Wildspitz. Monika Mansour. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Monika Mansour
Издательство: Bookwire
Серия: Zuger-Reihe
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960416692
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die Fäden, organisierte Befreiungsaktionen wie diese in Mexiko und versuchte, so vielen Menschen wie möglich zu helfen. «Ich bin gern bereit, für meine Überzeugung den Tod zu finden. Hilflos an meiner Krankheit zu sterben, ertrage ich nicht.»

      «Tot hilfst du ihnen nicht. Deshalb gehen wir hoch und kümmern uns um deine malträtierte Hülle. Danach braucht dein Kopf Schlaf, um sich zu erholen.»

      Natalie gab nach, loggte sich aus dem Darknet aus und stand mit Musas Hilfe vom Stuhl auf. Sie war zu lange gesessen.

      «Du blutest», stellte Musa fest. «Die Wunde an deinem Bein ist aufgerissen.» Ein roter Fleck zeichnete sich an der Seite ihres weissen Baumwollnachthemdes ab.

      «Ein paar Blutstropfen für sechs Menschenleben – ein guter Deal.»

      «Ja, und dein Paps wird den Sklaven verprügeln lassen, weil er das zugelassen hat.»

      «Genau deshalb habe ich dich in unsere Villa geholt, vergiss das nie, Sklave!»

      Musa starrte sie mit einem Pokerface an. «Ich kann Verbände sorgfältig und nahezu schmerzfrei wechseln oder sie eiskalt runterrupfen. Was wäre Mylady lieber?»

      Natalie hauchte Musa einen Kuss auf die Wange. «Hab dich lieb.»

      Musa grinste. «Schon klar.»

      Sie gingen zusammen hoch in die Küche. Alexandra bereitete das Frühstück vor. Es duftete herrlich nach frisch gebackenem Brot. Natalie schluckte schwer. Ihr Hals schmerzte an diesem Morgen zu sehr, als dass sie einen Bissen weichen Brotes hätte essen können, dennoch war für sie ein Platz am Tisch gedeckt.

      «Guten Morgen.» Alexandra strahlte, die langen blonden Haare hatte sie zu einem Zopf geflochten. Sie war die Haushälterin und gute Seele des Hauses.

      «Morgen. Schläft Paps?», fragte Natalie.

      «Ja. Und wir lassen Harri schlafen. Es ist schliesslich sein erster freier Morgen, seit ich ihn kenne. Da Rebecca und die kleine Imani dieses Wochenende bei Rebeccas Eltern verbringen, gibt es keinen Grund, ihn zu wecken.»

      Natalie vermisste ihre Stiefmutter bereits. Sie und Harri hatten im März geheiratet. Seit zwei Monaten war Imani nicht mehr nur ihr Pflegekind, sondern offiziell adoptiert und damit Natalies kleine Schwester. Sie war letzten Monat ein Jahr alt geworden, marschierte aber bereits selbstbewusst herum. Sie war eben eine echte Kämpferin, wie es ihre Mutter gewesen war. Wehmütig dachte Natalie an das Drama mit Emeline zurück. Sie hätte nicht sterben müssen …

      Mit diesen Gedanken kamen die Erinnerungen an Tom wieder hoch, die sie meistens erfolgreich unterdrückte. Es war nicht so, dass sie sich aus den Augen verloren hätten. Tom hatte vorübergehend einen Job als Personenschützer für einen deutschen Politiker angenommen, bis er vor ein paar Monaten zurückkam, sich selbstständig machte und angehende Bodyguards ausbildete. Er meldete sich nur sporadisch bei ihr. War verständlich. Ich bin ein Freak, dachte sie und schaute an sich hinunter. «Na los, gehen wir uns schick machen für das Frühstück mit Paps», sagte sie zu Musa.

      «Ich habe dir Khangatücher aufs Bett gelegt», sagte Alexandra, «aufs unbenutzte Bett.» Der Tadel war nicht zu überhören.

      «Ich habe bereits Musa und Rebecca im Haus, die mich bevormunden, fang du bitte nicht auch damit an.»

      Alexandra trat vor sie. «Khangas in Lila und Blau. Die Farben passen zu deinen Haaren. Ich mag deine neue Frisur.»

      Natalie war gestern beim Coiffeur gewesen. Ihr erster Coiffeurbesuch seit zwei Jahren. Sie kämpfte in den letzten Jahren gegen Haarausfall, und zudem wollte eine üble Wunde auf dem Kopf nicht abheilen. Deshalb hatte sie die Haare millimeterkurz abrasiert und stattdessen bunte Kopftücher getragen, hochdrapiert, wie die Afrikanerinnen sie trugen. Während der letzten zwölf Monate hatte sie ihre hellblonden Haare wachsen lassen, und seit gestern zierte eine Kurzhaarfrisur ihren Kopf, mit seitlichem Pony und wuscheligem Hinterkopf.

      «Wie lange habt ihr?», fragte Alexandra.

      «Mindestens drei Stunden», antwortete Musa.

      Natalie zeigte mit ihrer einbandagierten Hand auf ihren Pfleger. «Ich gebe dir eine Stunde, dann hol ich Paps aus den Federn, und wir frühstücken gemeinsam. Diesen Tag wollen wir feiern, da begnüge ich mich nicht mit Brei aus der Konserve. Alexandra, kochst du mir Dreiminuteneier und Porridge mit Bananen?»

      Musa brauchte zwei Stunden, um sie zu duschen, all die Wunden zu versorgen und Verbände zu wechseln. Danach half er Natalie, sich die Khangatücher umzulegen. Die leichten, drapierten Stoffe waren im Sommer am bequemsten zu tragen. Welche Ironie, sie trug die Kleider von Afrikanerinnen, sah aber aus wie ein bleicher Eskimo. Sich in die Sonne zu legen, um Farbe anzunehmen, lag bei ihrer Krankheit nicht drin.

      «Der Knöchel heilt gut», sagte Musa und stülpte ihr eine weiche Wollsocke über den einbandagierten Fuss.

      Natalie seufzte. Ende August war nicht die Jahreszeit für Wollsocken. Sie kochte innerlich, obwohl der Beautysalon, wie sie ihr Krankenzimmer nannte, dank Klimaanlage gekühlt war.

      Musa räumte das Verbandsmaterial zusammen, und Natalie humpelte hinunter in die Küche. Harri sass mit Alexandra am Tisch.

      «Hey, mein Paps ist ein freier Mann!», begrüsste Natalie ihren Vater und schlang die Arme von hinten um ihn. «Na, wie fühlt sich ein Leben an, wenn man sein eigener Chef ist? Liegst du jetzt jeden Morgen bis neun Uhr im Bett?»

      «Daran könnte ich mich gewöhnen», sagte Harri und rückte den Stuhl neben sich für Natalie zurecht. «Du hingegen hast die Nacht durchgearbeitet? Wem hast du diesmal geholfen und wo?»

      «Mexiko. Drei Frauen und zwei Mädchen, welche als Sexsklavinnen hätten verkauft werden sollen. José hat sie rausgeholt.»

      «Wonder Woman wäre neidisch auf dich», sagte Harri.

      Natalie konnte den traurigen Unterton in seiner Stimme nicht überhören. «Und? Schon nervös wegen der Eröffnungsfeier eurer Papilio Labs GmbH nächste Woche?»

      Ein Piepsen der Sicherheitsanlage kam Harris Antwort zuvor.

      «Nanu», sagte Alexandra und blickte auf den Überwachungsmonitor in der Ecke. «Zwei Wagen stehen vor dem Einfahrtstor.»

      «Der hintere ist ein Polizeiwagen», bemerkte Natalie.

      Ihr Vater schaute sie an. «Was hast du letzte Nacht angestellt?»

      «Ich war im Darknet unterwegs, da können mich die Bullen nicht aufspüren. Ausserdem haben wir in Mexiko operiert. Ich habe kein Schweizer Gesetz gebrochen.»

      «Das gefällt mir nicht», sagte Harri, stand auf und drückte an der Schalttafel den Knopf für das elektrisch gesteuerte Aussentor. Über den Monitor konnten sie beobachten, wie die schmiedeeisernen Torflügel sich öffneten und die Wagen auf den Vorplatz der Villa fuhren. Aus dem Polizeiwagen stiegen zwei Beamte, aus der dunklen Limousine ein Mann und eine Frau in ziviler Kleidung. Die Frau trug eine weisse Bluse, schwarze Hosen und eine dunkle Pilotensonnenbrille. Ihre schwarzen Haare waren zu einem kinnlangen Bob geschnitten.

      «Was will Sara Jung hier bei uns?» Natalie stand auf. «Ich nehme unsere liebe Kripochefin in Empfang.» Sie ging zur Tür, mit einem mulmigen Gefühl im Magen. Sara Jungs Besuch konnte nichts Gutes bedeuten. War etwas mit Tom?

      Natalie öffnete die Tür, bevor Saras langhaariger Handlanger klingeln konnte. Wie hiess der italienische Macho noch gleich?

      Sara hielt Natalie ihren Polizeiausweis unter die Nase. «Kriminalpolizei», sagte sie.

      «Ist ja nichts Neues», entgegnete Natalie kühl. «Was wollen Sie? Wohl kaum einen frisch gebrühten Kaffee.»

      «Ist Harri Krieger im Haus?»

      Arrogante Schnepfe, dachte Natalie. Nach allem, was sie letztes Jahr zusammen durchgemacht hatten, könnte sie ruhig freundlicher sein. Doch das war im Augenblick Nebensache. «Was wollen Sie von Paps?» Natalie entging nicht, dass die uniformierten Männer hinter ihr nervös und in Alarmbereitschaft waren.

      Harri