Wildspitz. Monika Mansour. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Monika Mansour
Издательство: Bookwire
Серия: Zuger-Reihe
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960416692
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      «Das heisst, jemand könnte unbemerkt rein und raus?»

      «Ja. Wenn er sich gut auskennt.»

      Sara lehnte sich im Stuhl zurück und verschränkte die Arme. «Wenn das so ist, könnte auch jemand unbemerkt raus und wieder rein.»

      Fetsch schnaufte leise. «Das ist eine haltlose Unterstellung.»

      Bolander beugte sich über den Tisch. «Keinesfalls. Wir halten Ihren Mandanten nicht zum Vergnügen hier fest.»

      «Wir haben zwei Dinge in Ihrer Villa gefunden, die uns ernsthaft Sorgen bereiten», sagte Sara. «Ich bin keine Biologin, und mein Latein ist eine Katastrophe, deshalb können Sie bestimmt für mich übersetzen, Herr Krieger. Was ist ein Humanes Papillomavirus?»

      «Das HPV? Es befällt die Haut oder Schleimhäute und ist krebserregend. Gebärmutterhalskrebs kann durch dieses Virus ausgelöst werden.»

      «Aha. Und was löst das Parapoxvirus aus?»

      «Parapoxviren? Die kommen bei Säugetieren vor. Sie gehören der Familie der Pockenviren an. Was sollen diese Fragen?»

      Sara hob den Zeigefinger. «Moment, ich habe noch eines, das ich nicht kenne: Lyssavirus?»

      «Tollwut.»

      «Klingt nicht gut», sagte Bolander.

      Sara fuhr fort: «Ich habe weiter das Influenza-A-Virus, das Humane Herpesvirus und das Humane Coronavirus auf der Liste. Ich denke, diese Namen müssen Sie mir nicht übersetzen.»

      «Was ist damit?», fragte Fetsch. «Wurden diese Viren aus dem Labor gestohlen?»

      «Nicht nur das», erklärte Bolander. «Diese Viren haben wir versteckt in Herrn Kriegers Büro gefunden.»

      Fetsch starrte Harri an, der mit offener Kinnlade auf seinem Stuhl sass.

      «Gegen ein Aspirin oder Panadol in Ihrem Haus habe ich nichts einzuwenden», sagte Sara. «Ich würde auch über ein bisschen Gras hinwegsehen. Aber dieses Zeugs hier?» Sie drehte das erste Foto um. Es zeigte die Styroporbox mit den sechs Ampullen. «Damit will niemand in Berührung kommen, nicht ausserhalb eines Sicherheitslabors.»

      «Ich weiss nichts von diesen Viren», sagte Harri. Auf seiner Stirn bildeten sich Schweisstropfen. Er war nervös. Sehr nervös.

      «Verstehen Sie jetzt meine Frage, ob jemand bei Ihnen eingebrochen haben könnte? Ich würde ja gern glauben, dass ein Einbrecher Ihnen die Viren untergejubelt hat, denn leider ist das nicht alles. Wir haben in Ihrem Garten unter einem Strauch ein weiteres Beweisstück gefunden. Sie stehen definitiv mit dem Einbruch in Verbindung.» Sara drehte das zweite Bild um. Es zeigte eine schwarze Hundemaske. «So eine Maske haben die Täter getragen.»

      «Die kann jeder im Internet bestellen», warf Fetsch ein.

      «Die Maske schon», sagte Bolander. «Aber dann gäbe es im Innern der Maske keine Haare von Herrn Krieger. Zudem haben unsere Techniker an der äusseren Seite der Maske Spuren von Blut gefunden. Tierblut. Und ein Hundehaar. Wetten, es passt zu Cocos DNA? Wir werden es beweisen, sobald wir den Hund gefunden haben.»

      ***

      «Entführt», sagte Tamara und setzte sich Tom gegenüber. «Die Polizei sagt, die Mörder, die meinen Arbeitskollegen Ramirez auf dem Gewissen haben, hätten auch Coco mitgenommen.»

      «Ramirez war ein Kollege? Mein Beileid.»

      Sie biss sich auf die schmalen Lippen. «Ständig muss ich daran denken, dass es mich hätte treffen können. Bin ich ein schlechter Mensch, weil ich dankbar bin, noch zu leben?»

      Tom lehnte sich vor. «Das ist nur logisch. Jeder, der etwas anderes behaupten würde, wäre ein Lügner. Wollen Sie darüber reden?»

      «Mit einem Fremden?»

      «Sorry. Ich bin Tom Engels. Sicherheitsberater und Ausbildner. Ich habe lange als Personenschützer gearbeitet, und manchmal helfe ich der Polizei bei einem Fall.»

      «Dann sind wir Berufskollegen», sagte Tamara und atmete fast erleichtert durch, bevor sie zu sprechen begann. Tom erfuhr, was in der letzten Nacht tatsächlich vorgefallen war. Übel war das. Klar hatte die Polizei Harri in Gewahrsam genommen. Die Beweislage war fatal für Natalies Vater.

      Tamara wischte sich rasch eine Träne von der Wange. «Wo ist er jetzt?», fragte sie.

      «Wer?»

      «Marshall.»

      «Im Hundehimmel. Schlief friedlich ein.» Tom fuhr sich mit einem schlechten Gewissen durchs kurze blonde Haar. Zu lange hatte er nicht mehr an Marshall gedacht. Er war ein toller Wachhund gewesen, eine Strassenkreuzung, ein Zigeuner. Er erinnerte sich gut, wie sein Freund Rico ihn damals vorbeigebracht hatte. «Entweder du adoptierst ihn, oder er wird ersäuft», hatte er gedroht. Natürlich wusste Tom, dass Rico dem Streuner niemals etwas angetan hätte. Der grobschlächtige Mistkerl hatte ein Herz, weich wie warme Butter. «Haben Sie einen Verdacht, wer die Täter sein könnten?»

      «Ich würde spontan auf extreme Tierschützer tippen», sagte Tamara. «Rivoli erhielt in letzter Zeit viele Drohbriefe, Anrufe, und mehr als einmal war die Fassade des Gebäudes mit üblen Beschimpfungen beschmiert.»

      «Einen bestimmten Verdacht?»

      «Linn De Luca.»

      Tom hob überrascht die Augenbrauen. Mit einem Namen hatte er nicht gerechnet.

      «Nach der Flut von Drohbriefen habe ich heimlich Nachforschungen angestellt», erklärte Tamara. «Safetron interessiert es nicht, solange die Briefe keine konkrete Drohung aussprechen. Der Inhalt war oberflächlich gehalten. Ihr Mörder! Ihr quält Tiere zu Tode. Wie könnt ihr nachts schlafen? So Sachen halt. In Zug fand ich drei Tierschutzorganisationen, die in Frage kamen. Ich habe dort angerufen, Interesse gezeigt und wollte wissen, was sie unternehmen, um Tiere besser zu schützen. Zwei Organisationen wollten vor allem auf politischer Ebene ansetzen und erreichen, dass zum Beispiel die Massentierhaltung eingeschränkt wird, das Schreddern von Küken verboten wird und Tiertransporte strengeren Gesetzen unterliegen. Sie gingen vor allem auf die Nutztierhaltung ein. Die dritte Organisation nennt sich Wild ’n Free Animal Rescue. Linn De Luca ist die Präsidentin. Der Verein zählt etwa dreissig aktive Mitglieder. Er wurde erst vor zwei Jahren gegründet und steht noch am Anfang. Am Telefon erklärte mir Linn, dass sie sich gegen Tierversuche einsetzen. Sie hielt mir einen emotionalen Vortrag darüber. Nutztiere erwähnte sie mit keinem Wort. Ich weiss, das ist kein Beweis, aber wenn eine Tierschutzorganisation dahintersteckt, würde ich auf ‹Wild ’n Free› tippen.»

      «Haben Sie diese Linn De Luca persönlich getroffen?»

      «Nein.»

      Es war möglich, dachte Tom, dass so eine Organisation hinter dem Einbruch stecken könnte, allerdings machte ihn die Brutalität und Zerstörungswut nachdenklich. War der Totschlag des Nachtwächters wirklich Notwehr gewesen? Und weshalb diese Verwüstung? Damit verloren sie wertvolle Zeit und steigerten das Risiko, gefasst zu werden. Das Szenario ergab keinen Sinn. Etwas war faul an der Sache. Tom entschloss sich, dem Hinweis von Tamara gleich nachzugehen.

      VIER

      Am Kiosk am Bahnhof Rotkreuz kaufte sich Tom ein Notizheft, die Augustausgabe von «Unser Schweizer Heimtier» und die Zuger Zeitung. Er blätterte die Zeitung durch. In der gedruckten Ausgabe war der Einbruch bei Rivoli nicht erwähnt, in der Onlineausgabe hatte er aber bereits darüber gelesen. Der brutale Überfall machte in den Medien rasch die Runde.

      Tom war gleich nach dem Gespräch mit Tamara hierhergefahren. Natürlich hatte er Sara nicht darüber informiert. Er glaubte, seine Chancen wären besser, etwas herauszufinden, wenn er Linn De Luca unter vier Augen treffen konnte. Ihre Adresse zu finden, war leicht gewesen. Sie wohnte in einer kleinen Einliegerwohnung in Risch, direkt am See. Er hatte Glück und traf sie zu Hause in ihrer Wohnung an. Sie beäugte ihn misstrauisch, hielt die Wohnungstür nur einen Spalt offen. Tom war unfähig, den Blick von ihr zu lösen. Es war mittlerweile