wieso machte ich nicht, dass ich wegkam? Noch hatten die beiden mich nicht bemerkt.

      Dummerweise fühlten sich meine Knie wie zwei matschige Quallen an, am liebsten hätte ich mich für einen Moment hingesetzt.

      Während meine Füße mir ihren Dienst verweigerten, begannen die beiden Hexer, den Kadaver vor sich zu untersuchen. Oder zumindest das, was noch von ihm übrig geblieben war.

      Die Schnauze des Donnerdrachen war bereits in sich zusammengefallen und löste sich mit rasender Geschwindigkeit auf. Überall lagen glitschige Schuppen herum und der Schwanz zerfloss zu einer übel riechenden Pfütze.

      Andere verschwanden genauso rasch, wie sie sich bildeten. Ohne Vorwarnung. Ohne Spuren zu hinterlassen.

      Trotzdem suchten die Hexer den Asphalt ab. Vermutlich nach Hinweisen darauf, was um alles in der Welt dieses Biest mitten in eine menschliche Siedlung geführt haben mochte.

      Auch ich hätte gerne mehr darüber erfahren. Ich spielte sogar schon mit dem Gedanken, mich zu bücken und eine der schleimigen Schuppen aufzuklauben. Doch in diesem Moment hob der größere Typ den Blick und riss mich damit endlich aus meiner seltsamen Erstarrung. Bisher hatte er nicht in meine Richtung gesehen, aber … War ich eigentlich verrückt geworden, so lange zu zögern?

      Gerade noch rechtzeitig hechtete ich in den Schatten der Treppe. Ohne mich umzusehen, rannte ich los, die Stufen hinauf und fort von den Hexern und allem, was für mich sowieso nur in ferner Vergangenheit existieren durfte.

      Der Ostwind zupfte ein letztes Mal an meiner Kapuze, doch ich schickte ihn so übereilt weg, dass ich sogar vergaß, mich für seine Hilfe zu bedanken.

      Auf der Straße sprang ich über abgebrochene Zweige und den Inhalt umgewehter Mülleimer hinweg. Ich wollte nur noch zurück zur Wohngruppe.

      Der Bürgersteig flog unter meinen Schritten dahin, während die Panik mich bereits überrollte wie ein mittelgroßer Tsunami. Ja, ich war froh, noch am Leben zu sein, erleichtert. Aber … nach all den Jahren ohne meine Kräfte … Sie nie wieder einzusetzen, war stets die wichtigste Regel von allen gewesen.

      Was hatte ich nur getan?

      Ja, ich war einst Prinzessin eines magischen Volkes gewesen. Und offensichtlich hatten meine Kräfte mich nicht verlassen. Ich konnte noch immer kämpfen. Doch das alles änderte nichts an dem, was heute für mich galt.

      Ich durfte einfach keine Hexe mehr sein.

      In der Nacht der Katastrophe, der Nacht meiner Flucht, hatte ich meinen wahren Namen und Titel ein für alle Mal abgelegt. Undina Severina Mare, siebte Tochter der siebten Königin, das Kind, dem einst Großes vorherbestimmt gewesen war, existierte nicht mehr.

      Meiner Magie und den Stürmen hatte ich längst abgeschworen.

      Und wenn ich nicht entdeckt werden wollte, musste es dabei bleiben.

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      3

      Ostwind

      In einer Wohngruppe zu leben, ist manchmal echt anstrengend. Zum Beispiel, wenn man sich an einen Haushaltsplan und etwa hundert andere Regeln halten muss. Da hat es durchaus seine Vorteile, einen Betreuer zu haben, dem wenigstens die Schützlinge an sich herzlich egal sind. Solange ich trotzdem die Spülmaschine ausräumte, weil mich ein Kühlschrankmagnet dafür eingeteilt hatte, würde es keine Rolle spielen, wie nass, verdreckt und blutend ich nach Hause kam …

      Andreas würdigte meine zerrissene Jeans und die Schramme auf meinem linken Oberschenkel jedenfalls keines Blickes, als ich an diesem Nachmittag durch die geräumige Wohnküche in mein Zimmer stapfte und kurz darauf für etwa eine Stunde im Bad verschwand, um viel zu lange zu duschen.

      Damals, zu Beginn meines Lebens an der Oberfläche, hatte ich eine Weile unter Brücken und in Hauseingängen geschlafen und tagsüber auf der Straße gebettelt. Schließlich hatte mich ein Mitarbeiter des Jugendamts aufgesammelt, mir aufgrund meiner vermeintlichen Amnesie den Namen Robin verpasst und mich in eine Einrichtung für Jugendliche mit Problemen geschickt. Zunächst war ich in einem vollkommen überfüllten Heim untergebracht worden, doch schon nach ein paar Wochen (als sich zeigte, dass ich arge Schwierigkeiten hatte, mich im normalen, menschlichen Alltag zurechtzufinden) war ich hierhergekommen.

      Die Stadt hatte das alte Pfarrhaus in der Nähe des Strands so umgebaut, dass sich dort nun jeweils drei Mädchen zwischen vierzehn und achtzehn eine der vier Wohnungen teilen konnten. Und eigentlich kamen wir auch ganz gut klar. Bloß heute war alles irgendwie … ein wenig durcheinander. Aber vielleicht erschien es mir bei meinen strapazierten Nerven auch nur so.

      Als ich gegen Viertel vor sieben meinen Spülmaschinendienst verrichtete und anschließend den Tisch für das Abendessen deckte, schallte jedenfalls lauter Gangster-Rap aus Louisas Zimmer. Übertönt wurde dieser nur von der Auseinandersetzung zwischen Andreas und Fiona, unserer dritten Mitbewohnerin, die sich über die Küchenanrichte hinweg anschrien.

      »Das ist so unfair!« Fiona fuchtelte mit der Teekanne, die sie eigentlich befüllen sollte, in der Luft herum. Sie ging wie ich in die Elfte und mochte Kleider im Retro-Look und düstere Schwarz-Weiß-Filme. Ach ja, und heute Nacht hatte sie unerlaubten Herrenbesuch gehabt. »Jonas ist die Liebe meines Lebens! Nichts und niemand kann uns trennen.«

      Übrigens hatte sie auch einen gewissen Hang zur Melodramatik.

      »Vielleicht hilft er dir ja dann dabei, im nächsten Monat die Wäsche für alle zu machen«, konterte Andreas,