Wildspitz. Monika Mansour. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Monika Mansour
Издательство: Bookwire
Серия: Zuger-Reihe
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960416692
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und nickte in Richtung der Überwachungsbildschirme. «Wir brauchen die Aufzeichnungen von letzter Nacht.»

      «Klar», sagte Musa. «Das Equipment steht unten im Keller. Ich hole Ihnen die Speicherkarte.»

      Rizzo rief einen Kollegen der Spurensicherung in die Küche. «Begleiten Sie Herrn Achebe in den Keller und stellen Sie die Daten sicher.» Musa wollte gehen, als Rizzo ihn zurückrief. «Ich brauche die Adresse von Ihrem Freund, mit dem Sie gestern aus waren. Wir müssen Ihr Alibi überprüfen.»

      «Das ist echt der Burner!», rief Natalie aus. «Sie verdächtigen Musa?»

      «Ich erledige nur meine Arbeit.»

      Natalie lehnte sich über den Tisch und starrte Rizzo böse an.

      «Noch einen Espresso?», ging Alexandra dazwischen, um die Krise zu entschärfen.

      Rizzo winkte ab. «Frau Krieger, darf ich Sie bitten, in den nächsten Tagen erreichbar zu sein und das Land nicht ohne unsere Absprache zu verlassen?»

      «Denken Sie, ich fliege morgen in die Bahamas, um am Strand Cocktails zu schlürfen? Ich werde beweisen, dass Paps unschuldig ist.»

      Natalie sah, wie Rizzo die Augen verdrehte. Sara hätte ihr die Leviten gelesen, Rizzo zog sich lieber zurück und verliess die Küche. Natalie beobachtete, wie er sich im Entrée mit einem Kollegen der Spurensicherung unterhielt.

      Alexandra strich Natalie liebevoll über das kurze Haar. «Es wird sich alles klären. Das ist ein blödes Missverständnis.»

      «Was tue ich jetzt, Alex?»

      «Ruhe bewahren und abwarten. Schlimmer kann es nicht mehr werden.»

      «Wie kommen die Bullen darauf, dass Paps in der Sache mit drinhängt? Der arme Pedro. Paps hat von ihm erzählt. Er war einer der Nachtwächter bei Rivoli und auch auf der Abschiedsparty hier. Stell dir vor, die Täter haben seinen Hund entführt.»

      «Den Hund? Wieso das denn?»

      Rizzo kam zurück in die Küche. Er legte eine Plastiktüte auf den Tisch. Darin befand sich eine handgrosse, offene Styroporbox mit sechs Ampullen. Sie waren mit Gefahrensymbolen versehen. «Weshalb hält Ihr Vater diese Ampullen zu Hause in seinem Arbeitszimmer versteckt?»

      «Wo haben Sie die gefunden?» Natalie fühlte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss. Paps nahm nie irgendwelche Gefahrenstoffe vom Labor nach Hause.

      «Hinter seinen Arbeitsbüchern im Regal.»

      Natalies Hände begannen zu zittern, als sie die Bezeichnungen der Ampullen las:

      Humanes Coronavirus 229E HCoV-229E

      Humanes Herpesvirus 6 HHV-6

      Influenza-A-Virus A/canine/Florida/242/2003 (H3N8)

      Lyssavirus Genotyp 1 RABV SAD B19

      Humanes Papillomavirus 2 HPV-2

      Parapoxvirus bovis 2 PCPV

      Das war der reine Alptraum, auch wenn Natalie nur die Hälfte der Bezeichnungen verstand. «Das ergibt keinen Sinn. Paps hat nicht mit Viren geforscht. Er hat sich mit Zellen beschäftigt, deren Wachstum und Zerstörung. Keine Viren. Sein Forschungsgebiet bei Rivoli waren Erbkrankheiten, nicht Seuchen.»

      Rizzo stützte sich auf dem Tisch ab und beugte sich vor. «Mein Mann vom KTD hat mich gewarnt. Das hier ist nicht harmlos. Viren der Risikogruppe zwei, die in ein Labor mit erhöhter Sicherheitsstufe gehören. In ein BSL-2-Labor. Rivoli Biotech Analytics ist ein BSL-2-Labor. Die Gefrierschränke wurden aufgebrochen. Wir gehen stark davon aus, dass diese Ampullen fehlen werden. Ich befürchte, Ihr Vater wird für die nächsten Tage unser Gast bleiben. Meine Männer haben hier einige Stunden zu tun. Ich hoffe, Sie kooperieren mit uns.» Rizzo legte seine Karte auf den Tisch. «Wir werden uns bei Ihnen melden. Sollte Ihnen noch etwas einfallen, rufen Sie mich an. Pedro Ramirez war ein guter Mann, erst zweiundvierzig. Diesen Tod hat er nicht verdient.»

      Natalies Körper schien zu brennen. Sie wusste nicht, ob der physische oder psychische Schmerz schlimmer war. Sie stand vom Tisch auf. «Ich bin auf meinem Zimmer.» Sie nickte Rizzo zu und verliess die Küche.

      Ein halbes Dutzend Männer vom KTD stellten die Villa bereits auf den Kopf, rückten Möbel zur Seite, schauten hinter jedes Regal und in jede Ecke, durchstöberten Schubladen und Bücherregale. Selbst die Pflanzentöpfe im Entrée blieben nicht verschont.

      Natalie humpelte die Treppe hoch und versuchte, das Chaos zu ignorieren. Das war ein gemeiner Angriff auf ihre Privatsphäre. Es kam schlimmer, als sie ihr Zimmer betrat. Eine Polizistin ging Superman ans Eingemachte. «Hey, er mag es nicht, wenn man ihm zwischen die Beine fasst», rief Natalie und liess all ihren Frust in der Stimme mitschwingen.

      Die Frau drehte sich um. Sie grinste. «Sorry, konnte nicht widerstehen. Die sind toll.» Sie zeigte auf Natalies vier lebensgrosse Superhelden, mit denen sie das Zimmer teilte: Superman, Batman, Iron Man und Wonder Woman. «Woher haben Sie die?»

      «Fragen Sie nicht.»

      «Und der da?» Die Frau zeigte auf die afrikanische Skulptur.

      «Das ist ein Grebo.»

      «Sehr speziell, der Kleine. Sorry, dass ich hier in Ihren persönlichen Sachen herumstöbere. Anweisung der Chefin.»

      «Sie tun ja nur Ihren Job. Was gefunden? Eine Ampulle Zikavirus?»

      «Hä?»

      «Vergessen Sie’s. Dauert es noch lange?»

      «Nein. Bin fertig. Alles sauber, nichts gefunden.»

      «Gut. Ich will ins Bett und hoffe, dass der Alptraum vorbei ist, wenn ich aufwache.»

      Endlich allein in ihrem Zimmer, setzte sie sich auf die Bettkante. Ihr war nach Weinen zumute, aber Tränen würden der empfindlichen Bindehaut nicht guttun. Sie wollte morgen nicht mit verkrusteten, verklebten Augen aufwachen und hielt die Tränen zurück. Ihr Handy lag auf dem Beistelltisch neben dem Bett. Sie griff danach, öffnete das Telefonbuch und scrollte zum Buchstaben R. Sie musste Rebecca informieren. Natalie zögerte, scrollte weiter nach unten bis zum T.

      Sie brauchte Tom an ihrer Seite. Dringend.

      Natalie drückte auf Anruf.

      DREI

      «Wo ist Rösli?»

      «Ach Paps, sie kommt sicher bald zurück.» Tom blickte auf das Foto an der Wand. Erinnerungen an glücklichere Tage, als seine Mutter noch lebte.

      Lucy brachte die frischen Gipfeli ins Wohnzimmer. «Der Tisch ist voll überladen! Opi, du brauchst einen grösseren Esstisch.»

      «Für uns vier reicht er», sagte Tom und wuschelte seiner Jüngsten, Alicia, die neben ihm am Tisch sass, durch die blonden Haare.

      «Pa! Meine Frisur, lass das.»

      Die zierliche Alicia war auf einem Mode- und Beautytrip, der Tom Sorgen machte. Benahmen sich elfjährige Mädchen heute so? Er hätte ihr liebend gern die Präsenzzeit im Internet limitiert, aber seine Ex fand es ja toll, wenn sich die Mädchen diese albernen Blogs und Vlogs und Beautyvideos reinzogen. Wenigstens war die ältere Lucy in dieser Beziehung vernünftiger. Sie trainierte hart für ihre Tenniskarriere, was gut war, Toms magerem Portemonnaie aber den letzten Rappen entzog. Er hätte Tennislehrer werden sollen.

      «Ihr habt Rösli keinen Platz frei gehalten», beschwerte sich sein Vater. Er drehte sich zu Lucy um. «Ähm – äh – L…»

      «Lucy», half sie ihm auf die Sprünge.

      «Lucy, hol – ähm.» Er hatte bereits vergessen, was er sagen wollte, und schaute beschämt auf den Teller. «Wo ist Rösli?»

      Tom seufzte. Die Demenz wurde schlimmer. Sein Vater musste bereits rund um die Uhr betreut werden.

      Lucy setzte sich an den Tisch. «Für wen ist das Geschenk, das in der Küche liegt?», fragte sie und löffelte grosszügig Ovomaltine